Der Appell von Papst Franziskus an die Ukraine, mit der Regierung in Moskau zu verhandeln, sorgt für diplomatische Verwerfungen. Der ukrainische Präsident weist die missverständlichen Äußerungen zurück, der Kreml fühlt sich in seiner Haltung bestätigt.
„So wie ich es sehe, bittet der Papst den Westen, seine Ambitionen beiseite zu legen und zuzugeben, dass er falsch lag“, sagt die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, der italienischen Nachrichtenagentur ANSA. Der Westen benutze die Ukraine, um Russland zu schwächen, behauptete Sacharowa demnach. Sie erklärte weiter, Russland habe nie Verhandlungen blockiert. Allerdings hatte der russische Präsident Wladimir Putin bereits Anfang 2022 trotz einer diplomatischen Offensive westlicher Politiker jedes Gesprächsangebot ausgeschlagen.
Selenskyj weist Papst-Appell scharf zurück
In einer Videoansprache am Sonntagabend wies der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Appell des Papstes, die „weiße Fahne“ zu hissen, scharf zurück. Die Kirche sei bei den Menschen, „nicht zweieinhalbtausend Kilometer entfernt, irgendwo, um virtuell zu vermitteln zwischen jemandem, der leben will, und jemandem, der dich vernichten will“, betonte Selenskyj.
„Als das russische Böse am 24. Februar diesen Krieg begann, standen alle Ukrainer auf, um sich zu verteidigen. Christen, Muslime, Juden – alle“, sagte Selenskyj. Er dankte allen ukrainischen Militärgeistlichen. Sie stünden an der vordersten Front, sie schützten das Leben und die Menschlichkeit, sie unterstützten mit Gebeten, Gesprächen und Taten. „Das ist es, was die Kirche ist–bei den Menschen.“
„Bewaffnete Ukrainer unter blau-gelber Flagge“
In seiner Ansprache spielte Selenskyj direkt auf die Äußerungen des Papstes in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen an. Die russischen „Mörder und Folterknechte“ würden nur deshalb nicht weiter nach Europa ziehen, weil sie von bewaffneten Ukrainern „unter der blau-gelben Flagge“ aufgehalten würden. Viele Wände von Häusern und Kirchen in der Ukraine, die „einst weiß“ waren, seien von russischen Granaten verbrannt und zerstört worden. „Und das sagt sehr viel darüber aus, wer aufhören muss, damit der Krieg beendet wird“, erklärte das ukrainische Staatsoberhaupt.
Mit seinem missverständlichen Appell zu Friedensverhandlungen in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hatte der Pontifex massiven Widerspruch ausgelöst. Die Äußerungen des katholischen Kirchen-Oberhaupts wurden in der Ukraine und bei vielen ihrer Unterstützer als einseitiger Appell allein an Kiew verstanden – von manchen gar als Aufruf zur Kapitulation. Der 87-Jährige gebrauchte mit Blick auf Schwierigkeiten der ukrainischen Armee auch das Wort von der „weißen Fahne“–in Kriegszeiten seit Jahrhunderten das Zeichen der Kapitulation, also der kampflosen Aufgabe gegen die feindlichen Truppen.
Vatikan sah sich zu Erläuterung veranlasst
Die Papstworte, wonach die Ukraine „den Mut zur weißen Flagge und zu Verhandlungen“ haben solle, wurden am Samstagabend von Medien verbreitet. Sie stammen aus einem Interview des Oberhaupts der katholischen Kirche mit dem italienischsprachigen Schweizer Rundfunk RSI, das am 20. März in voller Länge ausgestrahlt werden soll. Vatikansprecher Matteo Bruni beeilte sich, die Äußerungen einzuordnen. In einem Bericht von „Vatican News“, der auch auf Ukrainisch erschien, präzisierte Bruni, der Papst habe damit „vor allem zu einem Waffenstillstand aufrufen und den Mut zu Verhandlungen wiederbeleben“ wollen.
Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben zu verhandeln.
Papst Franziskus in dem Interview mit dem Sender RSI
Der Papst habe mit den Aussagen das Bild der weißen Fahne aufgegriffen, das der Interviewer eingeführt habe, erläuterte Bruni. Sinn der Aussage sei, dass Franziskus sich eine „diplomatische Lösung für einen gerechten und dauerhaften Frieden“ wünsche.
Griff Formulierung des Interviewers auf
In dem Interview fragte der Journalist Lorenzo Buccella den Papst: „In der Ukraine gibt es diejenigen, die den Mut zur Kapitulation, zur weißen Fahne, fordern. Aber andere sagen, dass dies die Stärksten legitimieren würde. Was sagen Sie dazu?“ Darauf antwortete Franziskus: „Das ist eine Interpretationsweise. Aber ich denke, dass der stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut zur weißen Flagge hat, zu Verhandlungen. Und heute kann man mit der Hilfe der internationalen Mächte verhandeln. Das Wort ‘verhandeln‘ ist ein mutiges Wort.“
„Schämt euch nicht, zu verhandeln“
Weiter sagte der Papst in dem Interview: „Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben zu verhandeln. Du schämst dich, aber wie viele Tote wird es am Ende geben? Verhandle rechtzeitig, suche ein Land, das vermittelt. Heute, zum Beispiel im Krieg in der Ukraine, gibt es viele, die vermitteln wollen. Die Türkei hat sich dafür angeboten. Und andere. Schämt euch nicht, zu verhandeln“, so das Kirchenoberhaupt weiter.
„An anderer Stelle des Interviews, in dem er von einer anderen Konfliktsituation spricht, sich aber auf jede Kriegssituation bezieht, stellte der Papst weiter klar, dass eine Verhandlung ,niemals eine Kapitulation‘ ist“, erläuterte der Vatikansprecher dazu.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.