„Weiße Fahne“-Sager

Kreml freut sich über Unterstützung des Papstes

Ukraine-Krieg
11.03.2024 10:00

Der Appell von Papst Franziskus an die Ukraine, mit der Regierung in Moskau zu verhandeln, sorgt für diplomatische Verwerfungen. Der ukrainische Präsident weist die missverständlichen Äußerungen zurück, der Kreml fühlt sich in seiner Haltung bestätigt.

„So wie ich es sehe, bittet der Papst den Westen, seine Ambitionen beiseite zu legen und zuzugeben, dass er falsch lag“, sagt die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, der italienischen Nachrichtenagentur ANSA. Der Westen benutze die Ukraine, um Russland zu schwächen, behauptete Sacharowa demnach. Sie erklärte weiter, Russland habe nie Verhandlungen blockiert. Allerdings hatte der russische Präsident Wladimir Putin bereits Anfang 2022 trotz einer diplomatischen Offensive westlicher Politiker jedes Gesprächsangebot ausgeschlagen.

Selenskyj weist Papst-Appell scharf zurück
In einer Videoansprache am Sonntagabend wies der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Appell des Papstes, die „weiße Fahne“ zu hissen, scharf zurück. Die Kirche sei bei den Menschen, „nicht zweieinhalbtausend Kilometer entfernt, irgendwo, um virtuell zu vermitteln zwischen jemandem, der leben will, und jemandem, der dich vernichten will“, betonte Selenskyj.

Die Äußerungen des Papstes schlagen hohe Wellen. (Bild: APA/AFP/Isabella BONOTTO)
Die Äußerungen des Papstes schlagen hohe Wellen.
Maria Sacharowa weiß Äußerungen von Staatsmännern geschickt für die russische Propaganda auszuschlachen. (Bild: APA/AFP/Alexander NEMENOV)
Maria Sacharowa weiß Äußerungen von Staatsmännern geschickt für die russische Propaganda auszuschlachen.

„Als das russische Böse am 24. Februar diesen Krieg begann, standen alle Ukrainer auf, um sich zu verteidigen. Christen, Muslime, Juden – alle“, sagte Selenskyj. Er dankte allen ukrainischen Militärgeistlichen. Sie stünden an der vordersten Front, sie schützten das Leben und die Menschlichkeit, sie unterstützten mit Gebeten, Gesprächen und Taten. „Das ist es, was die Kirche ist–bei den Menschen.“

„Bewaffnete Ukrainer unter blau-gelber Flagge“
In seiner Ansprache spielte Selenskyj direkt auf die Äußerungen des Papstes in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen an. Die russischen „Mörder und Folterknechte“ würden nur deshalb nicht weiter nach Europa ziehen, weil sie von bewaffneten Ukrainern „unter der blau-gelben Flagge“ aufgehalten würden. Viele Wände von Häusern und Kirchen in der Ukraine, die „einst weiß“ waren, seien von russischen Granaten verbrannt und zerstört worden. „Und das sagt sehr viel darüber aus, wer aufhören muss, damit der Krieg beendet wird“, erklärte das ukrainische Staatsoberhaupt.

Selenskyj traf den Papst im Mai 2023 in der Vatikanstadt. (Bild: APA/AFP/VATICAN MEDIA/Handout)
Selenskyj traf den Papst im Mai 2023 in der Vatikanstadt.

Mit seinem missverständlichen Appell zu Friedensverhandlungen in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hatte der Pontifex massiven Widerspruch ausgelöst. Die Äußerungen des katholischen Kirchen-Oberhaupts wurden in der Ukraine und bei vielen ihrer Unterstützer als einseitiger Appell allein an Kiew verstanden – von manchen gar als Aufruf zur Kapitulation. Der 87-Jährige gebrauchte mit Blick auf Schwierigkeiten der ukrainischen Armee auch das Wort von der „weißen Fahne“–in Kriegszeiten seit Jahrhunderten das Zeichen der Kapitulation, also der kampflosen Aufgabe gegen die feindlichen Truppen.

Vatikan sah sich zu Erläuterung veranlasst
Die Papstworte, wonach die Ukraine „den Mut zur weißen Flagge und zu Verhandlungen“ haben solle, wurden am Samstagabend von Medien verbreitet. Sie stammen aus einem Interview des Oberhaupts der katholischen Kirche mit dem italienischsprachigen Schweizer Rundfunk RSI, das am 20. März in voller Länge ausgestrahlt werden soll. Vatikansprecher Matteo Bruni beeilte sich, die Äußerungen einzuordnen. In einem Bericht von „Vatican News“, der auch auf Ukrainisch erschien, präzisierte Bruni, der Papst habe damit „vor allem zu einem Waffenstillstand aufrufen und den Mut zu Verhandlungen wiederbeleben“ wollen.

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Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben zu verhandeln.

Papst Franziskus in dem Interview mit dem Sender RSI

Der Papst habe mit den Aussagen das Bild der weißen Fahne aufgegriffen, das der Interviewer eingeführt habe, erläuterte Bruni. Sinn der Aussage sei, dass Franziskus sich eine „diplomatische Lösung für einen gerechten und dauerhaften Frieden“ wünsche.

Griff Formulierung des Interviewers auf
In dem Interview fragte der Journalist Lorenzo Buccella den Papst: „In der Ukraine gibt es diejenigen, die den Mut zur Kapitulation, zur weißen Fahne, fordern. Aber andere sagen, dass dies die Stärksten legitimieren würde. Was sagen Sie dazu?“ Darauf antwortete Franziskus: „Das ist eine Interpretationsweise. Aber ich denke, dass der stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut zur weißen Flagge hat, zu Verhandlungen. Und heute kann man mit der Hilfe der internationalen Mächte verhandeln. Das Wort ‘verhandeln‘ ist ein mutiges Wort.“

„Schämt euch nicht, zu verhandeln“
Weiter sagte der Papst in dem Interview: „Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben zu verhandeln. Du schämst dich, aber wie viele Tote wird es am Ende geben? Verhandle rechtzeitig, suche ein Land, das vermittelt. Heute, zum Beispiel im Krieg in der Ukraine, gibt es viele, die vermitteln wollen. Die Türkei hat sich dafür angeboten. Und andere. Schämt euch nicht, zu verhandeln“, so das Kirchenoberhaupt weiter.

„An anderer Stelle des Interviews, in dem er von einer anderen Konfliktsituation spricht, sich aber auf jede Kriegssituation bezieht, stellte der Papst weiter klar, dass eine Verhandlung ,niemals eine Kapitulation‘ ist“, erläuterte der Vatikansprecher dazu.

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