Nach den Pandemiewirren und vielen gefeierten Live-Konzerten haben sich die Baits letztes Jahr wieder im Studio eingesperrt, um ihr Zweitwerk „All Filler No Killer“ einzuspielen. Nomen ist hier definitiv nicht Omen, so viel sei gesagt. Sängerin Sonja und Drummer Fazo sprechen über Vorbilder, Außenpolitik, Leidenschaft und Verzicht.
Vor 23 Jahren machte ein kanadisches Teenager-Kollektiv namens Sum 41 erstmals auf sich aufmerksam und prägte mit Songs wie „Fat Lip“, „Motivation“ oder „In Too Deep“ die Millenniums-Punkrock-Szene so nachhaltig, wie zu dieser Zeit nur Blink-182. Das dazugehörige Album hörte auf den launigen Titel „All Killer No Filler“ und spiegelte das hohe Selbstbewusstsein und die ungezügelte Wildheit der jugendlichen Combo perfekt wider. Ein knappes Vierteljahrhundert später will es der Zufall, dass die sich im mittlerweile gesetzteren Alter befindlichen Herren von Sum 41 ihre wohlverdiente Punkrock-Frühpension antreten und das Wiener Kollektiv der Baits deren Fackel hochhalten, ohne dabei aber auf Indie-, Pop- und Surf-Einflüsse zu verzichten. Folgerichtig taufte das Quartett sein Zweitwerk auf einer ironischen Metaebene „All Filler No Killer“, will damit aber gar nicht an Sum 41 erinnern, wie Sängerin Sonja und Drummer/Produzent Fazo im „Krone“-Interview bei der Hernalser Gastwirtschaftsinstitution Brandstätter betonen.
Gegen die innere Leere
„Einen Albumtitel zu finden, war dieses Mal gar nicht so einfach. Der Titel ist jetzt auf mehreren Ebenen lustig, aber auch ernst gemeint. Einerseits haben wir musikalisch auf jedes Füllwerk verzichtet und alles weggelassen, was einen Song nicht wirklich besser macht. Andererseits geht es darum, dass die ganze Welt um uns herum zunehmend aus Füllwerk besteht. Sprachlich, menschlich, schönheitschirurgisch. Die Instagram-Filter bauschen unser Leben auf, während rundum innere Leere herrscht.“ Eine wesentliche Veränderung war die Beständigkeit der Band. Das zwischen den Pandemie-Lockdowns veröffentlichte Album „Never Enough“ ging durch mehrere Produzentenhände und wurde in verschiedenen Studios aufgenommen. Dieses Mal war nicht nur Drummer und Stammproduzent Fazo fix installiert (er produzierte auch das Amadeus-nominierte Album von Bipolar Feminin), mit Kaiser Franz Josef-Frontmann Sham gab es auch einen Klangtüftler von außen, abseits des Tunnelblicks.
„Früher drückte ich auf ,Play‘ und musste zum Schlagzeug laufen, um zu spielen“, lacht Fazo, „aber ohne Schmäh: Es hat gutgetan, eine frische Perspektive von außen zu haben. Das hört man dem Album auch an.“ Für den richtigen Sound hatten die Baits im Vorfeld drei Referenzalben. „Songs For The Deaf“ von Queens Of The Stone Age, den Nirvana-Evergreen „Nevermind“ und das Debütalbum von Weezer. Gar nicht so einfach, wenn die eigene Musik derart eklektisch ausfällt. Im groben Sinne kreieren die Baits natürlich Punkrock, doch das Experimentierfeld wurde im Vergleich zum Debüt noch einmal erheblich erweitert, ohne dabei den Grundstock zu vergessen. So hört man auf „All Filler No Killer“ nicht nur den jeweils ersten Breakdown und Blastbeat der Bandgeschichte, sondern mäandert auch in unzähligen stilistischen Richtungen. „Hello My Love“, der älteste Song am Album, zeigt die Band ungewohnt poppig, „Sleep With You“ geht Richtung Indie, „Hey Girl“ ist eine Verbeugung vor den Pixies und bei „Let Go“ wurde der Band schon mal vorgeworfen, sich an Nirvanas „Aneurysm“ vergriffen zu haben.
Einfach mal Gusch sein
„Auf dem Album ist das gelandet, was wir alle zusammen cool finden und nicht das, was anfangs in meinem Kopf war“, streicht Sonja die Demokratie in der Band hervor, „wir haben uns dieses Mal viele Späße gegönnt. Zum Beispiel eine riesige Vase zerschmettert. Der Spaß steht bei uns über allem.“ Nicht immer ist das auch auf die Texte umzulegen. „Fucking Fake“ spielt darauf an, dass wir im Leben immer Masken tragen und Rollen spielen. Das die Echtheit des Seins von einer Wunschrealität verdrängt wird. „Sleep With You“ ist keine Aufforderung zum Beischlaf, sondern eine sanfte Nummer, die sich um Erschöpfung und notwendige Ruhe dreht. „Hey Girl“ spricht auf das leidige Thema Catcalling an. „Manchmal ist eine Künstlerin auch einfach nur eine Künstlerin und sollte nichts zu Gaza sagen“, spricht Fazo auf Björk und andere semipolitische Musikerinnen an. „Einfach öfter mal die Pappn halten, wäre sowieso nicht so schlecht“, führt Sonja aus.
Trotz der Pandemie und ihren Nachwehen spielten die Baits 2020 und 2021 rund 60 Konzerte und sind, so weit es die Jobs der Mitglieder zulassen, so oft wie möglich auf Tour. Das geht natürlich nur mit der notwendigen Portion Leidenschaft und Hingabe. „Du kannst keine Haustiere haben, Familien und Beziehungen müssen hintanstehen. Alle Menschen in deinem Umkreis brauchen viel Toleranz und Verständnis und wenn du auf Tour bist, willst du auch nicht jeden Tag telefonieren, weil du in deiner eigenen Welt bist. Wir sind nicht mehr die Allerjüngsten, aber Arbeitstiere. Wir wissen genau, was wir wollen und ziehen gemeinsam an einem Strang. Natürlich gibt es Momente, wo man am liebsten mit einem Hund aufs Land ziehen möchte, aber sobald du in den Tourbus steigst, sind sie wie weggeblasen.“ Auch wenn die weitläufige Zukunft ungewiss ist, kann sich Sonja zumindest zu einem Statement hinreißen lassen. „Jede vernünftige Band veröffentlicht zumindest drei Alben. So lange gibt es uns sicher noch. Wir touren heute anders als früher. Am freien Tag geht es jetzt in die Therme und nicht ins nächste Beisl.“
Willkommene Anarchie
Vor allem für Sonja ist das Leben mit Baits eine willkommene Abwechslung. „Ich bin im Brotjob Lehrerin und die Schule funktioniert nach gewissen Regeln und immer gleich–da ist die Band eine willkommene Anarchie. Man ist losgelöst von bürgerlichen Pflichten und Dogmen und ich bin auf der Bühne natürlich eine andere Person als die, die unterrichtet.“ Aus ihrem Alltagsleben entspinnen sich für die gebürtige Kärntnerin ausreichend Themen, die aber nicht zu persönlich werden sollen. „Ich schreibe die Texte schon bewusst vage, damit jeder sie für sich deuten kann. Es ist ein bisschen wie bei einem Film von David Lynch: Such dir den Weg selbst aus, oder schau gleich gar nicht hin.“ Die Motivation zum Texten läuft frei nach Punk-Legende Johnny Rottens Motto „Anger Is An Energy“. „Mich treibt Wut an. Aus ihr entstehen die Songs und es gibt so viel, auf das man wütend sein kann und muss.“
Die Lust zur Wut und zu echter Musik sehen Baits nicht zuletzt in der aktuellen Gesellschaft verortet. „In England kommen gerade so viele Punk- und Post-Punk-Bands raus, das liegt indirekt sicher am Brexit und daran, dass dort seit Jahren so vieles falsch läuft. 2020 war die Musikwelt wesentlich weichgespülter als heute. Gitarren und Aggressionen werden wieder wichtiger und die Leute wollen live mehr schwitzen und sich richtig ausleben. Die Welt geht in die Binsen, aber musikalisch sorgt das für eine richtig coole Entwicklung.“ All die Baits-Wut kanalisiert sich auf „All Filler No Killer“ in knackige 32 Minuten. „Eine angemessene Länge“, so Fazo, „es trifft genau meine eigene Aufmerksamkeitsspanne und man muss auch nicht immer so tun, als wäre etwas mehr, obwohl es das nicht ist. Wir spielen auch live gerne nur 30 bis 45 Minuten, aber die Veranstalter wollen mindestens 60 Minuten Konzert. Dann müssen wir halt mehr labern und Schmäh führen.“
Release-Show in Wien, Tour durch Österreich
Frisch gebacken nominiert für den Amadeus Award in der Kategorie Hard & Heavy spielen Baits ihre offizielle Album-Release-Show am Veröffentlichungstag, den 15. März, in der Wiener Arena. Nach einer ausgiebigen Deutschland-Tour geht es später im Frühling noch quer durch Österreich. Anfang April spielt man beim Styrian Sounds Festival im Grazer ppc, am 8. Mai im Kapu in Linz, am 9. Mai im Innsbrucker PMK, am 10. Mai im Rockhouse Salzburg, am 11. Mai im Villacher Kulturhof Keller und am 24. Mai beim Dynamo Festival in Dornbirn. Weitere Termine später im Jahr werden noch folgen. Unter www.baitsmusic.com finden Sie alle Termine und die Karten für die angegebenen Events.
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