In Österreich sind 1,8 Millionen Menschen 65 Jahre oder älter. Bis 2050 soll sich die Zahl laut Schätzungen verdoppeln. Einhelliger Tenor der Fachleute bei einem Kongress in Wien: „Prävention von Alterskrankheiten muss spätestens im mittleren Lebensalter beginnen!“
Ab 75 Jahren hat jeder Dritte trotz Brille Schwierigkeiten beim Sehen, trotz Hörhilfe Defizite beim Hören und Verstehen. Fast jeder Zweite leidet an Gedächtnisstörungen und/oder Problemen beim Gehen auf ebener Strecke. Doch all diese Einschränkungen beginnen bereits weit früher und könnten in hohem Maße und bei gezielter Betreuung zumindest zum Teil hintan gehalten werden. Das bestätigten Experten bei einer Pressekonferenz anlässlich des Geriatrie-/Gerontologie Kongresses, der an der MedUni Wien von 4.-6. April stattfinden wird und zum Ziel hat, moderne altersspezifische Therapien Vorsorgeprogrogramme und Zukunftsperspektiven für ältere Menschen zu präsentieren.
Kein Facharzt für Geriatrie
„Es ist oft schwierig für geriatrische Patienten und deren Angehörige, rasch eine passende medizinische Versorgung zu erhalten. Zwar befindet sich die Akutgeriatrie und die Remobilisation österreichweit im Ausbau – es gibt mittlerweile über 50 Standorte mit insgesamt etwa 2.200 Betten in fast allen Bundesländern –, aber wir haben immer noch keinen Facharzt für diesen wichtigen Bereich“, berichtet Univ.-Prof. Dr. Bernhard Iglseder (Salzburg), Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie (ÖGGG) bei einer Pressekonferenz.
„Wenn ältere Menschen multimorbid und gebrechlich werden, haben sie ein hohes Risiko Einschränkungen beim Sehen, Hören, der Mobilität, der Gedächtnisleistung zu erfahren oder Mangelernährung zu erleiden. Vor allem durch Letzteres steigen die Komplikationsraten, die Genesungsraten verschlechtern sich. Sozialer Rückzug bedroht die Selbstständigkeit – Autonomie bedeutet aber das höchste Gut, das wir als Menschen haben. Daraus entsteht eine Komplexität, für die unser Gesundheitssystem nicht optimal gerüstet ist.“
Die ÖGGG kritisiert ebenfalls, dass Österreich eines der wenigen europäischen Länder, in der die Geriatrie kein eigenes Fach ist, sondern nur eine Spezialisierung mit zwei Jahren Zusatzausbildung. Wir haben derzeit im Land nur zwei Lehrstellen an Medizinuniversitäten für Studierende. Die Jungärzte werden nur sehr punktuell mit dem wichtigen Thema der Altersmedizin konfrontiert. Das gehe komplett am Bedarf vorbei, so Iglseder.
Sozialer Rückzug bedroht die Selbstständigkeit – Autonomie ist aber das höchste Gut, das wir als Menschen haben.
Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Iglseder, Universitätsklinik für Geriatrie, Christian-Doppler-Klinik
Bild: privat
Kongresspräsidentin Univ.-Prof.in Dr. Regina Roller-Wirnsberger (Graz), betonte: „Ein aktuelles Problem stellt das fragmentiertes Gesundheitssystem dar, weil es für alte Menschen keine durchgehende Therapiezielverfolgung gibt. Mehrfache chronische Erkrankungen, allen voran Herzschwäche, Atemwegserkankungen, Rheuma beeinträchtigen den Alltag schwer. Die Geriatrie hat das Instrument, die Bedürfnisse der Patienten umfassend zu erheben und sie auch dementsprechend zu behandeln (Geriatrisches Assessment). Das gelingt nur unter Einbindung unterschiedlicher Berufsgruppen. Ein ganzes Team entwickelt dann ein individuelles Therapieziel auf Augenhöhe.“
Vorsorgemaßnahmen gegen Altersbeschwerden sollten bereits im mittleren Lebensalter beginnen und jedem zugänglich sein, fordert die Fachgesellschaft. Dazu gehören Programme, um Sturz- und Demenzrisiko zu verringern, flächendeckende, integrierte Versorgung, stationäre Angebote, Tagesambulanzen usw. um Krankenhausaufenthalt zu verhindern, bzw. danach rasch wieder in den Alltag zurück zu finden.
Der Kongress hat im Untertitel die Aussage: „Keine Altersfrage“. Warum?
„Es geht eben darum, präventiv anzusetzen und das über alle Lebensphasen. Für unsere älteren Mitbürger Chancengleichheit und -gerechtigkeit herzustellen. Aber auch, um Antworten darauf zu finden, was wir tun können, um am Ende des Lebens nicht so rasch und lange pflegebedürftig zu sein – auch in Hinblick auf die Personalknappheit auf dem Pflegesektor. Es ist derzeit ein bisschen ein Glücksspiel, ob man einen Platz in der Aktugeriatrie bekommt – viele Patienten werden nach einem Spitalsaufenthalt wieder nach Hause geschickt. Die Fachgesellschaft setzt sich hier für eine Verbesserung ein“, so Roller-Wirnsberger.
Die Medizin hat die Aufgabe, genau hinzusehen
Per Video bei der Pressekonferenz in Wien zugeschaltet, plädierte Prof. Dr. Giovanni Maio, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Deutschland: „Geriatrie müsste eigentlich ein Vorbild für die ganze Medizin sein, weil dort alle Disziplinen gefragt sind. DEN alten Menschen gibt es nicht, nur die Vielfalt von Personen mit unterschiedlichsten Probleme. Diese lassen sich nicht auf einfache Kategorien herunterbrechen, die so auch gar nicht im Lehrbuch stehen können. Nicht nur durch die vielen Krankheitsbilder, sondern auch durch die Lebenssituation des Einzelnen. Hier hat die Medizin die Aufgabe, gezielt hinzusehen. Eine Geriatrie, die nicht auch auf die psychosoziale Situation der Patienten eingeht, wird nicht wirklich helfen können. Wir müssen die ältere Generation wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückholen.“
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