Liam Gallagher und John Squire haben mit ihren Hauptbands Oasis und The Stone Roses den Manchester-Sound der 90er-Jahre und die gesamte Britpop-Welle geprägt. Im gesetzteren Alter finden die beiden Legenden nun für ein gemeinsames Album zusammen. Das bietet zwar wenig Überraschungen auf, überzeugt aber mit viel Liebe zur Nostalgie.
17 Jahre jung war der damals schon rüpelige Liam Gallagher, als er die Manchester-Helden Stone Roses 1990 das erste Mal live sah und ein, wie er es später selbst öfters erwähnen sollte, „Erweckungserlebnis“ hatte. Nur vier Jahre später war er dank der Zusammenarbeit mit Bruderherz Noel und dem Debütalbum „Definitely Maybe“ einer der größten Rockstars des Planeten, während es mit den Stone Roses und ihrem famosen Gitarristen John Squire schon stetig bergab ging. Die Stone Roses mögen zwar die wichtigsten Pioniere der hellauf flackernden Britpop-Welle der 90er-Jahre gewesen sein, die Lorbeeren haben mit Oasis, Blur, The Verve, Pulp und Co. zu einem Großteil andere eingeheimst. Obwohl beide unterschiedlichen Lebensentwürfen folgten, konnten sie mit ihren Leben und Karrieren der letzten Dekaden durchaus zufrieden sein.
Im Rampenlicht und abseits davon
Liam machte bekanntlich Weltkarriere mit Oasis, bis es 2009 zur großen Implosion kam. In den Vulkankratern der beiden Brüder brodelt es seither immer noch munter weiter. Liams Songwritingqualitäten blieben - zugegeben - verbesserungswürdig und mit dem Behelfsprojekt Beady Eye ließen sich zumindest Festivalbühnen für Oasis-Nostalgiker füllen. Als Solokünstler gelangen ihm die letzten Jahre aber einige große Würfe, als Die-Hard-Man-City-Fan kooperierte er sogar mit United-Ikone Eric Cantona. Zudem bekam Liam durch sein nicht enden wollendes Pubertätsverhalten auch eine Fanbase bei jüngeren Rockfans, die mit der umgreifenden PC der Generation Z nicht happy werden. Squire hing die Gitarre lange an den Nagel und packte sie nur für eine temporäre Stone-Roses-Reunion aus. Ansonsten agierte er in den heimatlichen Hügeln von Macclesfield als Maler und isolierte sich vom Rampenlicht.
Als Liam Gallagher 2022 seine beiden legendären Knebworth-Konzerte spielte, kam plötzlich Squire auf die Bühne, hing sich für „Champagne Supernova“ die Gitarre um und leckte Blut. Die beiden langjährigen Freunde, deren Verhältnis - vor allem für Gallagher unüblich - seit jeher von großem Respekt geprägt ist, blieben in Kontakt. Squire schrieb auf seinem Landsitz ein paar Songs und Liam musste ohnehin wieder den Ärger verrauchen, den ihm Noel einbrockte, weil der das x-te Mal nicht auf die Wiedervereinigungsversuche Liams gen Oasis reagierte und man heuer auch das 20-jährige Jubiläum von „Definitely Maybe“ in trauter Zwietracht verstreichen lässt. Im Mai 2023 flogen Squire und Liam mit einem Koffer voller Songs zu Adele-Produzent Greg Kurstin nach Los Angeles und spielten das nun erscheinende, gemeinsame Album ein. Klangveredler Kurstin wusste sofort, dass er mit Begriffen wie „Hochglanz“ oder „polished“ nicht weit kommen würde und beließ das Werk angenehm kratzbürstig.
Das Beste aus beiden Welten
Die Überraschungsmomente auf dem mit rund 45 Minuten perfekt drapierten Werk halten sich natürlich in Grenzen. Man bekommt im Großen und Ganzen eine perfekte Mischung aus der Hittauglichkeit und Zugänglichkeit von Oasis-Songs und der lässigen, stärker im Underground verhafteten Gitarren-Attitüde der Stone Roses. Die beiden vorab veröffentlichten Singles haben die grobe Richtung schon im Jänner vorgegeben. „Just Another Rainbow“ ist mit seinen psychedelischen-60s-Gitarren-Licks und der „Revolver“-Ästhetik der Beatles nicht nur ein instrumentales Highlight. Liam schwingt seine einzigartige Stimme auf diesem Track in lichte Höhen und verursacht so viel Gänsehaut wie seit rund 20 Jahren nicht mehr. „Mars To Liverpool“ wagt sich stärker Richtung Stadionsound, ohne sich aber zu stark an den eigenen Projekten der Vergangenheit anzubiedern.
Kurstins Vintage-Sound steht den Songs sehr gut zu Gesicht, weil auch Squires gitarrenbasierte Grundideen keinesfalls nach Perfektion oder einer besonderen Politur schreien. In puncto großer Hallensound ist noch am ehesten der Opener „Raise Your Hands“ (nein, es ist kein Bon-Jovi-Cover) zu verorten, ansonsten wagen sich die beiden Mancunians gerne in etwas schrägere Gefilde, was ihnen gut zu Gesicht steht. In „Love You Forever“ schwingt sich Squire zu einem Jimi-Hendrix-Gedächtnissolo der Ära „Voodoo Child“ auf, „I’m A Wheel“ ist eine Mischung aus schlürfendem Led-Zeppelin-Blues und John-Lennon-Hippieästhetik zu dessen Solophase und das abschließende „Mother Nature’s Song“ heißt wohl nicht zufällig fast so, wie der Beatles-Track „Mother Nature’s Son“ - mittlerweile hat Liam es schon ganz aufgegeben, seine Einflüsse auch nur sanft verhehlen zu wollen.
Gekommen, um zu bleiben
Mit dem gemeinsamen Projekt gehen Liam Gallagher und John Squire nun auch auf UK- und Europa-Tour. Viel Zeit bleibt nicht, denn der Sommer steht ganz im Zeichen von Liams Oasis-Nostalgie, also muss dieses Projekt sich vorerst auf ein Minimum an Konzentration beschränken. Das ist insofern schade, als die Vermischung der beiden 90er-Granden aus Manchester genau die Stärken des jeweils Einzelnen hervorkehrt, mit denen man rechnen konnte. Gallaghers markante Stimme trägt die Songs genauso wie Squires experimentelles Gitarrenspiel, das zeitweise eine Frische an den Tag legt, die an die seligen Hochzeiten seiner Hauptcombo erinnert. Tracks wie „Make It Up As You Go Along“ hängen qualitativ zwar schon deutlich hinter den Highlights hinterher, aber die beiden Kultfiguren musizieren mit hörbarer Leidenschaft und Passion zusammen. Ein Projekt, das definitiv noch nicht auserzählt ist.
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