"Wie ein Tsunami"

Flutkatastrophe in Russland tötet mehr als 170 Menschen

Ausland
09.07.2012 08:02
Der Tod im schmutzigen Hochwasser ist für die mehr als 170 Flutopfer im südrussischen Urlaubsgebiet Krasnodar rasend schnell gekommen. Vor allem für ältere Menschen gab es kein Entrinnen aus ihren Häusern, sie ertranken in der Nacht in den heranrollenden Fluten. Warnung gab es keine: Sirenen blieben stumm, Radiodurchsagen fehlten, klagen Überlebende. Nach den schwersten Überschwemmungen in der jüngeren Geschichte Russlands wurde am Montag ein nationaler Trauertag angeordnet. Landesweit sollen TV und Kultureinrichtungen auf Unterhaltungsprogramm verzichten.

"Es war wie ein Tsunami", beschreibt eine Frau mit erstickter Stimme die Wucht des Wassers. Ihren beiden Kindern ist das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. "Niemand hat uns gewarnt", sagt ein Mann. Die Verwüstung in der dicht besiedelten Ferienregion am Schwarzen Meer, etwa 1.200 Kilometer südlich von Moskau, ist immens.

In Krimsk rissen die Sturzfluten ganze Dachstühle mit sich, in Gelendschik schoben Wassermassen Lastwagen wie Spielzeugautos beiseite, in Noworossijsk türmt sich dicker Schlamm auf Seitenstraßen. Die verheerende Bilanz: etwa 5.000 überschwemmte Häuser, rund 22.000 Menschen ohne Strom, knapp 3.000 in Notunterkünften. In mehreren Städten wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Experten schätzen allein den Sachschaden auf mindestens 250 Millionen Euro. Viele Menschen stehen vor dem Nichts.

"Das kann nicht vom Dauerregen kommen"
"Das war wie eine Sintflut, das Ende der Welt", sagt ein Mann aus Krimsk, wo das Wasser eine Schneise der Verwüstung hinterlassen hat, im Fernsehen. "Hier stand mein Haus, aber die Fluten haben alles weggerissen." Im letzten Moment sei er im Schlafanzug geflüchtet, erzählt er. Meterhohe Wellen seien durch den Ort gerollt, das könne nicht vom Dauerregen kommen, ergänzt sein Nachbar. "Da war mit einem Mal eine Wand aus Wasser, die das Atmen schwer machte."

Der schlimme Verdacht: Die Behörden hätten die Schleusen eines nahen Stausees geöffnet und das Hochwasser damit mitverursacht. Ermittler räumen zwar ein, dass Wasser abgelassen wurde. Dies sei aber nicht der Grund für die Überschwemmungen gewesen, sagen sie.

Putin: "So etwas darf nicht passieren"
Fast jeden Sommer steht das größte Land der Erde vor Katastrophen. Zuletzt waren das die schlimmsten Waldbrände in der russischen Geschichte mit vielen Toten. Beinahe jedes Mal geht es um das Ignorieren elementarer Sicherheitsvorkehrungen. "Wenn Vorschriften befolgt werden, darf so etwas nicht passieren", zischte Kremlchef Wladimir Putin im Fernsehen. Der zum Katastrophenort geeilte Präsident ordnete eine gründliche Aufklärung an.

Einmal mehr müssen viele Russen mit ansehen, dass die zentral in Moskau gesteuerte Politik erst im Katastrophenfall Probleme anpackt. Eigenverantwortung wird allgemein weder gefördert, noch ist sie ausdrücklich erwünscht.

"Zahlreiche Menschen wurden ins Meer gespült"
Rund 300 Kilometer nördlich von Sotschi, wo 2014 die Olympischen Winterspiele stattfinden, sitzt der Schock bei den Betroffenen in Krasnodar besonders tief. Augenzeugen meinen, dass die vorläufige Bilanz des Schreckens noch nicht das wahre Ausmaß der Tragödie widerspiegelt. "Zahlreiche Menschen wurden ins Meer gespült. Niemand kann sagen, wie viele Opfer es gibt", beteuert ein Mann.

Die wirklichen Probleme würden erst beginnen, wenn das Wasser abgelaufen sei, kommentierte der Radiosender Echo Moskwy. "Dann stehen die Menschen vor ihren zerstörten Häusern und verwüsteten Feldern." Die fruchtbaren Böden brachten dem Landstrich den Namen "Kornkammer Russlands" ein. Jetzt sei die Ernte gefährdet, meint der Sender. Und der Ruf der Region, die sich regelmäßig auch auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin als sorgloses Feriengebiet präsentiert, sei zumindest beschädigt.

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