Großes Interview

Gitarrenlegende Carl Verheyen wird 70 Jahre alt

Musik
03.04.2024 09:00

Seit mehr als 40 Jahren ist der US-Amerikaner Carl Verheyen nicht mehr aus Gitarristenwelt des Blues- und Rockgenres wegzudenken. Heute feiert der langjährige Supertramp-Gitarrist seinen 70. Geburtstag. Dazu haben wir mit ihm über die Kultband, seine Hollywood-Arbeit und die Freundschaft mit Karl Ratzer gesprochen.

(Bild: kmm)

Als der amerikanische Gitarrist Carl Verheyen 1988 sein erstes Album veröffentlichte, war er bereits 34 Jahre alt und tourte ein Jahr lang mit Supertramp durch Stadien und große Arenen. Jahrelang übte und probte sich Verheyen vom Bar-Gitarristen über den Jazz bis hin zum Blues und zum Rock’n’Roll und übereilte nichts. Dass er trotz seiner bunten Fertigkeiten vergleichsweise spät ins Rampenlicht rückte, tat seiner Karriere keinen Abbruch. Mit Rick Davies‘ Supertramp spielte er ab 1996 bis zum Ende 2012 regelmäßig und durfte die Solos improvisieren. Er veröffentlichte zig Alben solo der mit Band und machte sich auch in der Filmbranche einen Namen.

Er spielte die Musik für Filme wie „The Crow“, „Die üblichen Verdächtigen“, „Ratatouille“ oder „Mission: Impossible“ genauso ein wie Gitarrenspuren für Erfolgsserien der Marke „Eine schrecklich nette Familie“, „Seinfeld“, „Frasier“ oder „Scrubs“. Von den Tantiemen der Erfolgsprodukte zehrt der leidenschaftliche Gitarrist noch heute. Durch seine Freundschaft mit Peter Infeld kam Verheyen vor rund 25 Jahren auch in Kontakt mit Österreichs Top-Gitarristen Karl Ratzer. Aus der Verbindung der beiden entstand 2000 das famose Album „Real To Reel“. Im ausführlichen „Krone“-Interview sprach Verheyen über seine Liebe zu Österreich, warum er als Session- und Studiomusiker so stark an Selbstvertrauen gewann und wie er es schafft, niemals an Begeisterung zu verlieren.

„Krone“: Carl, in deiner Karriere hast du schon einige große Shows in Österreich gespielt. Erinnerst du dich an irgendeine ganz besonders?
Carl Verheyen:
 Es gab viele großartige Konzerte. In erster Linie war ich hier auf Urlaub, weil ich das Land so liebe. Ich habe meine Frau mitgebracht und Wien, Graz, Salzburg und Admont erkundet. Früher war ich mit einer Saitenfirma namens Thomastik-Infeld verbunden, die hier in Wien ihren Standort hat. Sie sind eine große Marke, aber eher im orchestralen und nicht so sehr im rockigen Bereich. Als Peter Infeld noch lebte, waren wir sehr gut befreundet und er war Fan meiner Musik. Er hat mich eingeladen, um mit Karl Ratzer ein Konzert zu spielen. Ich war dann 2009 und 2010 hier, leider haben wir nicht mehr so viel Kontakt miteinander. Ich war hier auch ein paar Mal mit Supertramp unterwegs.

Karl Ratzer und du sind beide großartige Gitarristen. Ist neben einer Freundschaft auch Platz für eine gesunde Form der Rivalität?
Es gibt zwei Arten von Musikern. Einerseits jene, die extrem auf Wettbewerb aus sind. Sie geben nicht, sondern nehmen nur und wenn du ihnen was vorspielst, geht es nur um das Überbieten. Andererseits gibt es unterstützende und gemütliche Gitarristen – das sind meiner Ansicht nach auch die besten. Es geht ihnen darum, dass alle die bestmögliche musikalische Erfahrung haben. Dazu gehört Karl auf jeden Fall.

Als du im Herbst 2022 zuletzt im Wien im Reigen warst, hast du mitunter 25 Jahre deines Solodebütalbums „No Borders“ zelebriert.
Ich habe bis zu meinem dritten Album nie wirklich getourt. Ich spielte beim „Long Beach California Blues Festival“, wo auch Walter Trout auftrat. Er fragte mich, ob ich eine Distributionsfirma in Europa hätte. Ich verneinte, also fragte er mich nach einer CD, um sie seiner Plattenfirma vorzuspielen. Ich habe ihm 50 CDs gegeben, aber sie haben alle gehasst. (lacht) Das war an einem Montag. Am Freitag rief mich aber seine Plattenfirma an und ich hatte einen Vertrag in der Tasche. Das war 1997 für die „Slang Justice“. „No Borders“ und „Garage Sale“ sind in Europa gar nicht herausgekommen. Rund um 2009 habe ich mich selbstständig gemacht, denn auf das Wesentliche heruntergebrochen ist eine Plattenfirma nichts anderes als jemand mit einem Telefon. (lacht) Heute musst du alle Geschäftsfelder unter einem Dach haben und als ich begann, alles selbst zu machen, verdiente ich erstmals Geld. Ich strecke heute meine Produktionskosten vor und hole mir auf Tour alles rein. Das war eine späte, aber wichtige Erkenntnis für mich.

Einerseits geht heute vieles über Streaming, andererseits können Künstler so selbstständig und unabhängig arbeiten wie nie zuvor. Kommt dir das im Großen und Ganzen zugute?
Die Social-Media-Plattformen sind ein notwendiges Übel, aber ich habe mir einen Profi dafür geleistet und sie sorgt dafür, dass das Produkt und die Person Carl Verheyen diese Plattformen perfekt bedient. Es gibt jede Woche drei oder vier Posts, die gut zu mir und meiner Musik passen. Ohne sie würde ich wahrscheinlich zweimal im Monat posten. Ich bin nicht so der Typ, der sein Abendessen als Instagram-Story ausschlachtet. (lacht) Würde ich alles selbst machen, wäre es mehr eine Mischung aus Gitarrenunterricht und Reiseblog.

Carl Verheyen im Gespräch mit „Krone“-Redakteur Robert Fröwein. (Bild: Alfred Pulletz)
Carl Verheyen im Gespräch mit „Krone“-Redakteur Robert Fröwein.

In deiner Brust schlagen viele verschiedene Herzen. Jenes von Supertramp, das der Carl Verheyen Band, das für Filmmusik und Soundtracks und das für die Solosachen. Wie inspirieren sich all diese verschiedenen Projekte gegenseitig?
Das ist die beste Frage, die ich seit langem gehört habe, weil all diese Dinge sich gegenseitig befruchten. Ich übte einst gerade Zeug von Chet Atkins, ziemlich schwierig, und wurde dann für einen Soundtrack einberufen. Der Zuständige wollte, dass meine E-Gitarre mehr wie eine Akustikgitarre klingt und hat sie völlig anders gestimmt. Ich beließ es dabei, weil es mir gefiel, und schrieb ein paar Tage später einen Song in genau dieser Stimmung. Supertramp-Chef Rick Davies ist für mich ein wichtiger Mentor und hat mir die richtigen Werte beigebracht. Völlig egal, ob man in einem Stadion in Paris, in der Londoner O2-Arena oder im Hockeystadion von Muncton in New Brunswick spielt – es ist immer dieselbe Show und man muss immer 100 Prozent geben. Egal wo, egal wie, egal unter welchen Umständen. Ich ticke ohnehin so, aber was mich überrascht war, dass es Rick Davies auch so sieht. Er hätte in kleinen Venues locker die Setlist kürzen oder das Lichtsystem einsparen können – tat er aber nie. Jede Nacht muss so perfekt wie möglich laufen. Ich liebe diese Einstellung.

Bei Supertramp bist du auch an der Oberfläche von Ricks musikalischer Vision, die irgendwo zwischen Pop, Rock und Prog pendelt. Als ich jünger war, wollte ich allen meinen Stil aufzwingen, aber ich lernte schnell, dass es klüger ist, der musikalischen Vision anderer zu folgen. Als Bandleader habe ich immer Musiker geholt, die diese Mentalität haben. Jeder soll seine persönliche Identität in der Musik ausleben können, aber es gibt eine übergeordnete Vision. Ich bin ja selbst sehr bunt unterwegs. Ich liebe Country, Rock’n’Roll, Blues, Jazz - einfach alles.

Weil du es schon angeschnitten hast – musstest du dein persönliches Ego bei Supertramp zurückstellen? Musstest du lernen, als Mannschaftsspieler und nicht als Kapitän eines Teams vorzugehen?
Ich trat der Band 1985 nach dem Album „Brother Where You Bound“ bei. Der Titelsong hatte ein sehr langes Solo, das an David Gilmour erinnerte. Normalerweise muss man so etwas Note für Note nachspielen, aber sechs Minuten zu kopieren, ist nicht leicht. Ich schlug vor, dass ich den Beginn und das Ende lerne, dazwischen aber meinen Stil improvisieren würde. Überraschenderweise ließen sie es mich versuchen und es hat funktioniert. Auch den Song „Goodbye Stranger“ durfte ich in meiner Version spielen und so ging es von einem Song zum nächsten weiter. So wurde ich zum Bandmitglied und konnte mich darin auch relativ frei entfalten.

Rick Davies hatte in den letzten Jahren extreme gesundheitliche Probleme, aber das Schlimmste scheint vorerst einmal überstanden zu sein …
Es geht ihm momentan ganz gut. Ich glaube aber nicht, dass wir mit Supertramp noch eine große Tour machen werden. Er könnte sich vorstellen, eine Residenz anzusteuern und drei Wochen dort zu spielen. Er hasst aber Las Vegas, also müssten wir wohl woanders hin. Mir wäre es ganz recht, ich wäre in knapp fünf Stunden mit dem Auto dort. (lacht) Aber ich bezweifle ernsthaft, dass Rick damit glücklich wäre.

Sind ein neues Album oder ein paar neue Songs vorstellbar?
Ich glaube nicht. Finanziell hat er natürlich ausgesorgt, weil er mit Roger Hodgson alle Songs geschrieben hat. Rick ist ein echter Rock’n’Roller, das merkt man an seinem Spiel am Keyboard. Ich liebe seine Musikalität und was die meisten nicht über Supertramp wissen ist, dass Rick und John Helliwell sehr stark im Blues oder im Blue-Note-Jazz verankert sind. Sie lieben amerikanische Musik, die viel Seele zeigt. Es gibt einen Organisten namens Bill Doggett, den Rick über alles liebt. Roger mag das Pop-Zeug, Rick genau das Gegenteil. Das hat diese Band auch immer ausgemacht.

Du bist einer der am besten gebuchten Rockgitarristen in den USA. Was sind die wichtigsten Charakteristika und Wesenszüge, die man für diesen Job mitbringen muss?
Um gerne und oft gemietet zu werden, ist es unerlässlich, dass man so viel wie möglich von so vielen Musikstilen wie möglich erlernt. Ich gelte als Blues-Gitarrist, aber ich kann auch alle anderen Stile spielen. Nur dadurch kommst du in möglichst vielen Bereichen unter und wirst regelmäßig angefragt. Das geht vom Gyspy Jazz über Country bis hin zu Heavy Metal. Mit viel Übung steigt dann auch das Selbstvertrauen automatisch. Ich hatte manchmal zehn Aufnahmesessions pro Woche. Um 13 Uhr hier, um 18 Uhr dort, eine Nachtsession im dritten Studio – das war und ist ganz normal für mich. Das Gute ist, dass ich jede Nacht in meinem eigenen Bett schlafe, jeden Tag andere Leute treffe und immer mit allen vernetzt bin. Ich verlor bei diesen Jobs aber auch die Angst, nicht zu genügen. Ich merkte, dass ich eigentlich alles kann und überall einsetzbar wäre.

Filmkomponisten wissen meist genau, was sie wollen, aber man darf sein Ego nicht zurückstellen. Ich bringe gerne den Gegenvorschlag, wie ich Dinge als Gitarrist, also als Mann vom Fach, sehe. Da muss man natürlich aufpassen, aber meistens hilft es allen. Ein gutes Beispiel ist der Kultfilm „The Crow“, dessen Sound Graeme Revell zusammenstellte. Ich kam ins Studio und er zeigte mir die Szene, wo der Hauptdarsteller auf einem Hochhaus eine Heavy-Metal-Gitarre spielt und dann hinunterwirft. Er schrieb mir eine unglaublich langsame, friedliche Komposition, aber ich sagte ihm, dass man, bei allem gebührenden Respekt für seine Idee, viel mehr aufs Gaspedal drücken müsse. Er ließ mich improvisieren und wir nahmen meinen Take. Diese Szene verlangte nach Heavy Metal und nach dem Einsatz von Tremolo. Danach bekam ich einen Stundenlohn als Ghostwriter und begleitete den ganzen Film. (lacht)

Du warst ja sogar am Sound der unvergessenen Kultserie „Eine schrecklich nette Familie“ beteiligt …
Ich war überall dabei. Bei „Scrubs“, „Seinfeld“, „Frasier“ und wie sie alle heißen. Finanziell waren das immer sehr lohnende Aufträge, denn wenn du neben dem Fernsehen auch in Flugzeugen, beim Streaming oder in anderen Ländern ausgestrahlt wirst, kriegst du ständig Tantiemen dafür. Eine sechste Staffel von „Seinfeld“ bringt mir jährlich, bis zu meinem Lebensende, ein paar Hundert Dollar pro Jahr ein. Wenn du das auf alle Serien hochrechnest, gibt mir das eine schöne finanzielle Sicherheit.

Hast du schon immer so viele verschiedene Musikstile geschätzt und geliebt? Oder kam das erst mit der Zeit?
Es war früh ziemlich offensichtlich. Als ich jung war, spielte ich in einer Bar Akustikgitarre. Ein Typ kam rein und mochte, wie ich spiele. Er wollte, dass ich in seinem Haus jamme und das kam mir mit 18 gerade recht. Mir war wichtig, immer weiter dazuzulernen und der Typ zeigte mir, wie man einen Akkord in x verschiedenen Varianten spielen könnte. Ich kam also schnell auf den Jazz-Highway und habe mich da richtig hineingeworfen. Fünf Jahre lange habe ich täglich acht Stunden geübt und gelernt. Das ging bis etwa 1977 so.

Irgendwann fuhr ich mit meinem Auto herum und drehte am Radio. Ich höre im Eagles-Song „Those Shoes“ das Gitarrensolo von Joe Walsh und musste das Auto sofort am Straßenrand parken. Die Rock’n’Roll-Gitarre hatte sich in fünf Jahren, in denen ich die Jazz-Scheuklappen aufhatte, so verändert, dass mir eine Stimme sagte, ich müsse dort unbedingt aufholen. Ich spielte Licks von Albert Lee und Chet Atkins und holte mich selbst wieder in den Blues und Rock zurück. Mein Ansatz damals war: Wenn ich etwas mag, dann will ich es spielen können. Das ist heute noch immer so. Wenn ich im Auto einen Song höre, der mich begeistert, dann muss ich ihn lernen. Meine Neugierde für neue Sounds und Harmonien hat mich immer motiviert.

Wie viel Zeit verwendest du noch heute darauf, die Gitarre zu spielen?
Zu Hause? Ich spiele jeden einzelnen Tag, ohne Ausnahme. An manchen Tagen eine Stunde, an anderen vier. Aber das Schreiben an neuen Songs ist etwas anderes als üben und spielen. Wichtig für meinen Fluss des Übens ist ein Blick in meinen Kalender. Wenn ich sehe wann, wo und in welcher Art ich das nächste Mal auftrete, kann ich gezielt üben. Mit Stewart Copeland etwa habe ich in dem Projekt Police Deranged For Orchestra gespielt, wo wir klassische Songs von The Police mit einem Sinfonieorchester aufgenommen haben. Das war richtig cool. Jede Art von Übung folgt einem Mantra meiner Mutter, die immer sagte: „Ich werde nicht versagen“. (lacht)

Fällt es dir nach all den Jahren noch immer leicht, dich mit deiner Musik oder deinen Ideen selbst zu überraschen?
Durchaus. Ich habe ein paar Shows in England und Schottland ganz alleine und akustisch gespielt. Dann bin ich wieder ein paar Wochen mit einer Band unterwegs und das klingt total anders. Ich halte mich auf Tour natürlich an die Songs, die funktionieren, spiele sie aber doch jeden Abend immer etwas anders. Ich verharre nicht in etwas, das gut ankommt, sondern suche darin noch immer neue Ansätze und Varianten. Weder für mich, noch für mein Publikum soll zu viel Berechenbarkeit herrschen. Außerdem macht es Spaß, wenn man sich immer aus der Komfortzone bewegt.

Zweimal live in Österreich
Auch in diesem Frühling ist Carl Verheyen wieder fleißig auf Tour und wird dabei auch zweimal in Österreich vorstellig. Am 4. Mai spielt er im Admonter Hotel Die Traube und am 13. Mai beschließt er seine Europa-Tour mit einem Auftritt im Rockhouse in Salzburg. Und wer weiß? Vielleicht hängt er auch wieder ein paar Urlaubstage dran ... Unter www.carlverheyen.com finden Sie alle Termine und auch die Karten für die Top-Konzerte.

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