Fund in Jordanien

Forscher entdecken Freizügigkeit im frühen Islam

Wissenschaft
04.06.2012 13:53
Antike Wandmalereien in Jordanien werfen ein neues Licht auf die Moralvorstellungen der islamischen Kalifen im frühen Mittelalter. Die omajadischen Herrscher über den Orient im achten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung waren im Privaten möglicherweise sehr viel freizügiger als bis dato angenommen. Das legen jedenfalls Darstellungen im Wüstenschloss Quasr Amra nahe.

Seit 1985 ist das Lustschloss (links) in der Nähe der Oasenstadt Asrak Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Restauratoren und Archäologen haben dort nun nach eigener Einschätzung erstmals Beweise dafür gefunden, dass Kalif Walid II. erotische Darstellungen (rechts) nackter Damen wohl selbst in Auftrag gegeben hat. Auch bukolische Jagdszenen und Hinweise auf den Genuss alkoholischer Getränke finden sich an den Wänden von Quasr Amra wieder.

Bekannt sind die für die arabische Welt höchst ungewöhnlichen Wandgemälde schon lange. Doch bisher war umstritten, wer die Malereien in Auftrag gegeben hat: Ein strenggläubiger muslimischer Kalif wohl kaum, hieß es lange in Jordanien. Eher hatte man die Byzantiner oder die Römer in Verdacht, ihre laxen Moralvorstellungen in die Wüste getragen zu haben.

War der Kalif ein Playboy?
Andere Forscher hatten seit einiger Zeit einen prominenten Omajaden in Verdacht: Kalif Walid II., der sich schon als Prinz hin und wieder aus der Omajaden-Hauptstadt Damaskus schlich, um Ärger zu vermeiden. Religiöse Würdenträger, aber auch Konkurrenten in der eigenen Familie hielten ihn für einen leichtlebigen Playboy. Niemand hatte bisher bezweifelt, dass Walid sich gerne in Quasr Amra - zu Deutsch "Kleiner Palast von Amra" - aufhielt. Doch bisher fehlte der Beweis, dass er das Schlösschen auch erbauen ließ und damit für die Wandmalereien verantwortlich ist.

Seit fast einem Jahr arbeitet eine internationale Expertengruppe unter italienischer Leitung und mit Unterstützung der jordanischen Denkmalschutzbehörde daran, die Wände von Ruß und Schmierereien aus vielen Jahrhunderten zu befreien. Kürzlich entdeckten sie dabei ein ganz besonderes Graffito aus dem achten Jahrhundert: "Oh Gott, mache Walid ibn Jasid tugendhaft." Für den ehemaligen jordanischen Denkmalschutz-Direktor Ghasi Bischeh ist damit klar: "Zum ersten Mal können wir eindeutig sagen, dass dieser Palast von Walid in Auftrag gegeben wurde und dass dies in der Tat Kunst aus der omajadischen Ära ist."

Allerdings gehen die Forscher davon aus, dass das Schloss schon in der Regierungszeit des Vorgängers Kalif Hischam erbaut wurde, der nach christlicher Zeitrechnung von 723 bis 743 in Damaskus regierte. Denn sonst hätte der Schriftzug wohl auch Walids Kalifentitel enthalten.

Wandmalereien drohen zu bröckeln
Trotz des gelösten Rätsels haben die Restauratoren von Quasr Amra Sorgen: Ihnen bleibt nicht viel Zeit, eines der letzten Beispiele säkulärer omajadischer Kunst zu bewahren. Über die Jahrhunderte haben Regengüsse, Sandstürme und die Lagerfeuer der Beduinen den Wandmalereien schwer zugesetzt. Ein erstes Restauratoren-Team in den 1970er-Jahren hat zudem mit Chemikalien gearbeitet, die inzwischen mehr schaden als nützen: Die Bilder sind vergilbt und drohen von der Wand zu bröckeln. Bis November hat das aktuelle Team noch Zeit für die Rettungsarbeiten.

Ein Fazit kann der Chef des Restauratoren-Teams, Gaetano Palumbo, aber schon jetzt ziehen: "Diese Malereien sind der Beweis dafür, dass - wie unterschiedlich die Kulturen auch gewesen sein mögen - die Vorstellungen von Schönheit und Entspannung die gleichen waren."

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