"Es ist ein vorläufiges, aber ein sehr überzeugendes Ergebnis", sagte der führende CERN-Wissenschaftler Joe Incandela in der Forschungseinrichtung bei Genf. Seit 40 Jahren fahnden Physiker nach dem Higgs-Boson, das nach herrschender Teilchentheorie eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Universums nach dem Urknall spielte.
Das nach dem britischen Physiker Peter Higgs benannte Teilchen erklärt im Standardmodell der Elementarteilchen-Physik, wie die Teilchen – also die Grundbausteine der Materie – ihre Masse erhalten. Der heute 83-jährige Higgs hatte die Existenz des Teilchens bereits 1964 angenommen und seine Entdeckung vorhergesagt.
Suche nach Teilchen am LHC
Die Suche nach dem Higgs-Boson gehört zu den zentralen Aufgaben des LHC-Teilchenbeschleunigers an der französisch-schweizerischen Grenze. Dafür werden am CERN an der Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz in dem 27 Kilometer langen Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (kurz: LHC) seit Monaten Protonen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und aufeinandergeschleudert.
Wissenschaftler haben in den vergangenen Monaten eine Reihe von Experimenten vorgenommen, die jetzt offenbar den Durchbruch bei der Suche nach dem "Gottesteilchen" gebracht haben. Sollte der Nachweis des Teilchens wirklich gelungen sein, würde es sich um eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Entdeckungen der vergangenen Jahrhunderte handeln.
Teilchen mit Masse von 125 Gigaelektronenvolt entdeckt
Nach Angaben des Instituts für Hochenergiephysik (HEPHY) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien wurde das Teilchen bei einer Masse von rund 125 Gigaelektronenvolt entdeckt, und zwar "mit einer statistischen Signifikanz von fünf Standardabweichungen (5 Sigma)". Das bedeutet, dass die Chance nur mehr sehr gering ist, dass es sich bei den beobachteten Signalen nur um statistische Schwankungen handelt, so die Forscher. Das HEPHY ist am 41 Länder umfassenden Compact-Muon-Solenoid-Experiment (das ist ein Teilchendetektor am CERN) beteiligt.
"Wenn es ausschaut wie eine Ente, watschelt wie eine Ente, quakt wie eine Ente, wäre es schon viel Pech, wenn es nach Fisch schmeckt", fasste HEPHY-Physiker Wolfgang Lucha bei einer Pressekonferenz in Wien den Stand der Dinge beim Nachweis des Higgs-Teilchens zusammen. Alles spricht dafür, dass es sich bei den bei Teilchenkollisionen im LHC entstandenen Spuren um das lange gesuchte Teilchen handelt. "Es wäre schon viel Pech, wenn es kein Higgs wäre", so Lucha.
Eine Million Milliarden Daten ausgewertet
Die Wissenschaftler haben bislang die Daten von einer Million Milliarden (zehn hoch 15) Protonen-Protonen-Kollisionen (Bild) ausgewertet. Bis Ende dieses Jahres erwarten sie, den bis jetzt aufgezeichneten Datensatz verdreifachen zu können. Diese zusätzlichen Daten würden es ermöglichen, die Natur dieses beobachteten neuen Teilchens tiefer zu ergründen, heißt es in einer Aussendung des HEPHY.
Derzeit finden pro Sekunde eine Milliarde Kollisionen von Protonen im LHC statt. Am HEPHY hat man große Teile jenes Trigger-Systems gebaut hat, das im Detektor CMS hilft, aus den Milliarden Kollisionen "die Handvoll Ereignisse herauszusuchen, die vielleicht ein Higgs beinhalten".
Das "Gottesteilchen" selbst ist ein völlig instabiles Teilchen, das sofort in bekannte andere Teilchen, etwa Photonen, zerfällt. Erst aus der Analyse dieser Zerfallserscheinungen kann man auf das Higgs rückschließen. Tatsächlich sind es nur ein paar Hundert Zerfallsereignisse, die auf das Higgs hindeuten.
Stephen Hawking verlor Wette
Einer, dessen Freude über den Fund des Higgs-Teilchens getrübt sein dürfte, ist der britische Astrophysiker Stephen Hawking. Er hat mit dem Fund nämlich eine Wette verloren: Er habe vor ein paar Jahren mit einem Kollegen in den USA gewettet, dass das Teilchen nie gefunden werde, sagte Hawking am Mittwoch in einem Interview mit dem britischen Sender BBC.
"Mir scheint, ich habe gerade 100 Dollar (79,6 Euro) verloren", erklärte der im Rollstuhl sitzende Wissenschafter und Autor des Bestsellers "Eine kurze Geschichte der Zeit", der nur über einen Sprachcomputer kommunizieren kann. Dennoch begrüßte er das "wichtige Ergebnis" und sagte, die Forscher hätten einen Nobelpreis verdient.
Patzer vor offizieller Ankündigung
Vor der weltweit mit Spannung erwarteten Stellungnahme war dem CERN am Dienstag ein Patzer unterlaufen. Das Forschungszentrum stellte versehentlich kurzzeitig ein Video ins Internet, in dem die Beobachtung eines neuen Teilchens bestätigt wurde. Obwohl sich das Filmchen bereits kurz darauf in einem passwortgeschützten Teil der CERN-Website befand, verbreitete es sich schnell im Web. Eine CERN-Sprecherin sagte "Science News", der Clip sei eines von mehreren Videos, die bezüglich der Stellungnahme zum Higgs-Boson mit verschiedenen Szenarien aufgenommen worden seien. Er hätte eigentlich nicht ins Internet gestellt werden sollen.
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