Mit Zinserträgen aus russischen Vermögenswerten in Europa will die EU-Kommission Waffen- und Munitionskäufe für die Ukraine finanzieren. Juristisch heikel. Und riskant. Nicht nur wegen einer möglichen Reaktion aus Moskau.
Kurz vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel setzt die Union ein starkes, aber auch riskantes Signal Richtung Moskau. Nun hat die EU (noch) keine militärische Macht, um Druck auf den Kreml auszuüben. Aber eine wirtschaftliche.
Ende 2023 wurde erstmals in Brüssel laut darüber nachgedacht, in Europa einlagerte russische Vermögenswerte für die Unterstützung der Ukraine zu verwenden. Ging es zunächst um Wiederaufbau, sprechen führende Politiker Europas bereits Klartext: Es geht um den Kauf von Waffen für die Ukraine.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte am 28. Februar vor dem Europäischen Parlament: „Es ist an der Zeit, dass wir über die Verwendung eingefrorener russischer Vermögenswerte für den gemeinsamen Erwerb militärischer Ausrüstung für die Ukraine sprechen. Es könnte kein stärkeres Zeichen und keine bessere Verwendung für diese Vermögenswerte geben, als sie einzusetzen, um die Ukraine und ganz Europa zu einem Ort zu machen, an dem es sich sicher leben lässt.“
Josep Borrell, der schon bei seinem Amtsantritt 2019 sagte, Europa müsse „die Sprache der Macht lernen“, forderte, 90 Prozent der eingefrorenen russischen Mittel für den Kauf von Waffen für die Ukraine zu nutzen. Die restlichen zehn Prozent sollten in das EU-Budget transferiert werden, um die ukrainische Rüstungsindustrie zu unterstützen.
Und selbst der als Zauderer bekannte deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte vergangenen Freitag beim Treffen des „Weimarer Dreiecks“ mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem polnischen Regierungschef Donald Tusk an, „künftig russische Vermögenswerte, die in Europa eingefroren sind, für den Kauf von Waffen nutzen“. Ein Regierungssprecher aus Berlin bestätigt auf Anfrage der „Krone“: „Der Bundeskanzler bezog sich mit seiner Aussage auf Übergewinne (,windfall profits‘), die in der EU auf eingefrorene staatliche russische Vermögenswerte anfallen. Mit seinem Beschluss vom 29. Januar 2024 hat der Rat der EU die Grundlage geschaffen, diese zur Unterstützung der Ukraine zu verwenden. Für ihre konkrete Verwendung muss die Kommission zunächst einen Vorschlag vorlegen, der dann vom Rat einstimmig angenommen werden muss.“
Man kauft also für russisches Geld Waffen für die Ukraine, die damit auf Russen schießt?
Nein, sagt die EU-Kommission, die rechtzeitig vor dem EU-Gipfel ihren Vorschlag präsentieren wird, wie Medien übereinstimmend berichten. Das eingefrorene russische Vermögen im Westen beläuft sich auf 260 Milliarden Euro. Zwei Drittel davon liegen in der EU beim belgischen Finanzdienstleister Euroclear. Dieses Vermögen bleibt unangetastet. Aber die Zinsen, die auf dieses Vermögen anfallen, werden auf ein separates Konto gelegt, damit das Geld nicht an Russland zurückfließt, falls die Sanktionen irgendwann einmal aufgehoben werden. Es geht um etwa drei bis vier Milliarden Euro pro Jahr. Diesem Schritt haben die EU-Mitglieder im Februar bereits einstimmig zugestimmt.
Wie kann aber die EU die Zinsen beschlagnahmen? Hier erläutert ein EU-Rechtsexperte, dass diese Zinsen ja ohnehin erst deswegen anfallen, weil das Geld eingefroren und Sanktionen beschlossen wurden. Man nennt das „außergewöhnliche Einkünfte“. Deswegen ist es kein Geld, das Russland zusteht. Juristisch wichtig. Und auch von den Verträgen zwischen Euroclear und russischer Zentralbank gedeckt. Das Geld fließt dann in die europäische Friedensfaszilität (EPF). Diesen Etat hat die EU vor zwei Jahren gegründet. Er läuft außerhalb des EU-Budgets, wird aber von den Mitgliedsbeiträgen finanziert. Damit kann die EU ohne Verletzung von EU-Verträgen Waffen und Munition aus Drittstaaten für zum Beispiel die Ukraine kaufen.
Wie dieses Geld verwendet wird, wird dennoch Gegenstand von Diskussionen bleiben. Neutrale Staaten wie Irland wollen einem Waffenkauf nicht zustimmen, sondern das Geld etwa für Minenräumgeräte verwenden. Der Kommissionsvorschlag wird beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag besprochen.
Eine heikle Angelegenheit bleibt es dennoch. Moskau bezeichnete den Plan der Kommission in einer ersten Reaktion als „Diebstahl“. Nun gibt es kaum westliche Vermögenswerte in Russland, jedoch wird die Verstaatlichung privater Investitionen voranschreiten, wie es etwa schon bei Carlsberg, Danone oder bei den Aktienpaketen der OMV an einem westsibirischen Erdgasvorkommen Ende 2023 passiert ist.
Es wäre ein Schritt mit einer starken Signalwirkung. Aber ein riskantes. Brüssel muss das Risiko einkalkulieren, dass das Vertrauen anderer Länder wie etwa China oder Länder der arabischen Welt, ihre Währungsreserven in Euro zu halten, verloren gehen könnte. Das schadet dem Wert des Euro.
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