Opfer totgeschwiegen

„Oppenheimer“ besteht aus „Haufen voller Lügen“

Ausland
06.03.2024 11:00

Christopher Nolans Atombomben-Drama „Oppenheimer“ (Trailer siehe Video oben) wird wohl bei der diesjährigen Oscar-Verleihung groß abräumen. Das Historiendrama mit Cillian Murphy als „Vater der Atombombe“ hat ja schon bei den Golden Globes mehrere Auszeichnungen erhalten. Mit gemischten Gefühlen sehen dem Event Anrainer jenes Testgeländes im US-Staat New Mexico entgegen, wo am 16. Juli 1945 die erste Atombombe der Welt gezündet wurde.

Für Wesley Burris, der die Explosion hautnah miterlebte, und viele andere Anrainer des Testgebietes war es ein unerklärliches Erlebnis mit schrecklichen Folgen. Viele aus der Umgebung erkrankten in den folgenden Jahrzehnten an Krebs. 

Burris war damals ein Kind, als sich 40 Kilometer von seinem Elternhaus entfernt in einer Wüste im US-Bundesstaat New Mexico um 5.30 Uhr die Atomexplosion ereignete. Die enorme Wucht ließ die Fensterscheiben zerbersten, Glasscherben flogen dem vierjährigen Wesley Burris und seinem Bruder um die Ohren. „Es war so hell, dass ich nichts sehen konnte“, erzählt Burris. „Ich erinnere mich, dass ich fragte: ,Dad, ist die Sonne explodiert?‘“

Cillian Murphy als „Vater der Atombombe“ in „Oppenheimer“ (Bild: © Universal Studios. All Rights Reserved.)
Cillian Murphy als „Vater der Atombombe“ in „Oppenheimer“

Burris ist mittlerweile 83 und lebt noch immer nur ein paar Kilometer von dem damaligen geheimen Testgelände entfernt, in dem der Atomphysiker J. Robert Oppenheimer und seine Mitarbeiter am Ende des Zweiten Weltkriegs unter enormen Zeitdruck an der ersten Atombombe bauten. Während in Nolans Film das Trinity-Testgelände als menschenleere Wüste dargestellt wird, lebten in Wirklichkeit damals nicht nur Oppenheimers Mitarbeiterstab, sondern Tausende andere Menschen in einem Umkreis von nur 80 Kilometern. 

„Wir waren Versuchstiere“: Anrainer Louisa Lopez (links), Wesley Burris und Tina Cordova (rechts) erinnern sich.  (Bild: APA/AFP/VALERIE MACON)
„Wir waren Versuchstiere“: Anrainer Louisa Lopez (links), Wesley Burris und Tina Cordova (rechts) erinnern sich. 

Niemand von ihnen wusste damals, warum diese pilzförmige Riesenwolke am Horizont aufstieg. „Wir hatten keine Angst davor. Weil es uns nicht direkt getötet hat“, erinnert sich Burris gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Mittlerweile sind die Folgen des radioaktiven Materials, das damals 15.000 Meter hoch in die Luft geschleudert und durch anschließende Regenfälle breitflächig verteilt wurde, nur allzu bekannt. Burris‘ Bruder ist an Krebs gestorben. Auch seine Schwester und deren Tochter sind an Krebs erkrankt. Burris selbst hat Hautkrebs. Trotz des offensichtlichen Zusammenhangs haben die Opfer des Atomtests nie Entschädigungszahlungen bekommen.

Louisa Lopez lebt noch immer in der Nähe des Trinity-Testgeländes in New Mexico. (Bild: APA/AFP/VALERIE MACON)
Louisa Lopez lebt noch immer in der Nähe des Trinity-Testgeländes in New Mexico.

„Wir waren Versuchstiere“
„Wir waren Versuchstiere“, sagt Tina Cordova, die ihre Krebserkrankung überlebt hat und mit ihrer Organisation Tularosa Basin Downwinders Consortium um Gerechtigkeit für die Strahlungsopfer kämpft. „Aber Versuchstiere werden hinterher wenigstens untersucht. Um uns hat sich keiner mehr gekümmert.“ Betroffen von den Folgen sind laut Cordova vor allem Latinos und Indigene.

Während in Nolans Film das Trinity-Testgelände als menschenleere Wüste dargestellt wird, lebten in Wirklichkeit damals nicht nur Oppenheimers Mitarbeiterstab, sondern Tausende andere Menschen.  (Bild: APA/AFP/VALERIE MACON)
Während in Nolans Film das Trinity-Testgelände als menschenleere Wüste dargestellt wird, lebten in Wirklichkeit damals nicht nur Oppenheimers Mitarbeiterstab, sondern Tausende andere Menschen. 

Cordova sieht es positiv, dass der Film „Oppenheimer“ die Aktivitäten auf dem Trinity-Testgelände Millionen Menschen in aller Welt vor Augen geführt hat. „Aber er ging nicht weit genug“, sagt sie. Nun setzt sie ihre Hoffnung auf die Oscar-Verleihung in der Nacht auf Montag. Aus Burris‘ Sicht besteht „Oppenheimer“ aus „einem Haufen voller Lügen“, über die vielen Toten infolge des Atomtests verliere das dreistündige Filmepos kein Wort.

Bisher nur Opfer späterer Atomtests entschädigt
„Wäre es nicht bemerkenswert, wenn während der Academy Awards irgendjemand von denen sagen würde: ,Ich möchte die Opfer und Leiden der Menschen in New Mexico anerkennen‘“, hofft die Aktivistin. Dies könnte aus Cordovas Sicht auch den Druck auf den US-Kongress erhöhen, den Betroffenen in New Mexico Entschädigungen zu gewähren. Denn bisher werden nur die Betroffenen späterer Atomtests in den Bundesstaaten Nevada, Utah und Arizona unterstützt.

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