Kein Aprilscherz – zu Monatsbeginn fanden sich am Ostermontag nicht weniger als 9000 Heavy-Metal-Fans ein, um in der Wiener Stadthalle das Genrepaket des Jahres zu feiern. Judas Priest, Saxon und Uriah Heep lieferten eine Show, die vor lauter Spielfreude und Energie gar keine Zeit für übertriebene Nostalgie ließ.
Uriah-Heep-Frontmann Bernie Shaw bringt die Besonderheit dieses Abends schon früh auf den Punkt. „Heute seht ihr 150 Jahre Heavy Metal auf der Bühne“, sagt der sympathische Frontmann der britischen Hard-Rock-Legenden in gebrochenem Deutsch, und geht kurz darauf bei „Free’n’Easy“ gleich wieder in die Vollen. Geht man nach den offiziellen Gründungsjahren wären es 155, geht man nach Erscheinung der jeweiligen Debütalben, dann wären es 149 Jahre, aber das alles ist freilich nur besserwisserisches Geschwafel, das keinesfalls von der Großartigkeit eines Legendenabends ablenken sollen. Ein Tourpaket mit Judas Priest, Saxon und Uriah Heep, also einer magischen Trias der britischen Heavy-Metal-Geschichte, zu planen, die zudem alle neue Alben haben und voll im Saft stehen, ist schon in der Theorie ein kongenialer Schachzug, funktioniert in der Praxis dann aber noch besser.
Spaß und Leichtigkeit
Das liegt zu einem großen Teil an den handelnden Herren, die sich in punkto Spielfreude gegenseitig überbieten und sich mit ihren Karrieren auch nicht mehr im ungesunden Wettbewerb zueinander beweisen müssen. Wie schon Priest-Frontmann Rob Halford unlängst im „Krone“-Interview sagte: „Es ist wie ein Klassentreffen mit alten Freunden. Wir alle genießen die Zeit.“ Als Anheizer dürfen Uriah Heep nur handgestoppte 40 Minuten auf der Bühne wirbeln. Ein hartes Los für 55 Jahre Bandgeschichte und 26 Studioalben, doch rund um den dauergrinsenden Gitarristen Mick Box (mit knapp 77 auch der älteste Herr im gesamten Tourtross) entfacht das Quintett eine launige Show, die zwischen neuen Tracks („Hurricane“, „Save Me Tonight“) und absoluten Klassikern („Easy Livin‘“, Lady In Black“) schwankt und dabei puren Spaß verbreitet. Ein Wiedersehen gibt’s im Sommer beim Lovely Days in Eisenstadt. Als Co-Headliner werden die Kultstars dort auch ein bisschen mehr Zeit zum Austoben kriegen.
Ein bisschen ernster gehen die aus den Yorkshire-Arbeiterkreisen stammenden Saxon ans Werk, deren Frontmann Biff Byford immer latent genervt und durchgehend bärbeißig wirkt, in Wirklichkeit aber ein raubeiniger Sonnenschein mit viel britischem Humor ist. Mit ihrem im Jänner erschienenen Album „Hell, Fire And Damnation“ (da wurde der Heavy-Metal-Setzkasten nicht gerade wild geschüttelt) landeten die Briten in Österreich gar auf Platz vier der Albumcharts – bisherige Bestleistung. Auf der Bühne setzt das Fünfergespann auf effektreiche Marshall-Verstärkerwände, die wohl der deutschen Metal-Schmiede Accept gehören, wie beim Abtransport in der Umbauphase zu erkennen ist. Neben dem charismatischen Frontmann beherrscht vor allem Bassist Nibbs Carter die große Pose. Metalgrätsche, Pommesgabel, rhythmisches Headbanging und der mit 57 Jahren respektabel gestählte Körper wechseln sich im Schaulauf ab - das spielt Biff und dem Instrumentalgespann viel Platz für die Musik frei.
Wünsch dir was
Die Klassikerriege ist auch bei Saxon-Songs unfassbar hoch. Wer schon früh im einstündigen Set mit Krachern der Marke „Motorcycle Man“, „Sacrifice“ und „Heavy Metal Thunder“ aufwarten kann, hat in seiner Metal-Karriere nicht viel falsch gemacht. Mit dem vielleicht besten Sound des Abends als Partner feuert man sich durch ein Set, das weniger auf Gequatsche und Witzeleien, aber umso mehr auf Hits und musikalische Durchschlagskraft setzt. „Crusader“, „Denim And Leather“ und „Broken Heroes“ dürften sich die Fans im Ausscheidungsverfahren per Jubellärmpegel wünschen. Schaler Beigeschmack: „Broken Heroes“ war wohl der Wunsch der Band, denn beim ebenfalls angebotenen „Dallas 1PM“ war doch deutlich mehr Lärm zu vernehmen. Freilich eine Kleinigkeit, die mit „Wheels Of Steel“ und „Princess Of The Night“ schnell vergessen gemacht werden. Dazwischen fliegen Jeanskutten von Fans auf die Bühne und Biff verneigt sich demütig vor ihnen. Und ja, heute zeigt sich das heimische Publikum wahrlich von seiner enthusiastischsten Seite.
Judas Priest können hierzulande sowieso nichts falsch machen. Im Vergleich zur letzten Stadthallen-Show vor knapp sechs Jahren kommt ein ganzes Drittel Publikum mehr, dazwischen gab es im Hochsommer 2022 einen memorablen Auftritt auf der Burg Clam, den die Musiker selbst nicht vergessen haben. Mit dem erst vor drei Wochen veröffentlichten Album „Invincible Shield“ dreht man derzeit eine europaweite Jubeltournee, die sich gut ausgewogen aus starken neuen Songs und unsterblichen Klassikern mischt. Vor dem Titeltrack, etwa gegen Mitte der Show, setzt Frontmann Rob Halford zur großen Dankesrede an. Er erinnert sich an das exakt 50 Jahre alte Debütalbum „Rocka Rolla“, schlägt den Bogen in die Gegenwart und weiß, dass die Band und die Fans diese verschworene Einheit, das unbesiegbare Schild gegen alle Widerstände der realen Welt sind. Wie keine zweite Band stehen Judas Priest für den Stahl im Heavy Metal. Metallica bogen gerne Richtung Experimente ab, Slayer entzündeten lieber das Höllenfeuer und Iron Maiden lieben Melodien. Judas Priest sind auf Angriff gebürstet.
Kampf gegen den Soundmatsch
Songs wie „Panic Attack“, „Rapid Fire“ oder das poppige „You’ve Got Another Thing Comin‘“ zünden schon früh durch die Show. Der Mega-Hit „Breaking The Law“ sorgt für erste große Begeisterungsstürme. Mit den Songs und der Stimmung auf und vor der Bühne kann der Sound aber lange nicht mithalten. Manchmal fällt eine Gitarre aus, das Schlagzeug wummert gewaltig drüber und die Bassspuren vom letzten verbliebenen Gründungsmitglied Ian Hill zermatschen im Gesamtklang. Erst gegen Set-Mitte stellt sich Besserung ein – ein altbekanntes Stadthallenproblem. Rob Halford überzeugt als Zeremonienmeister mit grauem Rauschebart, wahlweise silbrig oder golden glitzernden Umhängen und einer hohen Kreisch-Stimme der Sonderklasse. Wie der gute Mann mit mehr als 70 Jahren bei Songs wie „Sinner“ oder „Saints In Hell“ hochdreht, ist bemerkenswert. Vier üppige Videowalls spielen jeweils thematisch passend den Union Jack, ein Höllenfeuer oder „Nosferatu“-Filmszenen ein. Der riesige, bühnenmittig am Dach montierte Band-Dreizack leuchtet wie das heilige Kreuz der Katholiken.
Und fürwahr – die Metal-Jünger haben an diesem Ostermontag, ganz ohne Aprilscherz, ihren Heiland in Halford gefunden. Die famose Stimmung bemerkt auch Drummer Scott Travis, der das Wiener Publikum dezidiert lobt und am Ende des regulären Sets das Intro zu „Painkiller“, dem vielleicht besten Heavy-Metal-Song aller Zeiten, anknüppelt, bevor der Rest der Rasselbande einsteigt und die Stadthalle zum Bersten bringt. Gitarrist Richie Faulkner ist nach 13 Jahren famos in die Rolle des Chefgitarristen hineingeschlüpft, aber die legendären Twin-Gitarren-Soli der Ex-Mitglieder Glen Tipton und KK Downing vermisst man sträflich. Nach etwas mehr als eineinhalb Stunden haben sich Priest ausgepowert. Davor gab es noch ein opulentes „Electric Eye“, das traditionell von Halford auf einem einfahrenden Motorrad eingeleitete „Hell Bent For Leather“ und den Klassiker „Living After Midnight“ zum Hinauswerfen. Schmankerl für die Die-Hard-Fans: das selten gespielte „Love Bites“ als geheimes Highlight. Der Heavy Metal mag in die Jahre gekommen sein, er zeigt aber absolut keine Ermüdungserscheinungen.
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