Jamaikas Reggae-Legende Bob Marley erstrahlt auch mehr als 40 Jahre nach seinem Tod noch überlebensgroß. In „Bob Marley: One Love“ zeichnet Regisseur Reinaldo Marcus Green drei Schlüsseljahre seines Lebens nach, verliert sich dabei aber in einem allzu unkritischen Zugang.
Hand aufs Herz - die besten Biopics über Musiker wurden in den 2000er-Jahren inszeniert. Man denke zurück an Joaquin Phoenix‘ bahnbrechende Darstellung des legendären Johnny Cash in „Walk The Line“ (2005), an die verblüffende Ähnlichkeit zwischen Sam Riley und Joy Division-Sänger Ian Curtis in „Control“ (2007), an Jamie Foxx‘ herausragendem Lebenswerk als Ray Charles in „Ray“ (2004) und den in sechs - auch weibliche - Rollen aufgeteilten Lebensweg von Bob Dylan in „I’m Not There“ (2007). Seitdem wurde von Queen über Whitney Houston bis hin zu Sir Elton John zwar alles Mögliche an Starmaterial in den Hollywood-Mantel gewickelt, an die Glanzleistungen der genannten Werke kam aber nichts mehr wirklich heran. Das nächste Projekt, das im Direktvergleich den Kürzeren zieht, ist „Bob Marley: One Love“, die erste filmische Umsetzung über den legendären jamaikanischen Reggae-Musiker und Friedensstifter, der im Alter von nur 36 Jahren an Krebs verstarb.
Figur im Fadenkreuz
Regisseur Reinaldo Marcus Green, der vor drei Jahren unter dem Banner „King Richard“ das Leben der erfolgreichen Tennisspielerinnen Serena und Venus Williams inszenierte, wählte für den Handlungsstrang ausgehend den Mordanschlag auf Marley 1976. Der geschah inmitten politischer Unruhen und kurz vor einem Konzert des Reggae-Stars in seiner Heimat Jamaika und veränderte nicht nur das Leben des Musikers, sondern auch das seiner Gefolgschaft und eines ganzen Landes. Marley sah sich als bekennender Rastafari zeit seines Lebens als unpolitische Figur, geriet aber nicht zuletzt auch deshalb in das Fadenkreuz unterschiedlicher Fronten, die nach seinem Leben trachteten. Nur leicht verletzt konnte er das Konzert absolvieren, während seine Frau Rita wegen ihrer Dreadlocks-Pracht einen Kopfschuss überlebte. Marley flüchtete nach dem Attentat nach London - aber ohne Frau und Kinder, die er mit seiner Abwesenheit aus der Ferne schützen wollte.
In Europa kam Marley zur Ruhe und fand wieder zur Kreativität zurück. Er stellte sich den Anspruch, ein in dieser Form noch nie dagewesenes, alle Streitparteien und Völker vereinendes Album zu kreieren. Frei nach dem Motto „Reggae ist die Musik des Volkes“ forderte er seine Mitmusiker bis zum Äußersten und stellte sich gegen jegliche Einflussnahmen von Plattenfirma oder Management. Mit „Exodus“ entstand daraus eines der wichtigsten Alben der Musikgeschichte, durch das sich Marley plötzlich in etablierten Kreisen wiederfand, aber dabei sich und seine Message auf dem Weg verlor. Erst im letzten Filmdrittel macht ihn Rita darauf aufmerksam, woraufhin er sich von seinem korrupten Manager trennt, sich wieder auf seine Wurzeln besinnt und schließlich eine triumphale Heimkehr nach Kingston feiert. Dazwischen werden auch die Hautkrebs-Diagnose und aufkommende Selbstzweifel stets ins rechte Bildlicht gerückt.
Marley als Messias
Darsteller Kingsley Ben-Adir spielt Marley sehr akkurat und weiß sich vor allem bei der Mimik und den wilden Bewegungen während der Live-Konzerte gut in Szene zu setzen. Allerdings krankt das Werk doch merkbar daran, dass man den jamaikanischen Superstar zum Messias hochstilisiert und die kritischen Bereiche fast komplett ausblendet. Dass Marley neben seiner Ehe noch sieben Kinder von sieben verschiedenen Frauen hatte, wird ebenso unter den Teppich gekehrt, wie der latente Rassismus, die austreibende Homophobie und das traditionelle Frauenbild, das nachweislich nicht nur mit der Rastafari-Bewegung einherging, sondern auch bei Marley und seinem Tross Realität war. Die geschönte Darstellung des Kultmusikers ist nicht zuletzt seiner Familie geschuldet, die das Werk mitfinanzierte, produzierte und sicher auch inhaltlich in die für sie passende Richtung gedreht hat.
Bei seinen persönlichen Flashbacks wird Marleys schwierige Kindheit in Szene gesetzt. Mit opulenten Traumbildern wie brennenden Feldern und dem übermäßigen Einsatz des Zeitlupenformats, versucht Green den dramaturgischen Bogen des Films noch extra auszuweiten. Auch Marleys realer, völlig aus allen Ufern geratener Marihuana-Konsum wird in der Hollywood-Version nur mit einem ironischen Wimpernschlag bedacht, was schlichtweg Geschichtsauslassung ist. Sohn Ziggy Marley meinte vorab, man sei glücklich darüber, dass man im Film so viele verschiedene Seiten von Bob zeigen könnte. Die wirklich interessanten, nämlich fragwürdigen und zuweilen hässlichen, werden aber zugunsten einer kritiklosen Kultverehrung ausgelassen. Damit krankt „Bob Marley: One Love“ trotz der wunderbaren Musik- und Konzertszenen und des durchaus starken Casts am Hauptproblem, dass sich wie ein roter Faden durch fast alle Musiker-Biopics zieht: Man ist nicht offen und ehrlich, sondern versteckt zu viel hinter melancholischem Kitschkleister. Schade darum, denn gerade eine unfreiwillig politische wie kulturell fern wirkende Figur wie jene des Bob Marley hätte dahingehend enorm viel hergegeben.
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