Album „Loss Of Life“

MGMT: Nach dem TikTok-Hype wird es hemdsärmeliger

Musik
20.02.2024 09:00

Das amerikanische Indietronic-Duo MGMT erlebte mit dem letzten Album „Little Dark Age“ einen zweiten Karrierehype. Bis zum neuen Album „Loss Of Life“ sind sechs Jahre vergangen, in denen die beiden Jugendfreunde akribisch nach der nächsten Veränderung forschten. Nun steht fest: Die Zukunft von MGMT ist psychedelisch, umarmend und warmherzig.

(Bild: kmm)

Als sich Andrew VanWyngarden und Ben Goldwasser vor mehr als 20 Jahren beim Studium der experimentellen Musik an der Wesleyan University in Connecticut kennenlernten, wollten sie verkopfte Popmusik mit einer gewissen Form von Eingängigkeit verzieren und damit neue Pinselstriche auf die üppig bemalte Musiklandkarte streichen. Rauschebart und Produzentengenie Rick Rubins Entdeckerqualitäten haben wir es zu verdanken, dass ihre in Indie-Kreisen ausgiebig betourte EP „Time To Pretend“ kurz vor der Aufgabe doch noch für einen Vertrag beim Branchenriesen Columbia Records sorgte und MGMT plötzlich in lichte Sphären katapultierte. Verantwortlich dafür war nicht zuletzt das 2007 erschienene „Oracular Spectacular“, eine Mischung aus Synthie- und Indie-Pop, das mit Hit-Singles wie „Time To Pretend“, „Electric Feel“ und „Kids“ zu einem der besten Debütalben dieses Jahrtausends mutierte und vom „Rolling Stone“ sogar in seine Liste der „500 besten Platten aller Zeiten“ aufgenommen wurde.

Neue Fan-Generation dank TikTok
Anstatt bieder dem Erfolgsrezept zu folgen, arbeiteten die beiden Masterbrains aber so, wie sie immer zu arbeiten pflegten: Streng nach dem Motto „Ohne Veränderung verharrt man im Stillstand“. „Congratulations“ (2010) und das selbstbetitelte „MGMT“ (2013) rückten immer stärker in eine neopsychedelische Ausrichtung. MGMT wurden irdischer, greifbarer, zugänglicher, aber auch austauschbarer und etwas beliebiger. Fast fünf Jahre ließ man dann ins Land ziehen, um Anfang 2018 mit „Little Dark Age“ ein sensationelles Comeback zu feiern. VanWyngarden und Goldwasser konzentrierten sich wieder verstärkt auf die Elektronik und hatten das Glück, auf der Social-Media-Hype-Plattform TikTok durch die Decke zu gehen. Der Titeltrack wurde von der Community als Botschaft gegen den Ukraine-Krieg, gegen soziale Ungerechtigkeit und für Trans-Rechte aufgenommen und mehr als fünf Millionen Mal verwendet.

Auf Spotify sind die Streamingzahlen von „Little Dark Age“ längst über die 500-Millionen-Marke hinausgestoßen. „Für mich ist das unbegreiflich, denn es ist ja nicht so, dass wir eine übliche Größe für die gemeine Pop-Welt wären“, beschrieb Goldwasser das überraschende Glanz-Comeback in einem Interview mit dem „Rolling Stone“, „mir ist natürlich bewusst, wer Taylor Swift ist, aber Erfolg bedeutet für jeden etwas anderes. Für uns sind solche Zahlen ein Riesenerfolg. Wir wissen, dass wir eine treue Fanbase haben, die sich tief in all unsere Alben gewühlt hat, dass wir aber sogar einmal kurz an der Oberfläche des Mainstreams schnuppern würden, ist eine Überraschung.“ Für die beiden Amerikaner stellte sich aber nicht die Frage, wie man von diesem Erfolg möglichst lange zehren könnte, sondern wohin der nächste Schritt gesetzt wird - und schnell war klar: Ein zweites „Little Dark Age“ darf keinesfalls passieren, das wäre gegen alle Prinzipien, die MGMT seit jeher auszeichnen.

Plötzlich Britpop
Auf dem Weg zum neuen in mehr als 20 Jahren erst fünften Studioalbum „Loss Of Life“ wurden noch einige Stolpersteine aus dem Weg geräumt. Die langjährige Beziehung mit dem Label Columbia kam zu einem Ende, die Luft war raus. Dazwischen ergingen sich MGMT in Nostalgie und spielten etwa das Debütalbum einmalig in voller Länge, während letzten Herbst die Kult-Single „Time To Pretend“ noch einmal Fahrtwind bei einer jüngeren Generation bekam, weil der Song im Überraschungsfilm-Hit „Saltburn“ prominent platziert wurde (fragen Sie nach bei Sophie Ellis-Bextor). Die Rückkehr ins Studio quittierte das Duo auf Social Media mit typischem Humor: eine Schildkröte, die versucht eine Zielflagge zu erreichen. Ende Oktober gab es erstmals ein großes Raunen im Camp der Band, als mit „Mother Nature“ als erste Single eine Nummer veröffentlicht wurde, die im Intro an Oasis erinnert und den Britpop-Gestus versteckt weiterträgt. „Damit hätten wir selbst niemals gerechnet“, lacht VanWyngarden, „aber nun ist es so. Nur das restliche Album klingt überhaupt nicht nach Oasis.“

„Loss Of Life“ trägt zuvorderst einen irreführenden Titel. Es geht mitnichten um die große Depression der Gegenwart, vielmehr wollen die beiden Kreativköpfe Themenkomplexe wie Liebe, Gemeinschaft und Zusammenhalt über uns stülpen. Dementsprechend warm und zugänglich ist auch die Instrumentierung ausgefallen. „Loss Of Life“ dreht sich wieder stärker in die greifbare, psychedelische Richtung und lässt wenig Raum für kühle Elektronik. Wo schon „Mother Nature“ mit sonnigem Gemüt um die Ecke biegt, wartet „People In The Streets“ mit einer ungewohnten Reife auf und „Bubblegum Dog“ mäandert mit einer schrägen Beatles-Ästhetik aus dem Verstärker. Elektronischer wird es dafür bei „Dancing In Babylon“, wo man niemand Geringeren als Christine And The Queens als Gast verpflichten konnte - übrigens der erste Gast in der doch schon längeren Bandgeschichte von MGMT. „Christine And The Queens hat aus einem Song, der nach den Magnetic Fields klingt, einen gemacht, der an Roxy Music erinnert.“

Wilder Spagat
„Loss Of Life“ ist nicht zuletzt voller Referenzen an Größen wie Steve Miller oder Belle & Sebastian, ohne sich dabei zu verheben oder allzu sehr an deren Oeuvre anzustreifen. VanWyngarden und Goldwasser, die wieder einmal getrennt voneinander komponiert und die Ideen dann im Studio zusammengefügt haben, gelingt mit dem neuen Album ein interessanter Spagat. Einerseits verbindet man das unsichere Gefühl ob der aktuellen Realität mit einer optimistischen Zukunftsperspektive, andererseits lässt man die Erfolgszitate von „Little Dark Age“ nicht völlig brachliegen, konzentriert sich aber vermehrt auf deutlich hervorstechende Gitarren und Handgemachtes. Gegen Ende hin wird es mit „I Wish Was Joking“ und dem Titeltrack „Loss Of Life“ fast schon etwas pathetisch, aber diese verträumte Großspurigkeit haben sich MGMT über die letzten Jahre redlich erarbeitet. Ein Österreich-Livetermin wäre wünschenswert - der letzte liegt schon elf Jahre zurück …

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