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Dammbruchargument: Kettenreaktion als Befürchtung

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16.03.2024 09:00

Diesmal möchten wir als rhetorisches Konzept dem Dammbruchargument eine Bühne bieten. Ob man es mit dem Slippery-Slope-Argument (zu Deutsch „rutschiger Abhang“) direkt gleichsetzt oder als eigenständiges Scheinargument betrachtet: In beiden Fällen steht dabei das Heraufbeschwören der Befürchtung eines Dominoeffekts im Vordergrund. Einer Entscheidung oder Handlung wird dann eine größere Rolle zugeschrieben, als sie womöglich hat; sie wird zum Auslöser einer regelrechten Flutwelle hochstilisiert.

Die Angst vor einer unaufhaltsamen Kettenreaktion 
Wir alle kennen das Bild von hintereinander aufgereihten Dominosteinen, die durch eine einzige Fingerbewegung kaskadenartig zum Fallen gebracht werden. Der vorderste Stein wird angetippt und löst eine Kettenreaktion aus, die ohne Regulierung von außen unausweichlich alle anderen Steine auch betrifft. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Dammbruchargument. Personen, die in einer Diskussion damit aufwarten, behaupten, dass durch eine bestimmte Handlung oder Entscheidung, und sei sie noch so klein und unbedeutend, ein bildlich gesprochener Damm zum Bersten gebracht werden wird. Die Folgen werden als verheerend angesehen, das Schlaglicht wird oft auf Extremfälle geworfen. In so einem Fall regiert die Angst und diese ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber.

  (Bild: stock.adobe.com)
 

Besonders dann, wenn es um potenzielle Veränderungen in Politik oder Gesellschaft geht, verfällt man gern in diese Rhetorik, um dagegen zu argumentieren. Die Unvermeidlichkeit einer unerwünschten, gefährlichen Konsequenz wird dann von der Gegenseite ins Feld geführt, um den Blick auf eine differenzierte Betrachtungsweise zu vernebeln. Ein gutes Beispiel dafür lässt sich im Diskurs rund um die jüngste Gesetzesänderung zum Thema Autoraser finden. Diese müssen nun bei extremen Geschwindigkeitsverstößen ihr Auto abgeben. Als Pläne diesbezüglich erstmals aufkamen, gab es neben vielen Befürworterinnen und Befürwortern dieses Schrittes freilich auch Gegenstimmen. Diese befürchteten Eingriffe in die persönliche Freiheit und das Eigentumsrecht. Die Argumentationslinie dieses Lagers lautete nicht selten: „Wenn man jetzt Rasern das Auto wegnimmt, endet das noch in der kompletten Enteignung!“, nach dem Motto „Wenn man erst einmal einen Fuß in der Tür hat …“.

Aufgeschlüsselt ergibt sich ein bestimmtes Schema, das für alle möglichen Themen Verwendung finden kann: Wenn A erlaubt wird (in diesem Fall die Beschlagnahmung des Autos von Extremrasern), führt das zu B (vielleicht dann die Abnahme des Autos schon für kleinere Geschwindigkeitsüberschreitungen), das wiederum zu C (man nimmt ihnen nicht mehr nur das eine Auto weg, sondern verbietet ihnen auch, jemals wieder eines zu fahren) und so weiter, bis man bei Z landet, dem ultimativen Bedrohungszustand (die komplette Enteignung). Das ist natürlich nicht realistisch, wiewohl Teile dieser Argumentationskette durchaus diskussionswürdig sein könnten. In diesem Fall sollte man sie sachlich und objektiv aufs Tapet bringen und vermeiden, immer schlimmere und schlimmere Folgen wie den Teufel an die Wand zu malen.

(Bild: Christof Birbaumer)

Schwächen und Stärken des Dammbrucharguments
Hier zeichnen sich bereits die Schwächen, aber auch Stärken dieser Art von Argument ab: Geht man davon aus, dass etwas unweigerlich zu einem gefährlichen Präzedenzfall führt, lässt man dabei alle möglichen positive Folgen außer Acht. Man neigt so dazu, vom Schlimmsten auszugehen. Dabei kann das Dammbruchargument im besten Fall auch dazu dienen, potenzielle Risiken und unerwünschte Konsequenzen aufzuzeigen. Wenn man sich direkt mit einem Thema auseinandersetzt und sich nicht einfach nur auf hypothetische Extremfälle versteift, kann es nämlich helfen, sich möglicher langfristiger Auswirkungen von etwas bewusst zu werden.

Die Schwächen liegen auf der Hand. Die Angst spielt hier als lähmender Faktor jenen in die Hände, die Veränderungen als schädlich betrachten und lieber den Status quo bewahren wollen. Wenn jede Entscheidung als etwas gesehen wird, das potenziell Katastrophales bewirkt, kann das dazu führen, dass man in der Entscheidungsfindung allgemein gehemmt wird.

Wie man gegen das Dammbruchargument vorgehen kann
Das Um und Auf ist auch hier wieder der Bezug auf die tatsächlichen Fakten und ein möglichst objektives Herangehen. 

  • Präsentieren von Fakten und Beweisen: Dies ist die effektivste Methode, um ein Dammbruchargument zu widerlegen. Legen Sie konkrete Fakten vor, die die zugrunde liegenden Annahmen des Arguments in Frage stellen.

    Beispiel: Wenn jemand ein solches Argument gegen die Abnahme der Autos von Rasern anführt, legen Sie Studien und Beispiele aus Ländern vor, in denen das bereits lange Usus ist und in denen die negativen Befürchtungen nicht eingetreten sind.

  • Hinweis auf Kontrollmechanismen: Weisen Sie auf Kontrollmechanismen hin, die verhindern können, dass eine kleine Änderung zu einer Flut von ähnlichen Änderungen führt. 
    Beispiel: Im Fall der Auto-Beschlagnahmung kann man argumentieren, dass dies nur unter bestimmten Voraussetzungen stattfindet, also keinesfalls willkürlich und unverhältnismäßig. Zudem kommt es nur in Extremfällen zur dauerhaften Abnahme des Fahrzeugs, was auch gesetzlich klar geregelt ist. 

  • Hervorhebung von Nuancen: Selbst wenn es zu einem „Dammbruch“ kommen sollte, müssen die Auswirkungen nicht negativ sein. Ein komplettes Schreckensszenario ist kaum eine realistische Variante. Die Realität ist komplexer als vereinfachte Darstellungen und es gibt viele Abstufungen. 
    Beispiel: Streichen Sie in unserem Beispiel heraus, dass diese Maßnahme von der Gesetzgebung als letztes Mittel gegen jene herangezogen wird, die wiederholt und rücksichtslos die Geschwindigkeitsbeschränkungen übertreten. Sie betreffen also nur besonders schwerwiegende Fälle und niemanden, der mal am Land auf einer leeren Straße ein paar km/h zu schnell fährt.
  • Vorbringen von Gegenargumenten: Mit starken Gegenargumenten gelingt das Widerlegen ebenfalls. Lenken Sie die Aufmerksamkeit auf mögliche Vorteile und argumentieren Sie, warum diese die potenziellen Risiken überwiegen. Man könnte außerdem aufzeigen, dass das Festhalten an aktuellen Strukturen ebenfalls Risiken und Kosten birgt.
    Beispiel: Führen Sie den aktuellen Status mithilfe von Zahlen zu Unfällen und Todesfällen durch Raser an und erwähnen Sie beispielsweise die präventive Wirkung einer solchen Maßnahme und den Schutz der Allgemeinheit dadurch.  

Halten wir fest: Wenn ein Dammbruchargument nur verwendet wird, um Angst vor Veränderungen zu bewirken und keine Beweise vorliegen, die das tatsächliche Eintreten von Hypothesen belegen, handelt es sich um einen klassischen Fehlschluss. Reine Spekulationen in puncto übertriebener, unrealistischer Szenarien sind in keinem Diskurs zielführend und sollten daher unbedingt vermieden werden.

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