Vom walisischen Industriestädtchen Port Talbot aus erobert Hannah Grae gerade die Pop-Punk-Welt. Ihr Erfolgsrezept? Songs mit Themen aus dem eigenen Leben authentisch, ehrlich und ohne schrankenlos Gleichgesinnten zugänglich zu machen. Ihr Mini-Album „Nothing Lasts Forever“ ist der nächste große Schritt auf einer nach oben hin offenen Karriereleiter.
Wie stark bereits vorhandene Popkultur in Herzen und Seelen junger Menschen einzieht, das sieht man immer wieder bei der jeweils nächsten Generation, die sich in Film, Fernsehen, Musik oder Schriftstellerei austobt. Nicht anders ist es bei der noch nicht einmal 22-jährigen Hannah Grae. In der walisischen 31.000-Einwohner-Provinzstadt Port Talbot beherrschen die Stahlindustrie und eine Arbeitslosenquote von mehr als neun Prozent den Alltag. Wer Romantik und heile Welt sucht, der muss flüchten. Hannah wächst zumindest in einem künstlerischen Haushalt auf. Ihre Eltern unterrichten angehende Schauspieler und in ihrer Kindheit ist Hannah Montana das Maß aller Dinge. Die von Miley Cyrus einst so genial dargestellte Disney-Doppelrolle eines Mädchens, das tagsüber Schülerin und nachts Popstar ist, sollte schlussendlich auch Hannah treffen. In den 2000er-Jahren ist das freilich noch ein Wunschtraum.
Musikerin dank „Friends“
Von Hannah Montana führt der Weg unweigerlich zu den internationalen Pop-Königen. Taylor Swift überzeugt Grae mit ihrer zur Selbstverständlichkeit manövrierten feministischen Attitüde, die ohne Kampf und alle umarmend zum Erfolg führt. Der Kanadier Justin Bieber hat die unwiderstehlichsten und eingängigsten Pop-Hits und zeigt ein ganz anderes Frauenbild, als es Popstars vor ihm getan haben. Mit zehn sitzt Grae wieder einmal vor dem Fernseher und sieht, dass die von Lisa Kudlow verkörperte Phoebe Buffay in „Friends“ aus dem Nichts einen Song schreibt. Frei nach dem Gedanken „das kann ich auch“, kreiert das Kind im fernen kleinen Wales den „Chicken Song“ und nützt die wenigen erhaltenen Klavierstunden, um dazu gleichzeitig ihre Stimme zu formen. Die Gartenhütte, die anfangs als Büro ihres Vaters dient, wird früh zum Amateurstudio umgebaut und Grae beginnt mithilfe ihres Bruders im Teenageralter zunehmend Pop- und Rocksongs zu covern und aufzunehmen.
Inspiriert vom eher seichten 2009er-Film „Jennifer’s Body“ kreiert die Waliserin den Song „Hell Is A Teenage Girl“ und trifft mitten ins Herz Abertausender Gleichgesinnter. Gleichgesinnt im Sinne von jungen Mädchen, die in der Schulzeit wenig beachtet, verbal beschimpft und/oder physisch gemobbt wurden. „Ich hatte in der Schule nicht unbedingt meine beste Zeit“, erzählt uns die aufstrebende Musikerin im „Krone“-Interview, „zudem gab es kaum Musik, auf die ich mich stützen konnte. Ich fühlte mich von der Popkultur alleingelassen und habe früh beschlossen, mit meiner Musik andere in ähnlichen Situationen zu unterstützen. Ich wollte vor allem die Art von Musik machen, die ich selbst gerne im Radio hören würde, also bin ich strenggenommen meine eigene Lieblingskünstlerin“, fügt sie mit einem verschmitzten Lächeln hinzu. Ihre Österreich-Premiere fand letzten Sommer vor mauer Kulisse im wenig charismatischen VAZ-Betonbunker St. Pöltens statt. E-Gitarre, Liveband, Punkrock mit Pop und Teenage Angst. Nichts Neues, aber erfrischend exerziert.
Männerklischees aneignen
„Ich sehe meine Musik als eine Mischung aus Taylor Swift, Paramore und richtigen Instrumenten. Bei mir gibt es Gitarrenklänge, die meist maskulin konnotiert sind. Ich finde es wunderbar, wenn sich Frauen solche Instrumente oder Klischees aneignen und für sich identifizierbar machen.“ Hannah Grae ist weit weg vom biederen Kampffeminismus. Sie ist eine junge Frau, die weiß, was sie will, wohin sie will und dass sie noch viel zu lernen hat. Mit ihrem Songwriting-Partner Rob Brinkmann schreibt sie seit etwa drei Jahren zusammen. In dieser Zeit bekam ihre Karriere einen Turboboost, der dazu führte, dass sie letzten Sommer auf großen Festivals wie dem Frequency, dem Pukkelpop oder dem Sziget spielte und neben der ersten EP „Hell Is A Teenage Girl“ gleich am Mini-Album „Nothing Lasts Forever“ schraubte, das dieser Tage das Licht der Welt erblickte.
Das Grundkonzept des bislang ambitioniertesten Werkes der jungen Künstlerin beschreibt die Ambivalenz der beiden letzten Jahren. Grae zog von zu Hause aus und nach England um. Während ihre Karriere stetig vorangeht, fühlt sich die junge Künstlerin zeitweise einsam und verloren. Sie hängt sich so tief in ihr musikalisches Projekt, dass sie daneben vergisst zu leben. All das spiegelt sich in Songs wie „Better Now You’re Gone“, dem TikTok-Hit „It Could’ve Been You“ oder „Who Dunnit?“ wider, die zwischen herzzerreißenden Balladen, an Sum 41 gemahnenden Punkrock und Selbstermächtigungspop der amerikanischen Schule erinnern. Hannah Grae befindet sich irgendwo zwischen Olivia Rodrigo, No Doubt und Alanis Morissette und referiert über Beziehungssorgen, Alltagsüberforderung, falsche Einschätzungen und die Härte des Lebens, wenn der Welpenschutz ein paar Hundert Kilometer entfernt liegt.
Kein Zurück in den Kokon
„Ich hatte lange Angst davor, autobiografisch zu schreiben“, erklärt sie uns, „der Song ,Well I Hope Ur Happy‘ von meiner ersten EP war der erste, der in diese Richtung ging. Es hat sich plötzlich ganz natürlich angefühlt und ich habe es durchgezogen. Jetzt geht es gar nicht mehr anders, denn wenn du dich mal so weit aus dem Fenster lehnst, dann gibt es kein Zurück mehr in den Sicherheitskokon.“ Das Songwriting hat sie für sich mittlerweile deutlich verbessert. „Man muss seine Gefühle und Emotionen stark herunterbrechen, weil sie in einen kurzen Song gepresst werden. Ich komme daher schon in der Entstehung auf den Punkt und konzentriere mich auf das Wesentliche. Das ist schwerer als es klingt.“ Mit „Nothing Lasts Forever“ kommt Grae dem großen Ziel Debütalbum schon beträchtlich näher. Neben den Inhalten trifft auch der Sound den Zeitgeist zwischen später Generation Z und den jungen Alphas. Der Plan für die Zukunft? „Ich schriebe einfach weiter, der Rest ergibt sich dann schon.“
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