Ukraine kontert Putin

Experte: „Anschlag bringt Kreml in Erklärungsnot“

Ausland
23.03.2024 20:25

Die Terrormiliz IS hat sich zu dem verheerenden Anschlag in Moskau mit über 130 Toten bekannt. Kremlchef Wladimir Putin behauptet aber, eine Spur führe in die Ukraine, was Kiew als „absurd“ zurückweist. „Der Anschlag bringt den Kreml in Erklärungsnot“, meint Russland-Experte Gerhard Mangott in einer Einschätzung gegenüber der „Krone“.

„Wie konnte der immense Sicherheitsapparat die Attentäter nicht vorab ausschalten, zumal es Warnungen der USA gegeben hatte?“, fragt Mangott. Denn deren Geheimdienste hatten bereits Anfang März auf die Gefahr eines drohenden Anschlags hingewiesen.

Putin tat Warnungen als Provokation ab
So schrieb die US-Botschaft in Moskau am 7. März, sie verfolge Berichte, wonach Extremisten unmittelbar bevorstehende Pläne haben, große Versammlungen in Moskau anzugreifen, darunter auch Konzerte. Sie forderte Landsleute auf, Menschenmengen zu vermeiden und sich auch sonst achtsam zu verhalten. Diese Warnungen tat Putin als westliche Provokation ab. Ziel solcher Warnungen des Westens sei es, die Lage in Russland zu destabilisieren, behauptete er Anfang der Woche bei einer Rede beim Inlandsgeheimdienst FSB.

Nach dem Anschlag in der Crocus City Hall mit mindestens 133 Toten, darunter auch drei Kindern, meldete der Kreml die Festnahme von elf Personen. Darunter seien auch die vier mutmaßlichen Attentäter. Die Hauptverdächtigen wurden laut Staatsagentur TASS am Samstagabend zum Verhör in die russische Hauptstadt gebracht. Die vier Männer waren in einer streng abgesicherten Wagenkolonne aus der Region Brjansk im Süden des Landes, wo sie festgenommen worden waren, zum sogenannten Ermittlungsausschuss gefahren worden. In den kommenden Tagen solle vor Gericht ein Antrag auf Haftbefehl gestellt werden. Ihnen allen drohe eine lebenslange Haftstrafe, hieß es weiter.

Bei ihnen handle es sich nicht um Russen, so das Innenministerium. Um welche Staatsbürgerschaften es sich handelte, teilte es jedoch nicht mit. Infrage kommen viele: „Die Terrorzelle besteht aus Mitgliedern verschiedenster Nationalitäten“, erklärt Mangott. Hinter dem Attentat dürfte laut Terrorexperten der IS Provinz Khorasan (ISPK) stecken, der aus dem IS hervorging. Die Terror-Gruppe hatte zu Weihnachten vergangenes Jahr einen Anschlag auf den Wiener Stephansdom geplant.

„Vergeltung“ für Einsatz in Syrien?
Der IS-Propagandakanal Amak sprach von einem „schweren Schlag“ gegen Russland, der „Tausenden Christen in einer Musikhalle“ gegolten habe. Der IS bekämpft Anhänger des Christentums und betrachtet sie als Ungläubige. Seit einigen Jahren ist den Islamisten aber auch Moskaus Außenpolitik ein Dorn im Auge. „Der Terrorakt könnte die ‘Vergeltung‘ für die engen Beziehungen zwischen Russland und den afghanischen Taliban sein, dem Hauptgegner des IS Khorasan. Möglicherweise aber auch ‘Vergeltung‘ für den Einsatz russischer Soldaten in Syrien, die dort seit 2015 auf der Seite des Präsidenten al-Assad gegen die Islamisten gekämpft haben“, so der Russland-Experte.

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Das Gefühl der Unsicherheit in der russischen Bevölkerung wird zunehmen.

(Bild: Christof Birbaumer )

Politikwissenschaftler Gerhard Mangott

Zuerst in die Menge geschossen, dann Brand gelegt
Am Freitagabend hatten Täter in Tarnkleidung mit automatischen Waffen das Feuer auf Besucher der Crocus City Hall am Rande von Moskau eröffnet, wie das für Schwerverbrechen zuständige Ermittlungskomitee mitteilte. Einige Opfer seien durch Schüsse umgekommen, andere durch einen Großbrand in dem Gebäudekomplex. Medienberichten zufolge legten die Angreifer das Feuer mit Benzinkanistern, die sie in Rucksäcken transportiert hätten. Neben den Toten forderte der schlimmste Terroranschlag in Russland seit 20 Jahren auch mehr als 120 Verletzte. In Moskau bildeten sich am Samstagmorgen lange Schlangen von Menschen, die Blut spenden wollten.

„Zum Schrecken des Krieges gegen die Ukraine kommt nun der islamistische Anschlag dazu, von dem Russland viele Jahre verschont geblieben war. Das Gefühl der Unsicherheit in der russischen Bevölkerung wird zunehmen“, ist Gerhard Mangott überzeugt.


In Russland ist es in der Vergangenheit immer wieder zu schweren Terroranschlägen gekommen. Im September 2004 endete ein Geiseldrama in einer Schule in Beslan (Nordossetien) mit 360 Toten. Tschetschenische Rebellen hatten außerdem im Oktober 2002 in einem Moskauer Musicaltheater mehr als 800 Geiseln genommen. Bei der Befreiungsaktion starben 129 Geiseln und rund 40 Terroristen. Im Herbst 1999 wurden bei mehreren Bombenanschlägen auf Moskauer Wohnhäuser mehr als 300 Menschen getötet. Die Explosionen wurden tschetschenischen Terroristen zur Last gelegt, aber nie aufgeklärt. Vermutlich steckte der FSB dahinter, um dem damaligen Premier Putin einen Vorwand für den Krieg gegen Tschetschenien zu liefern.

Kreml: „Täter wollten sich in der Ukraine verstecken“
Der Kremlchef sprach am Samstagnachmittag von einer angeblichen Verwicklung der Ukraine in den Terroranschlag. Mit Blick auf vier der festgenommenen Männer sagte er: „Sie haben versucht, sich zu verstecken und haben sich in Richtung Ukraine bewegt“. Dort seien einige Personen auf ukrainischer Seite bereit gewesen, sie über die Grenze zu lassen. Die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, schrieb auf Telegram: „Wir wissen jetzt, in welchem Land diese verdammten Bastarde sich vor ihrer Verfolgung verstecken wollten: in der Ukraine.“

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Natürlich kann diese Version keiner Kritik standhalten. Das versteht jeder auf der Welt, außer vielleicht der zombifizierten russischen Bevölkerung.

Andrij Jussow, Vertreter des ukrainischen Militärgeheimdienstes

Der ukrainische Militärgeheimdienst HUR wies die Behauptungen deutlich zurück. Putins Anschuldigung sei eine „absolut falsche und absurde Aussage“, sagte HUR-Vertreter Andrij Jussow. „Seit mehr als zwei Jahren dauert die Vollinvasion an, die Grenzgebiete sind voller feindlicher Truppen, Spezialagenten, Vertretern von Geheimdiensten und Sicherheitskräften. Die Grenzlinie ist vermint, sie wird mit allen Mitteln überwacht – darunter Luftaufklärung von beiden Seiten.“ Der Ukrainer fügte hinzu: „Natürlich kann diese Version keiner Kritik standhalten. Das versteht jeder auf der Welt, außer vielleicht der zombifizierten russischen Bevölkerung.“ Jussow beschuldigte den Kreml zudem, die Tragödie in Moskau nutzen zu wollen, um Repressionen im eigenen Land weiter zu verschärfen.

Ungeachtet der Beteuerungen aus Kiew, in den Anschlag nicht verwickelt zu sein, forderte der einflussreiche russische Parlamentarier Andrej Kartapolow eine deutliche und konkrete Reaktion auf dem Schlachtfeld, sollte sich das Gegenteil herausstellen.

„Reiner Zynismus“
Für den Russland-Experten Gerhard Mangott „überrascht es nicht, dass einzelne Politiker in Russland versuchen, den Verdacht auf die Ukraine zu lenken. Das würde wenigstens die Erzählung stärken, dass die Ukraine eine Bedrohung auch für die russische Zivilbevölkerung sei. Damit könnten die Bürger emotional mobilisiert werden, für den russischen Krieg gegen dieses Land. Das aber wäre reiner Zynismus.“

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