Bei BMW Motorrad sind alle Dämme gebrochen: Die Münchner bringen tatsächlich den stärksten aller Hochsitze auf den Markt, die BMW M 1000 XR. Das bedeutet: Technik praktisch 1:1 aus dem Supersportler, ähnliche Performance, aber ohne vorausgesetzte Leidensfähigkeit. Und so fährt sich des Wahnsinns große Schwester.
So habe ich die MXR genannt, als ihr Erscheinen bekannt gegeben wurde. Schließlich ist sie die Crossover-Version der M 1000 R, des stärksten aller Naked Bikes. Die gut eingeschenkte Vierzylinder-Mass stammt also aus der S 1000 RR, muss nur ein paar PS auf 201 PS abspecken, 113 Nm schieben im Extremfall an.
Sie steht mächtig da, hoch breit, fett beflügelt. Die Winglets bringen gleich viel Abtrieb wie bei M 1000 R und S 1000 RR, also 12 Kilogramm bei 220 km/h (nur die MRR hat doppelt so viel). Auch am Heck verbessern Luftführungselemente das Fahrverhalten. Die M-Farben tragen zusätzlich zum respekteinflößenden Auftritt bei, auch das aufpreispflichtige M Competition Paket, zu dem viel Carbon gehört, inklusive den Felgen.
„Manche haben so viel Respekt, dass sie sich gar nicht richtig zu fahren trauen“, sagt Baureihenleiter Toine Ruhe nach der gemeinsamen Testfahrt in Südspanien. „Sie lassen sich richtig einschüchtern.“ Klar, dieses urgewaltige Bike braucht Respekt, viel Respekt. Aber wenn man sich darauf einlässt und die entsprechende Körpergröße hat, verschmilzt man geradezu mit ihm, wenn man aufsteigt. Da hat man mächtig was zwischen den Beinen, die sich harmonisch an den 20-Liter-Tank schmiegen.
Feine Sitzposition
Die bisher bei der S 1000 XR kritisierte eingezwängte Sitzposition wurde spürbar verbessert, der Sitz einen Zentimeter höher gesetzt (auf 85 cm) und der Spielraum erweitert. Jetzt zwickt nichts mehr. Es ist sogar angenehm, dass man von hinten gehalten wird. Der Kniewinkel ist sportlich, aber dennoch relaxed. Langsam wird klar, dass die XR für viele Kunden wohl die bessere RR ist. Später wird sich zeigen, dass man auch nach langen Strecken entspannt absteigt, ohne schmerzende Knie oder andere Gebrechen, die in einer Altersklasse, in der man über 30.000 Euro für ein Motorrad anlegen kann, gerne mal auftreten.
Es geht los. Der hohe, breite Lenker macht das Dirigieren leicht, er ist breiter und weiter vorn angebracht als bei der S 1000 XR. Die optionalen Lenkerendenspiegel bieten gute Sicht nach hinten; Vibrationen, die mich noch bei der M 1000 R gestört haben, fallen mir diesmal nicht auf. Butterweich schaltet der Quickshifter, auch die Gasannahme lässt einen nicht gleich in Stress verfallen. Schon gar nicht im Road-Modus, aber auch Dynamik ist bei aller Schärfe nicht so überfordernd wie etwa bei einer Ducati. Wer nicht gerade der totale Grobmotoriker ist, kann ganz entspannt durch den Verkehr gleiten. Und das mit bester Übersicht, dank der hohen Sitzposition.
Wind ohne Sturm
Auf dem Weg in die Berge geht es über die Autobahn. Der Windschild ist auch während der Fahrt manuell zweistufig zu verstellen. Man spürt den Wind, aber vor allem in der hohen Position keinen Druck, nicht einmal bei 200 km/h, die wir vielleicht gefahren sein könnten. Da würden bei der M 1000 R die Arme schon sehr lang werden. Natürlich ist man sehr schnell auf hohem Tempo, den Sprint auf 100 km/h gibt BMW mit 3,2 Sekunden an, den auf 200 km/h mit 7,4 Sekunden, das Höchsttempo mit 278 km/h. Das haben wir aber dann doch nicht ausgefahren.
Wir erreichen das Kurvenreich im Hinterland von Málaga. Herrlicher Asphalt unter den Bridgestone Racing Street RS11, der Duft der sich gerade entfaltenden Mandelblüten in der Nase, der Sound des Akrapovic-Auspuffs in den Ohren und in den Händen eine Urgewalt, die sich mit dem hohen, besonders breiten Lenker geradezu spielerisch dirigieren lässt. Ja, man muss schalten, aber dank Shift Cam ist auch unten herum Kraft vorhanden.
Es geht heftiger vorwärts als bei der auf 170 PS erstarkten S 1000 XR. Einerseits weil der Motor gieriger in Sachen Drehmoment ist (100 Nm liegen schon 1000 Touren früher an) und im Bereich des Maximaldrehmoments keine kurze Spitze, sondern ein langes Plateau hat. Bei 14.000/min. liegen noch immer über 100 Nm an, bei 14.600/min. greift der Begrenzer. Wo die S bei 12.000/min. abregelt, stemmt die M noch immer mehr als 110 Nm. Die Shift Cam schaltet bei rund 9000/min. spürbar um.
Andererseits weil die Übersetzung der M 1000 R übernommen wurde. Dank kürzerer Sekundärübersetzung kommt noch mehr Kraft am Hinterrad an, das Kettenrad hat 47 statt 45 Zähne. Außerdem sind die Gänge 4, 5 und 6 kürzer übersetzt.
Schon die Carbonfelgen sind ein Traum
Man muss man auf öffentlichen Straßen gar nicht in die ganz hohen Drehzahlen ausreizen, um richtig Spaß zu haben. Allein die Sportreifen-bestückten Carbonfelgen lassen ein ungeahntes Kurvenwedeln zu. Anfangs ist das Verhalten noch sehr ungewohnt, weil man überraschend wenig Kraft braucht, um von einer Seite auf die andere umzulegen.
Das ist einer der drei Vorteile der insgesamt über zwei Kilogramm leichteren Carbonfelgen. Dazu kommen die geringeren ungefederten Massen und zu guter Letzt das geringere Gesamtgewicht. Insgesamt bringt die M 1000 XR mit M Competition Paket nur 220 statt 223 kg auf die Waage.
So wedelt die M 1000 XR unfassbar leichtfüßig durchs Kurvengeschlängel, die Gummis (120/70 ZR17 bzw. 200/55 ZR17) haften herrlich, wenn sie auf Temperatur sind.
Die M-Bremsen mit den zwei 5 mm dicken 320-mm-Scheiben vorne packen dauerhaft mächtig zu und sind nicht aus der Reserve zu locken. Auch die Elektronik stammt von der M 1000 R, mit allen Einstellmöglichkeiten. Der Brake Slide Assist soll Anbremsdrifts auf der Rennstrecke erleichtern, was aber Normalfahrer nicht zu wilden Experimenten verleiten sollte. Massentauglicher ist hingegen die zusätzliche Einstellbarkeit der Federbasis der Gabel und des Federbeins. Das semiaktive Fahrwerk (Dynamic Damping Control/DDC) ist bei der XR generell Serie.
Verzichten muss man bei der MXR nur auf eines: Kofferhalter sind nur für die SXR erhältlich, die MXR ist dafür nicht ausgelegt.
Beide XRs sind schon bestellbar und stehen ab April 2024 beim Händler. Die S 1000 XR ab 22.690 Euro, die M 1000 XR ab 30.650 Euro. Dazu sollte man gut 6000 Euro für das M Competition Paket einplanen, also viel Carbon, einige Frästeile und GPS Laptrigger für die Datenanalyse auf der Rennstrecke.
Fahrzit
Hat da jemand gesagt, die BMW M 1000 XR ist verrückt? Nein, ist sie nicht. Sie ist in der Leistungsklasse wahrscheinlich eines der vernünftigsten Motorräder überhaupt. Man kann mit ihr lange Strecken - auch mit hohem Tempo - relativ entspannt absolvieren, was weder mit der MR noch mit der MRR möglich sein dürfte. Die relaxt-sportliche Sitzposition sorgt dafür, dass man fit und konzentriert bleibt - ein unschätzbarer Sicherheitsgewinn. Und ob man mit einem zugespitzten Supersportler auf der Rennstrecke wesentlich schneller ist, müsste sich erst noch zeigen. Glaubt auch Toine Ruhe, der zum Schluss noch ein Geheimnis der guten Fahrbarkeit aus dem Ärmel schüttelt: die enge Verwandtschaft des Rahmens zu dem der RR. Auf jeden Fall wird man nach einer Session entspannter absteigen.
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