Drei Jahre nach seinem introspektiven Werk „Far In“ öffnet sich der amerikanische Klangtüftler Helado Negro auf „Phasor“ wieder der großen weiten Welt. Mit seiner psychedelischen Elektronik entfacht der 44-Jährige eine hypnotische Sogwirkung.
Die Haare sind grau geworden. Sie stechen nicht mehr querbeet in alle Himmelsrichtungen und der markante Schnauzer fiel einer Rasur zum Opfer. Roberto Carlos Lange aka Helado Negro ist sichtlich gereift - äußerlich und auch musikalisch. Der 44-Jährige versorgt uns seit gut 15 Jahren mit traumwandlerischen Songs, die irgendwo zwischen sanfter Elektronik, Café-Del-Mar-Atmosphäre und wärmendem Latin-Folk mäandern. Er erzählt in seinen Liedern von Herkunft, Orientierung und Heimatgefühlen, wenn die Heimat nicht auf einen einzigen Platz festgemacht werden kann. Nach dem 2019er-Meisterwerk „This Is How You Smile“ verbrachte Lange die meiste Zeit der Corona-Quarantäne auf kleinerem Raum in Brooklyn. Daraus resultierte das introspektive, aber nicht minder geniale „Far In“, mit dem Helado Negro sich in gewisser Weise wieder neu erfand.
Vielschichtige Talente
Auf seinem neuen Album „Phasor“ sucht der Künstler nun wieder nach Freiheit und Aufbruch. Nach der Pandemie zog Helado Negro nach Asheville, North Carolina, um der Familie wieder näher zu sein und sich neu inspirieren zu lassen. „Phasor“ ist einmal mehr ein audiovisuelles Meisterstück, das die vielschichtigen Talente des Musikers perfekt in Szene zu setzen weiß. Die Ursprünge des Albums gehen auf Helado Negros 39. Geburtstag zurück, als er an der Universität von Illinois fünf Stunden lang das „Sal Mar“-Projekt des Künstlers Salvatore Matirano besuchte. Das Projekt besteht aus einem komplexen Synthesizer, der mit einem Supercomputergehirn und analogen Oszillatoren generativ Musik erzeugt und dabei eine unendliche Anzahl von Klangsequenzen erzeugen kann.
Das gesamte Projekt ergriff Besitz von Langes Gedankenwelt und zog ihn unmittelbar in seinen Sog. „Es gab mir einen besonderen Einblick in das, was mich anregt“, erklärt er beifügend, „dieses Streben nach ständiger Neugier auf den Prozess und das Ergebnis. Die Songs sind die Früchte, aber ich liebe das, was unter dem Schmutz liegt. Den ungesehenen magischen Prozess. Ich will auch nicht, dass ihn jeder sieht, denn nicht jeder will ihn sehen. Manche von uns wollen nur die Früchte sehen, aber ich möchte sie auch anbauen.“ Abseits der Obst-Metaphern gelingt Helado Negro auf „Phasor“ eine wundervolle Klangreise durch unterschiedliche Sphären, die den markanten Latin-Groove der vergangenen Alben nun wieder merklich in den Vordergrund rückt. Immer wieder rutscht die ecuadorianische Herkunft Langes markant hervor, um als Basis bzw. Kitt der einzelnen Songs Orientierung zu geben.
Liebe zu den kleinen Dingen
Von den hypnotisierenden Beats und Tönen geleitet, changiert Lange im Gesang fast unbemerkt zwischen Englisch und Spanisch hin und her. So wie auch die klanglichen Adaptierungen, die mit jedem Song einhergehen, wirkt auch der Sprachenwechsel völlig natürlich und fällt beim Hören nicht weiter auf. In seinen Liedern erforscht Helado Negro Geschichten und nostalgische Gefühle, um sie mit zeitgemäßen Themen zu verbinden. So ist etwa der Opener „LFO (Lupe Finds Oliveros)“ gleichermaßen von der Puerto-Ricanerin Lupe Lopez, die Verstärker für Fender baute, als auch von Klangmeditationspraktikerin Pauline Oliveros inspiriert. „Ich habe mich in diese Geschichte, dieses Erbe und die Mythologie, die sie umgibt, verliebt. Wie das Handwerk uns auf die kleinste Weise so tief berührt. Die Liebe zu den kleinsten Dingen macht den Unterschied aus.“
Wenn man sich tief auf die nur gut halbstündige Reise einlässt, durchtaucht man psychedelische Welten der Beatles, kreuzt an kubanischen Rhythmen vorbei, findet sich in wabernder Elektronik der Marke Gruff Rhys oder Caribou wieder und fließt in die gemütliche Klangwelt von Beirut ein. Wer „Phasor“ die nötige Zeit zur Entfaltung gibt und sich von den entspannten Kompositionen mitnehmen lässt, gerät automatisch in einen luziden Zustand, in der Realität und geträumte Fiktion zu einem Amalgam des Bewusstseins verschmelzen. Helado Negro zeichnet mit seinen Liedern Farben und erzählt Geschichten, die man mühelos für sich selbst und die eigene Lebensrealität heranziehen kann. „I Just Want To Wake Up With You“ nennt sich ein Lied auf „Phasor“. Mit diesen Songs und sanften Frühlingssonnenstrahlen wacht man mindestens genauso gerne auf.
Kommentare
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Kommentarfunktion steht Ihnen ab 6 Uhr wieder wie gewohnt zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
das krone.at-Team
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.