Mit einem neuen Album, einem Netflix-Biopic und ihrer aktualisierten Autobiografie geht Rock-Legende Gianna Nannini zu ihrem anstehenden 70. Geburtstag noch einmal in die Vollen. Die „Krone“ traf sie in Mailand, um mit ihr über das Altern als Rockstar, die späte Mutterrolle, die Liebe zum Soul und Stimmexperimente zu sprechen.
Im Jahr ihres 70ers will es Rockröhre Gianna Nannini noch einmal so richtig wissen. Letzten Freitag erschien ihr brandneues Studioalbum „Sei Nel l’Anima“, am 2. Mai startet ihr gleichnamiges Biopic auf Netflix, an dessen Drehbuch sie selbst mitschrieb und später im Jahr soll zudem ihre 2005 veröffentlichte Autobiografie aktualisiert erscheinen. „Wobei, das stimmt nicht so ganz“, entgegnet das Energiebündel der „Krone“ beim Interview in Mailand, „ich schreibe dafür ein neues Vorwort, das sollte fürs erste reichen.“ Dass die „Grande Dame“ des Italo-Rock am 14. Juni ihren 70er feiert, ist kaum zu glauben. Wie ein Derwisch fegt sie bei Medienterminen durch die Gänge, verrenkt sich während Interviews auf den Eckbänken und feuert ihre Antworten wie Maschinengewehrsalven ins Diktiergerät.
Kurzfristige Kehrtwende
Das Gespräch findet im Restaurant neben dem Armani/Prive-Club im Zentrum Mailands statt. Die Inneneinrichtung des mondänen Nachtclubs hat Giorgio Armani selbst entworfen und wo normalerweise DJs bei wenigen und meist betuchten Gästen für Stimmung sorgen, präsentiert Nannini vor ausgewähltem Publikum erstmals Songs ihres neuen Albums. Eigentlich wollte sie nach dem durchaus adäquaten, aber etwas untergegangenen „La Differenza“ und einer kreativ lähmenden Corona-Phase ein Soul-Coveralbum einspielen, doch die Umsetzung der Rechtebeschaffungs- und Lizensierungsfragen verlieen schwieriger als gedacht. Nanninis musikalische Wurzeln, Blues und vor allem Soul, standen dann aber auch im Blickfeld von „Sei Nel l’Anima“. „Ich bin mit Otis Redding, Janis Joplin, Ray Charles und Etta James aufgewachsen. Sie haben mir gezeigt, wie man singt.“ Etta James‘ Klassiker „I’d Rather Go Blind“ hat sich Nannini für das Album als italienische Version („Il buio nei miei occhi“ zu Eigen gemacht.
„In dieser Art und Weise habe ich zuletzt Ende der 70er-Jahre, zu Zeiten des ,California‘-Albums gesungen. Mein Vater hat diesen amerikanischen Zugang in meiner Stimme gefördert, aber ein paar Jahre später wurde der europäische Sound zu meiner Identität. Dieses Album ist wie eine Rückbesinnung auf den Soul der frühen Tage.“ Ein Schlüsselmoment für Album und Film war das Jahr 1983, das sie auch in einem gleichnamigen Song verarbeitet hat. Davor fiel Nannini in eine schwere Depression (den Terminus „Burn Out“ gebrauchte man vor 40 Jahren noch nicht). Sie igelte sich ein und verlor die Lust an der Kreativität und am Songschreiben. „1983 legte sich aber ein Schalter um und plötzlich ging mein Leben wieder los. Ich habe keine Ahnung, was da genau passierte, aber es passierte. Deshalb ist dieses Jahr für mich wie eine Wiedergeburt. Strenggenommen lebe ich also zweimal“, fügt sie lachend hinzu.
Persönlich und vielseitig
Der quirligen Sängerin sitzt im Gespräch stets der Schalk im Nacken. Auch wenn „Sei Nel l’Anima“ das vielleicht persönlichste Album ihrer Karriere ist und viele melancholische Töne den inhaltlichen Grundton ausmachen, ergibt sich die markante Reibeisenstimme niemals der Melancholie. In „Lento Lontano“, einer Hommage an ihren geliebten Vater, lässt die 69-Jährige den Gospel in den Vordergrund rücken. „Ich habe dafür mit Troy Miller gearbeitet, der Amy Winehouse und Diana Ross produzierte. Er war der richtige Mann. Ich versuche, mit italienischem Text so nahe wie möglich an einen klassischen Gospel-Song heranzukommen.“ Mission geglückt. Die Songs sind vielseitig und teilweise hitverdächtig. Die Single „Io voglio te“ ist eine mit Synthesizer-Klängen durchzogene Soul-Nummer, die Nanninis angeborene Leidenschaft für das Leben ins Zentrum stellt, „Tutta la vita“ feiert die Liebe und das Leben mit dicken Bassläufen und die Ballade „Caio e meglio di goodbye“ befasst sich mit den Tücken einer Trennung, wenn sich die Zweisamkeit einfach nicht mehr ausgeht.
Nannini setzt ihre Stimme in den einzelnen Songs explosiver ein als gewohnt und entfacht mit der eher traditionellen Instrumentierung und der modernen Produktion ein ganz besonderes Feeling, das zwischen wohliger Nostalgie und zeitgemäßer Gegenwärtigkeit liegt. Besonders schön sticht dabei der Abschlusssong „Mi mancava una canzone che parlasse ti di“ heraus, bei der die Stimme der Sängerin bewusst kratzig und original über die Instrumentierung produziert wurde. „Der Song ist ziemlich anders und verspielt. Ich hoffe, die Leute mögen ihn.“ Während Nannini in den letzten Jahren durchaus von modernen Trends inspiriert war, drehte sie für „Sei Nel l’Anima“ das Rad der Zeit bewusst zurück. Nur Pop-Sternchen Rosalia hat sie nachhaltig beeindruckt. „Mit ihrer Form von katalanischem Flamenco hat sie einen völlig neuen Zugang zur Popmusik gefunden. Das respektiere ich sehr.“
Im Kampf gegen Taylor Swift
Neue Töne gibt es mittlerweile auch im Familienhaus. Tochter Penelope rückt mit Riesenschritten ins Teenager-Alter und hat die allumfassenden Fertigkeiten von Superstar Taylor Swift für sich entdeckt. „Sie sagt mir zwar immer, ich hätte mitunter eine der besten Gesangsstimmen der Welt, aber insgesamt kann ich mit Swift nicht mithalten“, lacht die stolze Mutter. Mit „Silenzio“ hat sie auf dem neuen Album auch ihrer Tochter eine Nummer auf den Leib geschrieben. Ab November geht Gianna Nannini mit dem Album auf Tour, 2025 sollen USA- und diverse Festivaltermine folgen. Vielleicht kommt dann auch noch eine Donauinselfest-Show aufs Parkett. Zuletzt war sie 2021 beim „Falco Tribute Konzert“ zu Gast. „Ich liebe Falco und ich liebe Wien. Ich bin immer gerne hier und hoffe schon, dass wir einen Livetermin zusammenbringen.“ Bis es so weit ist, kann sie sich ausreichend in Europa und Übersee stählen. Nannini sieht nicht nur nicht aus wie fast 70, sie fühlt sich auch nicht so. „Sobald wir auf Tour unterwegs sind, bin ich maximal 41“, lacht sie laut auf, „es ist meine musikalische Seele, die mich jung hält.“
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