Stadtspaziergänge

Krieg: Wenn die Zeitzeugen langsam aussterben

Wien
26.02.2024 16:00

„Krone“-Reporter Robert Fröwein flaniert durch die Stadt und spricht mit den Menschen in Wien über ihre Erlebnisse, ihre Gedanken, ihre Sorgen, ihre Ängste. Alltägliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Der Zweite Weltkrieg war bei uns zu Hause (leider) nie ein wirklich großes Thema. Aus diversen Gründen hatte ich nie einen Großvater, sie verstarben alle vor meiner Geburt. Meine Großmutter, Jahrgang 1926, hat die Gräuel des Zweiten Weltkriegs miterlebt. Sie haben sich wie tiefe Narben in ihre Psyche gebrannt, dementsprechend widerwillig erinnerte sie sich daran zurück. Selten, aber mit Nachdruck versuchte ich ihre unsichtbare, dennoch fest aufgebaute Schutzmauer mit Fragen zu durchdringen, kam dabei aber nie sonderlich weit. Nur wenige Bruchstücke und Geschichtsfetzen aus ihrer eigenen Adoleszenz haben den Weg aus ihrem Unterbewusstsein zu mir gefunden, zu schmerzhaft war ihre Retrospektive an ständige Entbehrung und leidvollem Verlust. Mit ihrem Tod vor elf Jahren verstarb auch meine letzte direkte Quelle an eine Zeitzeugin.

Erst vor wenigen Wochen wurde in einem ausführlichen und intensiven Artikel in der „FAZ“ beleuchtet, dass das sukzessive, altersbedingte Aussterben von Zeitzeugen die Gefahr einer zunehmenden Geschichtsvergessenheit birgt. Dieser Gedanke ist so simpel, wie nachvollziehbar: Je weniger aus dem Herz und der direkten Realität des Grauens berichtet werden kann, umso ferner wirkt diese Zeit. Den Geschichten und Erfahrungsberichten Überlebender wurde zudem lange viel zu wenig Gehör geschenkt. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in den Nachkriegsjahren wäre, gelinde gesagt, verbesserungswürdig gewesen. Entnazifizierung bedeutete nicht automatisch, das Volk wäre frei von Nazi-Gedankengut gewesen. Zudem überlagerten finanzielle Sorgen die Vergangenheitsbewältigung. Der Wiederaufbau veranschlagte Kraft und Konzentration.

Anstatt sich mit wichtigen Begriffen wie dem Nationalsozialismus, dem Holocaust oder Konzentrationslagern auseinanderzusetzen, wurden die Begriffe tabuisiert. Österreich suhlte sich gerne in seiner Opferrolle. Mahnende Worte von KZ-Überlebenden wurden oft erst verspätet ernst genommen, waren aber essenziell, um sich seriös und offen mit dem Thema auseinanderzusetzen. Später wurden Zeitzeugen in Schulen geladen, während abertausende Kinder und Jugendliche Mauthausen besuchten und vom kalten Grauen berichteten, der ihnen dabei über die Schulter lief. Heute sind KZ-Gedenkstätten mitunter Orte geschmackloser Selfie-Wettbewerbe und der frei zur Schau gestellte Antisemitismus feiert nicht nur aufgrund der Israel-Palästina-Thematik in so manchen Kreisen fröhliche Urständ.

Am Campus der Religionen in der Donaustadt wurde unlängst die jüdische Fahne zerrissen, in Leopoldstadt wurden Erinnerungssteine mit gelber Farbe übergossen. Diese Vorfälle reihen sich ein in eine ganze Welle an grausamen Taten, die sich nicht nur in Wien häufen und für ein bedrohliches Klima sorgen. In Zukunft will man verstärkt mit Hologrammen und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz als Zeitzeugenersatz arbeiten. Natürlich lässt sich Geschichte so reflektieren, doch ist es ein gewaltiger Unterschied, ob man das unfassbare Erlebte emotional und authentisch von einem Menschen aus Fleisch und Blut erzählt bekommt, oder von einer virtuellen Projektion eines solchen. Es liegt an allen, mit Wachsamkeit, Toleranz und Offenheit durchs Leben zu gehen. Damit das Geschehene nicht mehr wiederholt wird - auch wenn uns die Zeitzeugen verlustig gehen.

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