In den vergangenen Wochen erreicht die Panikmache über den mittlerweile wieder öfter in unseren Gefilden anzutreffenden Wolf neue Höhen. „Wölfe kommen über die Landesgrenzen. Sie vermehren sich, richten enorme Schäden an.“ Sie müssten erlegt werden, sorgte ein Schweizer Naturschützer für Wirbel. Bei der internationalen Natur- und Umweltschutzorganisationen WWF gibt es für diese Worte hingegen nur Kopfschütteln. krone.at hat die Faktenlage unter die Lupe genommen - und will vor dem Hintergrund dieser emotionalen Debatte die Zahlen sprechen lassen.
„Herdenschutzmaßnahmen greifen nicht“, dröhnte der Schweizer Wildbiologe Marcel Züger und plädierte dafür, den Schutzstatus des Wolfes zu senken. Es folgten bejahende Kommentare von Bauern- und Almvertretern, wobei auch das Argument zum Zug kam, Umzäunungen auf den Almen würden dem Tourismus schaden. „Das ist richtig ärgerlich“, meint der Wolfsexperte des WWF Christian Pichler im Gespräch mit krone.at. „Weil es einfach nicht stimmt!“
Absurderweise funktionieren gerade in der Schweiz die Herdenschutzmaßnahmen gut. Dort gibt es laut Pichler aktuell 36 Wolfsrudel (zum Vergleich: in Österreich zählen wir bis dato zwischen sechs und sieben Rudel oder etwa 70 Einzeltiere), die sich fast alle im gebirgigen Teil aufhalten, und weit mehr Schafe als in der Alpenrepublik. Dennoch verzeichnet unser Nachbar nur etwa ein Drittel mehr Risse als wir. „Und der Grund ist nicht, dass sie Wölfe haben, die einen Bogen um Schafe machen, sondern weil diese dort besser geschützt werden“, schildert uns der Experte. Der WWF sei stets bemüht, mit den Politikern eine sachliche Diskussion über dieses Thema zu führen. „Aber dann holt die Landwirtschaftskammer einen Scharfmacher aus der Schweiz, der noch nie mit Wölfen gearbeitet hat und auch vom Thema Herdenschutz wenig Ahnung hat“, so Pichler verwundert. Und diese Meinung bleibe dann hängen.
Wenn wir es schaffen, auf den Mond zu fliegen, wieso behaupten manche Politiker dann, man könne keine Schafherden einzäunen?
WWF-Wolfsexperte Christian Pichler
Wolfsmanagement ist auch in Österreich machbar
Dabei wäre ein effizientes Wolfsmanagement mit dem entsprechenden politischen Willen auch bei uns umsetzbar. Mit Anti-Wolfs-Zäunen und einer Behirtung auf den Almen ist Pichler zufolge der wichtigste Schritt getan. Stattdessen würden falsche Tatsachenbehauptungen verbreitet. Dabei brächten eine Behirtung sowie ein Zaun grundsätzlich nur Vorteile. Kranke Schafe würden durch den Hirten schneller erkannt und behandelt. Zudem würden viele Beschwerden von Bauern eintreffen, dass Touristen auf den Almen mit Hunden mitten durch die Schafherden liefen. Hin und wieder erschrecken sich die Schafe. Etwa gebe es Fälle, wo Tiere deswegen abgestürzt und verstorben seien. „Es wäre doch wünschenswert, wenn die Touristen aufgeklärt sind und die Schafherde umgehen“, zeigt sich der Experte hoffnungsvoll.
Das Prinzip des Anti-Wolfs-Zauns ist simpel - ein Hochsicherheits-Gehege muss nicht errichtet werden. Schließlich hat der Wolf jede Menge zu fressen und sucht sich instinktiv das, was er am leichtesten erwischt. „Wenn er es bei den Schafen durch Zäune, von denen er einen elektrischen Schlag kriegt, schwieriger hat, dann sucht er sich lieber im Wald ein krankes Reh“, erklärt Pichler. Man hat also mit einem zumutbaren Aufwand einen guten Schutz. „Und das müssen uns die Schafe eigentlich wert sein“, appelliert der Forscher.
Schock nach „Dolly-Gate“: Frisst der Wolf wirklich Pferde?
Grundsätzlich gilt der Wolf als Gesundheitspolizist. Er ernährt sich überwiegend von kranken, schwachen und alten Wildtieren. Hin und wieder erlegt er Nutztiere, im Vergleich ist die Zahl allerdings verschwindend gering. In erster Linie erwischt es die Schafe, hin und wieder Rinder und Gatterwild. Die Hysterie nach „Dolly-Gate“ - ein Wolf hatte ein Pony der EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen getötet - ist laut den vom WWF an krone.at übermittelten Daten unbegründet. In den Aufzeichnungen sind in Österreich insgesamt nämlich nur drei gerissene Pferde bekannt.
Nur 0,21 Prozent der Schafe sterben durch den Wolf
Aber selbst bei den Schafen ist im Vergleich nur zu einem sehr geringen Teil der Wolf ihr „Killer“: magere 0,21 Prozent der gehaltenen flauschigen weißen Tiere fallen ihm zum Opfer. Zehn Mal mehr sterben durch Unwetter, Steinschlag und Krankheiten. Der WWF sieht hier dringend Aufholbedarf. Die Schafe dürften auf den Almen nicht sich selbst überlassen werden. Es brauche dringend gute Zäune und Hirten, die die Tiere bei Gewittern zusammentreiben. Viele Schafe fürchteten sich und stürzten ab. Ihr schlimmster Mörder ist allerdings ohnehin der Mensch. 80 Prozent der gehaltenen Schafe landen nämlich im Schlachthof und irgendwann auf unserem Teller.
Neben der fehlenden Beaufsichtigung bei Gewittern bergen Almen zudem das Problem, dass es dort zu deutlich mehr Rissen kommt. Selbst in der Gesamtrechnung sind mehr getötete Schafe auf den Almen zu verzeichnen, als unter jenen, die nicht auf der Alm leben - obwohl der überwiegende Teil nicht auf der Alm zu Hause ist. „Wenn wir es schaffen, auf den Mond zu fliegen, wieso behaupten manche Politiker dann, man könne keine Schafherden einzäunen? Das wird doch wohl möglich sein, sofern die Weidetierhalter auch Unterstützung bekommen“, wundert sich Pichler.
Wie gefährlich sind Wölfe für Menschen?
Für uns Menschen geht von den Wölfen fast keine Gefahr aus - die Wahrscheinlichkeit, von einem Wolf getötet zu werden, liege bei nahezu 0,0. Natürlich bleibt bei einem Wildtier immer das Restrisiko. „Es kann sein, dass es gefüttert wird, was immer ein Problem ist, und dann verliert es die natürliche Scheu“, so der Experte.
Ein solcher aufregender Fall kursierte vor wenigen Tagen in den Medien. In einem kleinen Dorf in Trentino in Italien kam ein Wolf einer Mutter gefährlich nahe. Ohne jede Scheu lief das allen Anschein nach noch junge Wildtier mitten über die Loipe im italienischen Fassatal und ließ sich auch nicht durch mehrere Hobbysportler stören, die gerade über das Schneeband liefen „Diesmal ist ja nichts passiert, aber wer weiß, ob die nächste Begegnung ebenso harmlos verläuft“, heißt es von Gemeindevertretern des Ortes Pozza di Fassa. Der Wolf soll durch Menschenhand so zutraulich geworden sein. Laut dem Nachrichtenportal „Südtirol News“ hätten Wanderer das Tier sogar gefüttert und laufend Fotos mit ihm gemacht.
Insgesamt ist es jedoch möglich, sich mit dem Wolf zu arrangieren. Pichler zufolge wird absichtlich Angst vor ihm geschürt. Vor fünf, sechs Jahren sei die Verunsicherung in der Bevölkerung noch nicht so groß gewesen. Heute würden „die Leute wahnsinnig gemacht vor dem Wolf“. Die Hysterie habe sich nun sogar schon auf den Luchs ausgeweitet - einem Tier, mit dem es laut dem Wissenschaftler überhaupt noch nie Zwischenfälle mit dem Menschen gegeben habe. Und das, wo es doch im Wald beim Schwammerlsuchen auch wirklich gefährliche Tiere gebe. Wie etwa Zecken. „Durch die sterben nämlich wirklich Menschen“, mahnt Pichler abschließend.
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