Stefan Lindinger wagte den Sprung ins kalte Wasser. Im Frühjahr 2023 übernahm er erstmals die Rolle als Cheftrainer einer Biathlon-Mannschaft. Nach seiner ersten Saison ist klar: Das Wagnis lohnte sich, der Wahlsalzburger feierte mit Estland große Erfolge.
Ein Blick in den Lebenslauf von Stefan Lindinger offenbart: Dieser Mann hat einiges erlebt. Und noch viel mehr auf dem Kasten.
24 Jahre war er Professor an der Uni in Rif. Mehrere Jahre hatte er eine Professur an der Universität Göteborg. In den 90er Jahren arbeitete er mit Thomas Muster, der ehemaligen Nummer eins der Tennis-Weltrangliste, zusammen. Über mehrere Jahre zählte er zu den Betreuern von Ex-Tennis-Ass Barbara Schett.
Für seine Dissertation kooperierte der Wahlsalzburger einst mit dem norwegischen Skiverband und analysierte die Technik von Langlauf-Superstars wie Bjørn Dæhlie (achtfacher Olympiasieger und neunfacher Weltmeister) und Thomas Alsgaard (fünffacher Olympiasieger, sechsfacher Weltmeister).
Lindinger: „Rolle als Cheftrainer hat mich gepeckt“
Unter Trainerlegende Wolfgang Pichler zählte er zum Betreuerstab der russischen Biathletinnen, verließ das Team jedoch noch vor den Olympischen Spiele 2014 in Sotschi. Und auch mit zahlreichen heimischen Wintersportlern realisierte Lindinger diverse Projekte. Im vergangenen Winter wagte er sich auf neues Terrain.
„Die Rolle als Cheftrainer hat mich gepeckt“, verrät der 55-Jährige, der als Kind und Jugendlicher selbst Tennis spielte, ein guter Skirennläufer war und später zu den Nordischen (Langlauf, Biathlon) wechselte. Da traf es sich gut, dass in Estland genau diese Rolle frei war. „Das ist ein sehr sportliches Land mit rund 1,3 Millionen Einwohnern und einer ganz guten Sportstruktur“, hält er fest.
Im Biathlon hatten die Balten in den vergangenen Jahren zwar nichts zu melden, doch er ortete „eine Mittelklassenation mit Potenzial. Daher hat mich das interessiert. Auch wenn mir nicht zu hundert Prozent klar war, was da auf mich zukommen würde.“
Im Mai 2023 reiste er nach Otepää, schaute sich vor Ort die Gegebenheiten an – und unterschrieb einen Vertrag. „Da habe ich die Geschichte umgedreht. Früher war ich Uniprofessor, jetzt bin ich Cheftrainer“, grinst der gebürtige Osttiroler. „Ich habe mir diesen Job immer zugetraut“, betont er, um zuzugeben: „Leicht war es nicht.“
Stärke gezeigt – viel Energie investiert
Die erste Sommervorbereitung bei den Esten wurde gleich zur Bewährungsprobe. Unter den Athletinnen gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Spannungen, nicht alle trainieren unter Führung des Verbandes. Lindinger musste hart durchgreifen und Stärke zeigen. Das verschaffte ihm Respekt, kostete aber auch jede Menge Energie.
Dass ein Gros seiner Truppe zu Saisonbeginn auch noch an Corona erkrankt war und der erhoffte sportliche Aufschwung zunächst ausblieb, trug sein Übriges zu einem komplizierten Start in neuer Rolle bei. Lindinger glaubte aber an den neuen Weg, an seine Idee. Und sollte mit Fortdauer der Saison die ersten Erfolge ernten.
Es ist schon eine Wissenschaft, da habe ich mir im Vorfeld genau überlegt, was wir tun müssen. Du brauchst aber auch das nötige Glück, dass das Training dann anspricht. Das hat bei uns enorm gut funktioniert.
Stefan LINDINGER
So richtig ins Rollen kam sein Team, das deutlich weniger Budget und Manpower hat als etwa das österreichische, ausgerechnet zum Saisonhöhepunkt im Rahmen der Biathlon-Weltmeisterschaften im tschechischen Nove Mesto na Morave. „Die letzten drei Wochen vor der WM haben wir super hingebracht“, ist er stolz, dass den Esten der perfekte Formaufbau gelang.
Das sei alles andere als eine „gmahte Wiesn“. „Es ist schon eine Wissenschaft, da habe ich mir im Vorfeld genau überlegt, was wir tun müssen. Du brauchst aber auch das nötige Glück, dass das Training dann anspricht. Das hat bei uns enorm gut funktioniert“, sagt er stolz. Dass die Serviceleute auch noch exzellente Arbeit leisteten und die Esten schnelle Ski unter den Füßen hatten, war ein weiterer wichtiger Baustein am Weg zum Erfolg.
„Biathlon ist der wichtigste Wintersport“
Tuuli Tomingas oder Regina Ermits, bis dahin bestenfalls Mitläuferinnen, wuchsen im tschechischen Hochland über sich hinaus. In der Damen-Staffel lag Estland gar lange Zeit auf Medaillenkurs und landete schlussendlich auf dem vierten Platz. Ein historischer Erfolg, schließlich waren die Ladys nie zuvor auch nur annähernd so konkurrenzfähig.
Die Begeisterung bei den eher kühlen Nordeuropäern war riesig. Nicht nur, dass – im Gegensatz zu Österreich – zahlreiche Medienvertreter vor Ort waren, auch zuhause wurde kräftig mitgefiebert. „Biathlon ist der absolut wichtigste Wintersport in Estland“, erklärt Lindinger. „Bei fast allen Weltcups ist das Live-Fernsehen dabei. Ich hatte ständig Pressetermine, was ich überhaupt nicht gewohnt war.“
Wirklich ruhiger wurde es in den vergangenen Wochen nicht. Die Esten wollen die Zusammenarbeit mit Lindinger unbedingt fortsetzen. Auch der 55-Jährige, der hierzulande lange unter dem Radar flog („Viele wissen gar nicht, dass ich in Estland tätig bin“), kann sich einen Verbleib gut vorstellen.
Angesichts der estnischen Erfolge ist aber nicht auszuschließen, dass sich andere Verbände bei ihm melden – und der Lebenslauf des Tausendsassa um ein Kapitel reicher wird.
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