Auswahl der Richter

Manipulation? Verdacht am Bundesverwaltungsgericht

Gericht
07.03.2024 09:30

Die Staatsanwaltschaft prüft derzeit den schwerwiegenden Vorwurf, ob der Altpräsident und der Vizepräsident bei der Zuweisung von neuen Fällen an Richter des eigenen Gerichts ihre Finger im Spiel gehabt haben könnten.

Christian Filzwieser, der neue Präsident des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG), hat mit Februar ein schweres Erbe angetreten. In einer offensichtlichen Baustelle der Justiz. Laut „Krone“-Recherchen prüft die Staatsanwaltschaft derzeit den Vorwurf, ob Altpräsident Harald Perl und Vizepräsident Michael Sachs die Zuweisung von neuen Fällen an Richter des eigenen Gerichtes manipuliert haben könnten. Und zwar im Zusammenhang mit Verfahren, an denen die beiden Führungskräfte beteiligt waren. Beide Herren sind politisch exzellent vernetzt: Vizepräsident Sachs hatte sich zuletzt um die Generaldirektion der Bundeswettbewerbsbehörde beworben. Altpräsident Perl sitzt auch im Ruhestand in einem besonders wichtigen Gremium: in der Beschaffungskommission des Verteidigungsministeriums. Dort soll er mithelfen, Korruption zu verhindern.

Die Vorgeschichte
Ein Richter des Bundesverwaltungsgerichtes (Name der Redaktion bekannt), der bereits 2019 in einem Korruptionsfall eine Strafanzeige erstattet und sich damit den Zorn der beiden Präsidenten zugezogen hatte, stieß 2023 in einem Akt erneut auf verdächtige Vorgänge. Darin enthaltene E-Mails nähren den Verdacht, dass die Zuweisung von neuen Fällen an die zuständigen Richter manipuliert wurde.

Nur zur Verdeutlichung: Die sogenannte Geschäftsverteilung ist für ein Gericht von zentraler Bedeutung, weil damit im Vorhinein festgelegt wird, welcher Richter in Zukunft welchen Akt zur Entscheidung erhalten wird. Niemand, auch nicht das von Alma Zadic geführte Justizministerium, soll Einfluss auf die Auswahl der Richter nehmen können. Das ist in einem Rechtsstaat die zentrale Säule für eine unabhängige Justiz.

Eingriffe sind verboten
Auch am Bundesverwaltungsgericht müssen neue Fälle von der Kanzlei unverzüglich in der Reihenfolge ihres zeitlichen Einlangens („Zuteilungsrad“) erfasst und über ein elektronisches Aktenverteilungssystem den zuständigen Richtern zugewiesen werden. Kein Präsident, kein Vizepräsident, keine Ministerin darf in dieses System eingreifen. 

Und was passierte 2022 und 2023 am Bundesverwaltungsgericht? Laut Dokumenten, die der „Krone“ vorliegen, wurden neue Fälle nicht sofort von der Kanzlei den zuständigen Richtern zugewiesen, sondern in einem ersten Schritt von der Kanzlei per E-Mail an das „Büro Präsident“ übermittelt.

Keine sofortige Zuweisung an Richter: Übermittlung an das „Büro Präsident“  (Bild: APA/Roland Schlager, stock.adobe.com, Krone KREATIV)
Keine sofortige Zuweisung an Richter: Übermittlung an das „Büro Präsident“ 

In einem zweiten Schritt leitete das „Büro Präsident“ den neuen Fall intern unter anderem an die persönliche E-Mail-Adresse von Vizepräsident Sachs weiter, wie folgender Ausschnitt einer Mail vom 27. März 2023 belegt:

Weiterleitung an die persönliche E-Mail-Adresse von Vizepräsident Sachs (Bild: APA/Roland Schlager, stock.adobe.com, Krone KREATIV)
Weiterleitung an die persönliche E-Mail-Adresse von Vizepräsident Sachs

Bis zu 6,5 Stunden Verspätung
Erst in einem dritten Schritt - und mit bis zu sechseinhalbstündiger Verspätung - kamen die vorliegenden Fälle, die eigentlich sofort zugewiesen werden hätten müssen, an die Kanzlei zurück. Erst dann wurden sie den Richtern zugewiesen. Allerdings Richtern, die nicht zuständig gewesen wären, weil aufgrund der Zeit-Verzögerung die vorgegebene Reihenfolge („Zuteilungsrad“) nicht eingehalten wurde. Der schwerwiegende Verdacht lautet nun, dass bei der Erfassung neuer Fälle bewusst von der zeitlichen Reihenfolge abgewichen wurde, damit sich Altpräsident Perl und Vizepräsident Sachs ihre „Wunschrichter“ aussuchen konnten, von denen sie sich scheinbar günstigere Entscheidungen erhofften.

Vizepräsident Sachs: War 2023 interimistischer Leiter des größten österreichischen Gerichtes (Bild: Bundespressedienst (Georg Stefanik))
Vizepräsident Sachs: War 2023 interimistischer Leiter des größten österreichischen Gerichtes

Michael Sachs, der nach wie vor als Vizepräsident amtiert, wollte sich in den letzten Tagen - trotz mehrerer Versuche – nicht zu den Vorwürfen äußern. Ex-Präsident Perl, der Ende 2022 in den Ruhestand getreten ist, ließ eine Anfrage ebenfalls unbeantwortet. Das Bundesverwaltungsgericht selbst äußerte sich nur allgemein und verwies auf die hohe Zahl an Geschäftsstücken (80.000), die pro Jahr in der Geschäftsstelle protokolliert würden.

Darüber hinaus heißt es: „Die Geschäftsverteilung wird für das Geschäftsjahr im Voraus beschlossen. Alle Zuweisungsgruppen und deren Gerichtsabteilungen werden in die elektronische Verfahrensadministration eingepflegt. Basierend darauf werden einlangende Beschwerden an die Gerichtsabteilungen zugewiesen. Bei auftretenden rechtlichen Fragen wird die Geschäftsstelle durch Juristinnen und Juristen des Präsidialbüros unterstützt.“

Und warum hat das Justizministerium bislang nichts getan, um die Vorwürfe aufzuklären und die Unabhängigkeit der Justiz zu wahren? Ein Sprecher von Alma Zadic erklärt auf Anfrage: „Das Justizministerium hat durch die Anfrage von den Vorwürfen Kenntnis erlangt. Zur raschen Klärung des Sachverhalts steht das Ministerium bereits mit dem Bundesverwaltungsgericht in Kontakt.“

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