Politisches Erdbeben

Schuldspruch für Kurz: Seine bitterste Stunde

Gericht
24.02.2024 06:01

Zu acht Monaten bedingter Haft wegen Falschaussage vor dem U-Ausschuss wurde Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz am zwölften Prozesstag im Wiener Landesgericht verurteilt. Sein früherer Kabinettschef Bonelli fasste sechs Monate aus (auch bedingt). Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Politisch wird aber jetzt kein Stein auf dem anderen bleiben.

„Das Urteil überrascht mich sehr. Ich empfinde es als sehr ungerecht und ich hoffe jetzt auf die zweite Instanz". Es ist jene Reaktion, die man von Sebastian Kurz erwartete. Etwas gedämpft, aber doch kämpferisch gab sich der Ex-ÖVP-Kanzler nach dem nicht rechtskräftigen Schuldspruch wegen Falschaussage im Ibiza-U-Ausschuss.

Richter: Kronzeugen-Anwärter Schmid „glaubwürdig“
Als Strafe kassierte er acht Monate bedingt, sein früherer Kabinettschef Bernhard Bonelli sechs Monate bedingt. WKStA-Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic hatte ein leichtes Schmunzeln auf den Lippen, denn mit diesem Hammerurteil folgt Radasztics der Argumentation der Anklage. Es gab aber noch einen Grund für Zufriedenheit bei der WKStA: Richter Radasztics beurteilte den Kronzeugen-Anwärter Thomas Schmid als „glaubwürdig“.

„Schlampigkeitsfehler“ im Lebenslauf von Thomas Schmid (Bild: APA/HELMUT FOHRINGER)
„Schlampigkeitsfehler“ im Lebenslauf von Thomas Schmid

Kurz: „Mein Leben läuft so weiter wie gestern“
Für vollkommen lebensfremd hingegen hielt der Richter, dass Schmid im Sommer 2023 zwei Russen bei einem Vorstellungsgespräch anvertraut hätte, dass er mit der WKStA kooperiere und deswegen nicht immer die Wahrheit aussage. „Dass sich Schmid da - wenige Monate nachdem er den Kronzeugenstatus beantragt hat - um Kopf und Kragen redet, ist weltfremd.“

Der Schuldspruch für Kurz betrifft konkret die Aufsichtsratsbestellung in der Staatsholding ÖBAG. Hier war Kurz im U-Ausschuss zu seiner Einbindung befragt worden. „Sie erwecken insgesamt den Eindruck, dass Sie im Wesentlichen nichts damit zu tun gehabt haben“, so Richter Michael Radasztics. Aussagen im Beweisverfahren hätten aber ein anderes Bild gezeichnet, so Radasztics. Die befragten Aufsichtsräte haben zwar dasselbe ausgesagt, „man wisse aber nicht, was andere Menschen vorher besprochen haben, deshalb sind deren Aussagen mit Vorsicht zu genießen.“

Die Staatsanwälte Koch und Adamovic (Bild: APA/Helmut Fohringer)
Die Staatsanwälte Koch und Adamovic

Warum Kurz genau verurteilt wurde

Der Schuldspruch für Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz betrifft konkret die Aufsichtsratsbestellung in der Staatsholding ÖBAG. Hier war Kurz im U-Ausschuss zu seiner Einbindung befragt worden. Sowohl er als auch Bernhard Bonelli hatten seine Beteiligung daran heruntergespielt - primär mit dem Argument, dass es die von Kurz favorisierten Kandidaten dann ohnedies nicht geworden waren, wie etwa der Unternehmer Sigi Wolf. Das Gericht war dennoch der Auffassung, dass Kurz fälschlich den Eindruck erweckt hatte, nicht involviert gewesen zu sein und verurteilte ihn nicht rechtskräftig wegen Falschaussage.

Kurz versuchte Gelassenheit zu demonstrieren
In der Frage, ob Kurz in die Bestellung von Thomas Schmid als ÖBAG-Alleinvorstand nur „informiert“ oder „involviert“ war, gab es einen Freispruch. Kurz versuchte Gelassenheit zu demonstrieren angesichts der Entscheidung des Richters: „Das ist für mich nicht lebensverändernd. Mein Leben läuft morgen genauso weiter wie gestern.“

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Ich hab noch nie behauptet, dass ich ein Geiselbefreier bin, und weiß auch nicht, wie das aus Schlamperei passieren kann.

Sebastian Kurz über Thomas Schmid

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Es wurde auf mich seitens der WKStA in keiner Sekunde Druck ausgeübt. Diese beiden Herren haben die Unwahrheit gesagt.

Schmid über die Behauptung der Russen

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Eine bewusst gestellte Falle ist nicht auszuschließen.

Oberstaatsanwalt Roland Koch über Schmids Treffen mit den Russen in Amsterdam

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Man kann nicht sagen, wenn sieben Zeugen für einen Angeklagten aussagen und einer dagegen, dann zählt man das zusammen wie bei einem Fußballmatch.

Richter Radasztics in der Urteilsbegründung

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Kurz hat die Falschaussagen gemacht, um öffentliche und mediale Kritik wegen Postenschachers zu vermeiden.

damovic über das Motiv von Kurz

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Bitte kurze Fragen stellen, sonst sind wir ,Lost in Translation‘.

Richter Radasztics über die schwierige Übersetzung des russischen Zeugen

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Ein Schlussplädoyer als Angeklagter ist eine der erniedrigendsten Situationen, die ich je erlebt habe.

Ex-Kabinettschef Bernhard Bonelli

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Wenn alles so klar ist, warum brauchen Sie dann 26 Monate für das Beweisverfahren? Warum 27 Zeugen? Warum einen 108-seitigen Strafantrag?

Werner Suppan, Anwalt von Bonelli, zu den Korruptionsjägern

Staatsanwaltschaft mit eindeutiger Botschaft
Das Schlussplädoyer öffnete Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic mit einer eindeutigen Botschaft: „Selten war ein Fall der Falschaussage so klar gelagert wie jener von Sebastian Kurz“. Ex-Kanzler Kurz und sein ehemaliger Kabinettschef Bernhard Bonelli hätten nämlich „nicht nur die Message kontrolliert“. Oberste Priorität beim ehemals türkisen Superstar Kurz seien auch Personalentscheidungen gewesen. Dieses Faktum lasse sich laut Adamovic „eindeutig aus dem türkis-blauen Regierungs-Sideletter herauslesen“.

Schwere Entscheidung für Richter Michael Radasztics. Er führte den heiklen Prozess mit ruhiger Hand und ließ sich nicht in die Karten schauen. Bis zum Schluss wusste man nicht, zu welchem Urteil er tendierte. (Bild: APA/HELMUT FOHRINGER)
Schwere Entscheidung für Richter Michael Radasztics. Er führte den heiklen Prozess mit ruhiger Hand und ließ sich nicht in die Karten schauen. Bis zum Schluss wusste man nicht, zu welchem Urteil er tendierte.

Das Schlussplädoyer öffnete Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic mit einer eindeutigen Botschaft: „Selten war ein Fall der Falschaussage so klar gelagert wie jener von Sebastian Kurz“. Ex-Kanzler Kurz und sein ehemaliger Kabinettschef Bernhard Bonelli hätten nämlich „nicht nur die Message kontrolliert“. Oberste Priorität beim ehemals türkisen Superstar Kurz seien auch Personalentscheidungen gewesen. Dieses Faktum lasse sich laut Adamovic „eindeutig aus dem türkis-blauen Regierungs-Sideletter herauslesen“.

Der frühere Bundeskanzler Sebastian Kurz beim Verlassen des Gerichtsgebäudes (Bild: APA/MAX SLOVENCIK)
Der frühere Bundeskanzler Sebastian Kurz beim Verlassen des Gerichtsgebäudes

Der Konter der Verteidigung verhallte. „Sebastian Kurz hat im Untersuchungsausschuss nicht falsch ausgesagt“, hatte Kurz’ Verteidiger Otto Dietrich plädiert. In Wahrheit werfe die WKStA seinem Mandanten „ihre eigene Interpretation seiner Aussage vor“.

Kurz wollte sein mediales Image nicht zerstören
Kurz selbst ergriff wenige Minuten vor der Urteilsverkündigung auch das Wort - bekräftigte, zeitweise mit weinerlicher Stimme: „Ich kann mich nicht an jedes Detail erinnern. Aber ich bin mit dem Vorsatz in den U-Ausschuss gegangen, nicht hier zu landen. Mit dieser Zielsetzung bin ich dort hingegangen. Ich gebe zu, nicht perfekt vorbereitet gewesen zu sein. “

Aber zurück zu den Schlussplädoyers: Für die WKStA war Kurz „nie und nimmer nur ein Informationsempfänger“. Ohne Kurz gab es keine Entscheidung. Kurz und dessen Vertraute hätten diskutiert, der damalige Kanzler das letzte Wort gehabt, argumentierte WKStA-Oberstaatsanwalt Adamovic weiter. „Formal zuständige Minister wurden zu Exekutoren.“

Als Motiv für die Falschaussage ortete die WKStA das Image, das sich Kurz im Wahlkampf 2017 aufgebaut hatte. Er galt als Politiker eines neuen Stils - dazu passt Postenschacher nicht. Mit dem (nicht rechtskräftigen) Schuldspruch ist das Image des einstigen türkisen Superstars fürs Erste begraben.

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