Biathlon-Krise

Im ÖSV müssen sämtliche Alarmglocken schrillen

Salzburg
19.02.2024 23:09

Salto nullo für Österreichs Biathleten. Erstmals seit 2015 blieben die rot-weiß-roten Loipenjäger bei einer Weltmeisterschaft ohne Medaille. Das hat Gründe, so zeigt die Entwicklung im heimischen Lager schon länger in die falsche Richtung. Eine „Krone“-Analyse.

Mit einer gehörigen Portion Wehmut denkt man zurück an die Biathlon-Weltmeisterschaften 2009 in Pyeongchang, 2016 in Oslo, im Jahr darauf in Hochfilzen oder an die Titelkämpfe 2021 in Pokljuka.

In jenen Jahren waren Österreichs Loipenjäger auf Augenhöhe mit der internationalen Konkurrenz. Dominik Landertinger, Christoph Sumann, Simon Eder oder auch Lisa Hauser sorgten auf der ganz großen Bühne für Furore und beschenkten sich und die rot-weiß-roten Fans mit Medaillen.

Diese Zeiten sind - zumindest vorerst - vorbei. Erstmals seit 2015 in Kontiolahti ging das ÖSV-Team bei Weltmeisterschaften wieder leer aus. Mehr als die Ränge sechs (Lisa Hauser) und sieben (Anna Gandler) im Massenstart von Nove Mesto na Morave war nicht drin, in den Staffelbewerben landete das Mixed-Quartett als Höhepunkt auf Position sechs. Bei den Herren war der zwölfte Rang durch Altmeister Simon Eder im Einzelbewerb das Maximum.

Simon Eder (li.) und David Komatz. (Bild: GEPA pictures)
Simon Eder (li.) und David Komatz.

Im ÖSV darf niemand zufrieden sein
Angesichts der schwachen Vorleistungen im laufenden Winter durfte man von mehr träumen, aber nicht mehr erwarten. Zufrieden sein darf im Österreichischen Skiverband jedenfalls niemand. Im Gegenteil: Nach einer bislang enttäuschenden Saison müssen sämtliche Alarmglocken schrillen!

Die ernüchternde Diagnose des Patienten ÖSV-Biathlonteam lautet: Er muss dringend wiederbelebt werden! Österreich zählt aktuell nicht mehr zur absoluten Weltspitze. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Besonders eklatant ist die Laufschwäche.

Ein Blick auf die Top-15 im Herrenweltcup im Vergleich mit den ÖSV-Startern zeigt, dass Simon Eder bei den Schießzeiten nach wie vor mit den Allerbesten mithalten kann und sogar zu den tonangebenden Athleten zählt. In der Loipe sind die Norweger, Franzosen und Deutschen aber meilenweit voraus.

Läuferisch chancenlos gegen die Schnellsten
Der Beste aus ÖSV-Sicht ist bislang Eder, der minimal langsamer ist als der durchschnittliche Läufer eines Rennens. David Komatz, Felix Leitner, Patrick Jakob, Magnus Oberhauser und Dominic Unterweger verloren noch deutlich mehr Zeit und liegen klar über dem Schnitt.

Nimmt man alle Einzelrennen dieser Saison als Grundlage, liefen Johannes Dale-Skjevdal oder Johannes Thingnes Boe (beide Norwegen) rund sechs Prozent schneller als der Durchschnitt. Davon können die heimischen Athleten nur träumen.

Das eine oder andere missratene Rennen lässt sich durch Krankheiten und gesundheitliche Probleme erklären. Eder verpasste etwa Hochfilzen krankheitsbedingt und war in der Lenzerheide nicht auf der körperlichen Höhe. Komatz hatte mehrfach mit Rückenbeschwerden zu kämpfen. Leitner fiel generell in ein Leistungsloch, Unterweger verpasste die WM aufgrund einer Gürtelrose.

Das Material spielt eine bedeutende Rolle
Ein Term in der Leistungsgleichung ist das Material. Je besser die Ski, desto schneller die Athleten. Klingt plausibel, ist aber deutlich komplizierter. Schliff, Struktur und Wachs müssen eine perfekte Symbiose ergeben - das ist eine Wissenschaft für sich! Zumal durch das Fluorverbot vor diesem Winter die Karten völlig neu gemischt wurden.

Österreichs Servicecrew reißt sich diesbezüglich vor jedem Rennen den Hintern auf, um die Athleten mit Raketen unter den Füßen auf die Reise zu schicken. Wer sich die Laufzeiten ansieht, kommt allerdings rasch zum Schluss, dass dies nur in wenigen Bewerben tatsächlich gelang.

Klar ist auch, dass die ÖSV-Herren aktuell - unabhängig vom Material - nicht mit den Besten Schritt halten können. Dass Eder, der am Freitag 41 Jahre alt wird, das Zugpferd ist, ist dem Salzburger gar nicht hoch genug anzurechnen, spricht im Umkehrschluss aber auch nicht für die deutlich jüngeren Teamkollegen. Laufrückstände wie im Sprint, als die ÖSV-Herren zwischen 10 und 15 Prozent langsamer waren als Johannes Thingnes Boe, sind allerdings zu einem Großteil auf Materialunterschiede zurückzuführen.

Schockierende Zahlen: Von 43 Top-10-Plätzen auf null
Blickt man nun auf die Ergebnisse in diesem Winter und vergleicht diese mit den vergangenen 15 Jahren, stellt man schockiert fest, dass Österreichs Team nur noch ein Schatten seiner selbst ist. Nicht ein einziger Top-10-Platz gelang den Mannen von Cheftrainer Vegard Bitnes bislang. Besserung ist nur bedingt in Sicht.

In den beiden vorangegangenen Jahren erreichte man mit sieben (2021/22) sowie sechs (2022/23) neue Tiefpunkte. Zum Vergleich: In den Erfolgsjahren 2008/09 sowie 2009/10 gab es 43 bzw. 41, in den Folgesaisonen lag man zwischen 13 und 31. Davon kann keine Rede mehr sein.

Von Siegen und Podestplätzen ganz zu schweigen. Stand man zwischen 2008 und 2019 noch regelmäßig am Stockerl, wartet man seit inzwischen mehr als drei Jahren im Herrenlager auf eine Podiumsplatzierung.

Auch die Leistungskurve der Damen zeigt nach unten
Ein Abwärtstrend ist indes auch bei den Damen erkennbar, wenngleich diese deutlich besser abschneiden als die Männer. In den vergangenen Jahren gab es zwischen elf und 18 Top-10-Ergebnisse, aktuell sind es nur vier. Stockerl oder gar Siege sucht man - anders als zuletzt - vergeblich.

Auch hier sind neben Materialproblemen gesundheitliche Rückschläge ein bedeutender Faktor. Lisa Hauser etwa war nicht nur in der Vorbereitung krank, sondern auch im Dezember (verpasste Lenzerheide) sowie unmittelbar vor den Weltmeisterschaften in Nove Mesto.

Auch Anna Gandler musste rund um die Weihnachtsfeiertage das Training pausieren, weil der Körper streikte. Dunja Zdouc beendete zuletzt sogar die Saison vorzeitig. Aufgrund des Potenzials einiger Ladys ist die Ausbeute dennoch nicht zufriedenstellend.

Daher stellt sich die Frage: Quo vadis, ÖSV-Biathlonteam? Die positive Antwort: Es gibt Licht am Ende des Tunnels. Warum?

*) Weil Lisa Hauser, sobald sie wieder bei voller Fitness ist, angesichts ihrer Qualitäten wieder regelmäßig den Sprung in die absolute Weltspitze schaffen wird.

*) Weil Anna Gandler drauf und dran ist, es ihrer Tiroler Landsfrau nachzumachen. Die Innsbruckerin beeindruckte mit einer starken WM (in allen Einzelbewerben in den Top-20) und bringt alles mit, um eine Weltklasse-Biathletin zu werden.

*) Weil Anna Juppe tolle Anlagen hat und diese auch schon das eine oder andere Mal aufblitzen ließ und weil Tamara Steiner zu den Topschützinnen zählt und auch läuferisch einen Sprung nach vorne machte.

*) Weil Österreich über einige Toptalente verfügt, die immer mehr Druck auf die Etablierten ausüben. Lea Rothschopf kann auf ein gelungenes WM-Debüt zurückblicken und wird voraussichtlich in den kommenden Wochen weitere Chancen erhalten. Anna Andexer dominierte den Junior Cup nach Belieben und machte den zweiten Gesamtsieg en suite bereits vor den letzten Saisonrennen klar. Mit Lara Wagner, Wilma Anhaus oder Leonie Pitzer drängen weitere Rohdiamanten nach.

Und bei den Herren?

Da ist die Ausgangslage deutlich schwieriger, ging fast eine ganze Generation an Athleten verloren. Zwischen Eder (Jahrgang 1983) und Leitner (1996) ist mit Komatz (1991) nur noch einer aktiv. Drucksituation ergab sich zuletzt keine, da der ÖSV kaum mehr Athleten im Elitebereich hat, als im Weltcup und IBU-Cup Startplätze zur Verfügung stehen.

Im besagten IBU Cup ist Fredrik Mühlbacher derzeit als Gesamt-26. bester Österreicher. Als äußerst vielversprechend gilt Fabian Müllauer. Der 21-Jährige bestimmte die Laufzeiten im Junior Cup in dieser Saison nach Belieben und war zuletzt auch eine Stufe höher zweimal in den Top-10. Der Salzburger muss allerdings an seinen Qualitäten am Schießstand arbeiten. Lukas Haslinger ist ein weiteres Talent, der schießstarke Pinzgauer gewann zuletzt Bronze bei der Junioren-EM. Er muss hingegen im läuferischen Bereich stark zulegen.

Insgesamt bringt aber die beste Komplexleistung nichts, wenn am Materialsektor die nötigen PS fehlen. Insofern wartet auf Neo-ÖSV-Sportdirektor Mario Stecher eine Mammutaufgabe. „Wenn man sich die Biathlon-Rennen anschaut, ist zu erkennen, dass nicht alles eitel Wonne ist“, meinte er zuletzt vielsagend.

Der Steirer ist jemand, der den Finger in die Wunde legt. Auch wenn es noch so wehtut - genau das ist jetzt gefragt. Damit der Patient ÖSV-Biathlonteam in absehbarer Zeit gesunden und den Anschluss an die Weltspitze wiederherstellen kann.

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