„Krone“-Interview

Gewalt im Nahen Osten: „War ich zu naiv? Nein!“

Ausland
17.03.2024 07:20

Mit Sozialstudien hat sich Professorin Mona Khoury von der Hebräischen Universität in Jerusalem zu einer Instanz in Israel gemacht. Die Reibungen zwischen jungen Arabern und Juden beschäftigen sie seit Jahrzehnten. Auch für sie waren die Hamas-Anschläge vom 7. Oktober eine Zäsur.

Frau Khoury, sie haben bis zu dem 7. Oktober viel Hoffnung auf ein friedliches Miteinander zwischen Arabern und Juden gehabt. Haben Sie die immer noch?
Die aktuelle Situation lässt sogar Leute wie mich zweifeln. Ich frage mich mittlerweile: war ich in den vergangenen Jahren zu naiv?

Waren Sie es?
Am Ende sage ich immer: „Nein“. Denn wenn jetzt Leute wie ich die Hoffnung verlieren, dann wird sich gar nichts verändern. Wir können nicht aufgeben.

Angreifer und Opfer der Hamas-Anschläge waren oftmals gleich alt, um die 20. Ist diese Generation verloren? Auf beiden Seiten?
Wir brauchen zunächst einmal eine Lösung für das Problem. Und dann wird es wohl zwei Generationen dauern, bis sich alle wieder finden. Aber das erfordert zunächst einmal einen Lösungsansatz. Und zwar jetzt.

Mona Khoury beim „Krone“-Gespräch in Wien (Bild: Jöchl)
Mona Khoury beim „Krone“-Gespräch in Wien

Wie war die Situation an Ihrer Universität nach den Anschlägen? Dort studieren arabische, jüdische, christliche Jugendliche Seite an Seite.
Wir haben die Uni mehr als zwei Monate lang geschlossen und das Semester erst mit Ende Dezember begonnen. Das gab uns viel Zeit für Vorbereitungen.

Wie sahen diese Vorbereitungen aus?
Wir haben unser Lehrpersonal an der Fakultät geschult und ihnen psychologische Betreuung angeboten. Viele Mitarbeiter waren nach den Attacken in einem sehr schlechten psychischen Zustand, stark verängstigt, sehr besorgt. Bei den Studenten waren es besonders die arabischen Mädchen, die aufgrund ihres Kopftuches leicht erkennbar sind und sich nicht mehr auf den Campus getraut haben. Für sie haben wir eigene Busse organisiert, damit sie nicht mehr öffentliche Verkehrsmittel nehmen mussten.

(Bild: Jöchl)

Kam es zu aufgeheizten Situationen?
Nein, es blieb ruhig. Komplett ruhig. Beide Seiten waren unter Schock, niemand hat mit diesen Angriffen gerechnet. Selbst Leute, die normalerweise sehr sendungsbewusst waren, blieben zurückhaltend. Die Atmosphäre war so gespannt, dass niemand mit einer leichtsinnigen Aussage den Anschein erwecken wollte, die Hamas zu unterstützen.

Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, hat vor wenigen Tagen gesagt, Angriffe auf Juden seien nur der Auftakt, die ganze Demokratie sei bedroht. Sehen Sie das in Ihre Studien?
Wer gewalttätig handelt, unterscheidet irgendwann nicht mehr. Auch in Nazi-Deutschland waren es nicht nur die Juden, es waren die Roma und Sinti, politische Gegner. Es hört selten mit einer Gruppe auf.

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