Einstimmiges Urteil
Höchststrafe für Massenmörder Anders Breivik
Der norwegische Rechtsextremist hatte gestanden, am 22. Juli 2011 mit einem Bombenanschlag in Oslo und einem anschließenden Massaker auf der Insel Utöya im Jugendlager der regierenden Arbeiterpartei insgesamt 77 Menschen getötet zu haben. Zuletzt sei Breivik "ruhig" gewesen und habe weiterhin "keine Anzeichen von Reue" gezeigt, sagte sein Anwalt Geir Lippestadt.
"Präventive Angriffe in Notwehr"
In seinem Schlusswort hatte Breivik noch auf Freispruch wegen "Notwehr" plädiert, da er mit seinen "präventiven Angriffen" das norwegische Volk, dessen Kultur und Land vor einer Islamisierung habe bewahren wollen. Breiviks extreme Einstellung zu Einwanderern werde von vielen Menschen geteilt, stellte Richterin Wenche Elizabeth Arntzen fest.
Kurz vor Beginn der Urteilsverkündung hob Breivik in dem bis zum letzten Platz gefüllten Gerichtssaal wie schon zum Prozessauftakt die geballte Faust zum rechten Gruß. Während die 90 Seiten lange Urteilsbegründung verlesen wurde, machte er sich immer wieder Notizen und flüsterte mit seinen Verteidigern. Schließlich hörte er den Urteilsspruch der fünf Richter - zwei Berufsrichter und drei Schöffen - mit einem zufriedenen, fast erleichterten Lächeln. Für ihn wäre eine Einstufung als unzurechnungsfähig "schlimmer als der Tod" gewesen, wie er im Vorfeld erklärt hatte.
Wie Breivik selbst, hatten sich auch die Angehörigen vieler seiner Opfer erhofft, dass der 33-Jährige für schuldfähig erklärt werde. Bei der Verkündung des Urteils am Freitag sei es im Saal sehr still gewesen. Familienmitglieder der Opfer hätten dann gefasst und zufrieden gewirkt, einige weinten und fielen sich in die Arme, hieß es.
Opfer-Anwälte zufrieden, Bevölkerung "erleichtert"
"Dass Breivik für zurechnungsfähig erklärt wurde, ermöglicht den Familien, mit dem Geschehenen abzuschließen", sagte Opfer-Anwalt Frode Elgesem. "Es wird sicher verschiedene Meinungen geben, aber wir haben hier höchstwahrscheinlich ein Urteil, mit dem viele Trauernde und Überlebende leben können." Mette Yvonne Larsen, eine weitere Opfer-Vertreterin, meinte, das Osloer Amtsgericht habe eine "mutige und unabhängige Entscheidung getroffen".
Zufrieden mit dem Urteil dürfte auch der Großteil der Bevölkerung des skandinavischen Landes sein. Das geht jedenfalls aus einer Online-Umfrage der in Norwegen führenden Zeitung "Aftenposten" hervor. Die meisten User klickten in einer Auswahl auf "erleichtert" - negative Reaktionen waren zunächst kaum zu sehen.
"Tempelritter"-Aussagen maßgeblich
Für die Entscheidung über die Zurechnungsfähigkeit seien letztlich Breiviks Äußerungen zum "Tempelritter-Orden" wichtig gewesen, hatte Richterin Arntzen in der Urteilserklärung erläutert. Nachforschungen der Polizei hätten ergeben, dass die Organisation wahrscheinlich nicht existiere. Daraufhin habe Breivik seine Aussagen dazu während des Verhörs angepasst und die Darstellung aus seinem Manifest als "pompös" oder übertrieben bezeichnet.
Vor dem Prozess waren zwei Gutachten zu gegensätzlichen Ergebnissen gekommen. Die Staatsanwaltschaft hatte deshalb auf unzurechnungsfähig plädiert. Es sei schlimmer, einen psychotischen Menschen irrtümlich in Haft zu nehmen als einen nicht-psychotischen in die Zwangspsychiatrie.
Verwahrung kann unbegrenzt fortgesetzt werden
Norwegen gehört zu den weltweit rund 20 Staaten, die eine lebenslange Haftstrafe in ihrem Strafrecht abgeschafft haben. Das norwegische Rechtssystem kennt eine Höchststrafe von 21 Jahren Gefängnis. Ein Verurteilter kann dennoch für immer hinter Gittern bleiben - wenn das Gericht beim Urteilsspruch die sogenannte Verwahrung ("forvaring") verhängt, deren Ende ungewiss ist.
Psychisch kranke Straftäter, die als vermindert schuldfähig oder schuldunfähig eingestuft werden, kommen in eine geschlossene Fachklinik. Ein Staatsanwalt kann auch hier den Aufenthalt alle drei Jahre verlängern.
Breivik und Staatsanwaltschaft nehmen Urteil an
Wenige Stunden nach der Urteilsverkündung wurde bekannt, das Breivik nicht gegen den Richterspruch berufen wird. Auch die Staatsanwaltschaft erklärte noch am Freitag, nicht in Berufung zu gehen. Die Beweisführung sei gründlich gewesen, es gebe keinen Grund, den Fall "weiterzutragen", sagte Staatsanwalt Svein Holden. Holden sagte, damit könne der Richterspruch rechtskräftig werden.
Der zehnwöchige Mammutprozess war rund um den Erdball verfolgt worden. Mehr als 100 Zeugen sagten aus, darunter rund 40 teils schwer verletzte Jugendliche, die das Blutbad auf Utöya überlebt hatten. Viele Norweger hatten an den Prozess hohe Erwartungen insofern geknüpft, dass er das nationale Trauma heilen helfe.
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