Fremde Menschen schütten ihr am Telefon ihr Herz aus: Anna (60) aus dem Großraum Linz ist pensionierte Sekretärin, dreifache Oma und engagiert sich seit zweieinhalb Jahren ehrenamtlich im Plaudernetz der Caritas. Mehr als 300 Gespräche mit Unbekannten hat sie geführt und über 50 Stunden geredet.
Wer bei der Caritas die Plaudernetz-Nummer wählt, kommt zu einem der knapp 3600 Freiwilligen. „Ich schaue, dass ich einmal am Tag ein Gespräch annehme. Das dauert dann zwischen einigen Minuten und über einer Stunde“, erzählt Anna. Oft rufen einsame Menschen an. Die negativen Themen überwiegen dabei. „Ich muss oft Leute trösten, etwa aufgrund von Trennungen. Manche ertränken ihren Kummer in Alkohol, rufen betrunken an. Dann sage ich, sie sollen sich wieder melden, wenn sie nüchtern sind“, so Anna. Mit einigen Anrufern hat sie zufällig mehrmals telefoniert: „Das erkenne ich gleich. Viele Männer und Frauen verbringen täglich Stunden im Plaudernetz. Mir war vorher nicht bewusst, wie viele Menschen es gibt, die ganz alleine sind!“
Persönliches Treffen mit Anrufern ist tabu
Meistens telefoniert Anna mit älteren Frauen, die häufig nach ihrer Pensionierung bemerken, wie einsam sie sind. Doch auch Männer sind regelmäßig bei Anna in der Leitung - und wollen sie oft persönlich kennenlernen. Mit sympathischen oder aufdringlichen Anrufern hat die Plauderin aber noch nie Daten ausgetauscht. Das Plaudernetz läuft komplett anonym - und das soll für Anna auch so bleiben: „Ein Tiroler Skilehrer wollte mich zum Beispiel unbedingt mal zum Skifahren einladen. Das habe ich natürlich abgelehnt!“, erinnert sich die 60-Jährige mit einem Schmunzeln.
Anna ist ein „Kümmerer-Typ“
Hin und wieder bekommt Anna, die von sich sagt, sie sei ein „mütterlicher Typ, der sich gerne kümmert“, auch positive Anrufe: Eine Tirolerin etwa würde ihr öfters etwas vorsingen. Auch Kochtipps hätte sie vom Gegenüber in der Leitung bereits erhalten. Übrigens: Einfach auflegen gibt es für Anna nicht, auch wenn die Gespräche noch so lange sind: „Wer anruft, hat es auch verdient, dass ich mit ihm rede. Dafür bin ich Plauderpartnerin.“
Einsamkeit wird leider oft als beschämend empfunden. Aber mit dem Plaudernetz muss sich niemand einsam fühlen.
Barbara Lauss-Dietachmair von der Caritas
Mehr als 41.000 Gespräche
Im Caritas-Plaudernetz sind aktuell 3590 freiwillige Plauderpartner in ganz Österreich aktiv. Im Durchschnitt plaudern Anrufer und freiwillige Zuhörer 25 Minuten miteinander, die Gespräche können aber auch über eine Stunde dauern. Seit der Gründung des Plaudernetzes im Pandemiejahr 2020 wurden insgesamt mehr als 41.000 Gespräche geführt. „Einsamkeit wird leider oft als beschämend empfunden. Mit dem Plaudernetz muss sich niemand alleine fühlen“, sagt Barbara Lauss-Dietachmair von der Caritas. Unter der Telefonnummer 05 1776 100 werden Anrufer täglich zwischen 10 und 22 Uhr mit einem Plauderpartner verbunden.
Unterschied zur Telefonseelsorge
Telefonnummern, unter denen man sich Hilfe holen kann, gibt es viele. Der Unterschied zur Telefonseelsorge oder einem Krisentelefon ist, dass beim Plaudernetz keine Experten abheben. Es sind Freiwillige, die kein aufwendiges Bewerbungsverfahren durchlaufen. Wer unter schweren psychischen Krisen leidet, sollte aber die Telefonseelsorge unter 142 anrufen.
Plauderpartner werden
Jeder, der ein österreichisches Mobiltelefon und Freude am Zuhören hat, kann sich als Plauderpartner anmelden. Auf www.plaudernetz.at kann man sich registrieren und wird dann (in selbst definierten Zeiträumen) angerufen. Wer gerade keine Zeit zum Telefonieren hat, muss sich nicht sorgen. Das Gespräch wird einfach an einen anderen Plauderpartner weitergeleitet.
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