Rückschlag für Kiew: Die ukrainische Armee muss sich im Krieg gegen die russischen Invasoren aus der seit Monaten stark umkämpften Stadt Awdijiwka zurückziehen. Die Armee will den Ort aber offenbar nicht aufgeben. Man werde zurückkehren, verbreitete der neue Oberbefehlshaber Olexander Syrskyj Optimismus.
„Angesichts der operativen Lage um Awdijiwka habe ich beschlossen, unsere Einheiten aus der Stadt abzuziehen und auf günstigeren Linien in die Verteidigung zu gehen, um eine Einkreisung zu vermeiden und das Leben und die Gesundheit der Soldaten zu schützen“, schrieb Syrskyj am frühen Samstagmorgen auf Social Media.
Größter Rückschlag seit Fall von Bachmut
Russische Truppen versuchen seit Oktober 2023 unter hohen Verlusten, Awdijiwka zu erobern. Die ehemalige Industriestadt war seit 2014 Vorposten der Ukraine in unmittelbarer Nähe zu Donezk, der russisch beherrschten Hauptstadt des Kohle- und Stahlreviers Donbass. Eine Eroberung der Stadt durch russische Truppen sei zwar strategisch nicht bedeutend, sie lasse sich aber vom Kreml propagandistisch ausschlachten vor der russischen Präsidentenwahl im März, schrieben die Experten des US-amerikanischen Instituts für Kriegsstudien (ISW). Zuletzt hatte die Ukraine im Frühjahr 2023 die ebenfalls monatelang umkämpfte Stadt Bachmut aufgeben müssen. Der Fall von Awdijiwka ist seitdem der größte Rückschlag für die Ukraine.
Syrskyj schrieb weiter, die Soldaten erfüllten ihre militärische Pflicht mit Würde und machten alles, „um die besten russischen Militäreinheiten zu vernichten“; sie fügten dem Feind erhebliche Verluste an Personal und Ausrüstung zu. „Wir ergreifen Maßnahmen, um die Lage zu stabilisieren und unsere Positionen zu halten.“ Das Leben der Militärangehörigen sei der höchste Wert.
„Feind rückt über Leichen eigener Soldaten vor“
Der kommandierende General für diesen Frontabschnitt, Olexander Tarnawskyj, schrieb auf Telegram, die Armee habe Awdijiwka gemäß Befehl verlassen und habe die vorbereiteten Stellungen erreicht. „In einer Situation, in der der Feind unter ständigem Bombardement über die Leichen seiner eigenen Soldaten vorrückt und dabei einen Vorteil von zehn zu eins hat, ist dies die einzig richtige Entscheidung“, schrieb er. Die Einkesselung sei verhindert worden, das Personal abgezogen, die Soldaten nähmen die Verteidigung an den vorgesehenen Linien auf.
In den vergangenen Tagen war die Lage für die ukrainischen Verteidiger in der Stadt immer schwieriger geworden. Die ukrainischen Verteidiger wehrten sich unter „unmenschlichen Bedingungen“, hieß es am Freitag vom Pressedienst der in Awdijiwka eingesetzten 110. Brigade der ukrainischen Armee. „Heute wirft der Feind enorme Kräfte in Form von Personal, gepanzerten Fahrzeugen und Flugzeugen in Richtung Awdijiwka.“
Einkesselung stand bevor
Russische Truppen seien von mehreren Seiten vorgerückt, analysierten die ISW-Experten in ihrem Tagesbericht für Donnerstag. Durch Fotos sei belegt, dass russische Truppen von Norden her an der großen Kokerei von Awdijiwka vordringen. Im Süden der Stadt sei eine wichtige befestigte Verteidigungsanlage der Ukrainer erobert worden. „Russische Truppen können die Einkesselung einiger ukrainischer Kräfte vollenden, wenn die ukrainischen Truppen sich nicht zurückziehen oder erfolgreiche Gegenangriffe unternehmen“, folgerten die Beobachter.
„Leben retten hat höchste Priorität“
Die ukrainische Seite hatte bereits am Donnerstag berichtet, dass ihre Truppen sich aus einigen vorgeschobenen Stellungen zurückziehen. Brigadegeneral Tarnawskyj sprach davon, dass noch Verstärkungen in bedrohte Gebiete gebracht würden. Aber er sagte auch, dass neue Stellungen vorbereitet würden. „Wir schätzen jedes Stück ukrainischen Bodens, aber der höchste Wert und die höchste Priorität für uns ist es, das Leben der ukrainischen Soldaten zu retten“, schrieb der General auf Telegram.
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