Album „We Belong“

Sinkane: Elektro-Funk für das Weltverständnis

Musik
09.04.2024 09:00

Funk, Soul, Disco, Elektronik, R&B und Reggae – wenn man die komplette Palette der „Black Music“ abdecken will, dann muss man eklektisch vorgehen. Das macht der geborene Londoner Sinkane auf seinem achten Album „We Belong“. Ein gesellschaftspolitisches Manifest für Toleranz und Gemeinschaft, das sich aber leicht in der Vielschichtigkeit verliert.

(Bild: kmm)

Großspurig unterwegs ist Ahmed Abdullahi Gallab schon länger. Der 41-Jährige ist der musikalische Direktor und Zampano der Atomic Bomb! Band, die es sich vor zehn Jahren erstmals zur Aufgabe gemacht hat, Musik der nigerianischen Funk-Legende William Onyeabor für jüngere Generationen zugänglich zu machen. Bis auf eine Sechs-Songs-LP zum Record Store Day 2017 gab es bis dato zwar noch kein Lebenszeichen, aber unter Gallabs imaginären Dirigentenstab haben sich Größen wie Damon Albarn (Blur, Gorillaz), David Byrne (Talking Heads), Alexis Taylor (Hot Chip), Dev Hynes aka Blood Orange oder Pharaoh Sanders versammelt. Groß denkt Gallab auch unter seinem Alter-Ego-Namen Sinkane. Dort veröffentlicht er seit 2007 regelmäßig Alben, die sich bewusst nicht zwischen Soul, Elektronik, Funk, Trip-Hop, Fusion, Reggae und Weltmusik entscheiden und für eine neue Farbe in der Szene sorgen. Besonders herausgestochen sind dabei die letzten Werke „Life & Livin‘ It“ (2017) und „Dépaysé“ (2019), auf denen sich Sinkane zunehmend welt- und sozialpolitischen Themen widmete.

Identifikation durch Differenzen
„In diesen Zeiten haben wir es leider viel mit Hass zu tun“, erzählt er der „Krone“ im Interview, „wir alle sehen anders aus, haben andere Hautfarben und sprechen unterschiedliche Sprachen. Diese Unterschiede sollten uns aber gegenseitig helfen, die Welt als Ganzes besser zu verstehen. Ob ich jetzt in Wien, New York City, Frankreich oder dem Sudan lebe, sollte niemals einen Unterschied machen. Wir alle sind ein bunter und aufregender Haufen von Individuen, der sich gerade durch all die Differenzen gemeinschaftlich identifizieren kann.“ An seinem mittlerweile achten Album „We Belong“ hat Sinkane fast fünf Jahre lang geschraubt. Mit der Vorab-Single „Everything Is Everything“ gab er letzten Herbst das erste Lebenszeichen seit 2019 und gab die erste leichte Richtungsänderung vor. Mehr denn je springt der in London als Kind von sudanesischen Einwohnern geborene Musiker zwischen den Genres und versucht die Geschichte schwarzer Musik möglichst kongruent zu vereinen.

Sinkane selbst nennt das Werk „einen Liebesbrief an die schwarze Musik“ und macht gar keinen Hehl daraus, dass die erprobte Devise „weniger ist mehr“ für viele gelten mag, aber sicher nicht für ihn. So lässt sich die angesprochene Single „Everything Is Everything“ im Gospel verorten, weist „Rise Above“ bekannte Afro-Beats auf, begibt sich der Titeltrack in den 70er-Funk mit Sly Stone-Einflüssen und erinnert „Another Day“ an die Glanzzeiten von Stevie Wonder. „Ich habe einen sehr offenen Geist. Viele Menschen können sich mit meiner Musik identifizieren, weil sie ähnlich fühlen wie ich. Meine Musik wandert durch Welten und die Engstirnigkeit der Menschen liegt oft daran, dass sie immer auf einem Fleck verweilen. Ich hoffe inständig, dass immer mehr Leute erkennen, dass es gut und gesund ist, die Wurzeln zu kappen und sich aufzumachen, die Welt kennenzulernen. Auch wenn diese Reise nur im Kopf stattfindet.“

Teamwork makes the dream work
Nachdem sich der Vorgänger „Dépaysé“ (zu Deutsch: „fremd“ oder „verloren“) mit den düsteren Gefühlen eines latent Heimatlosen beschäftigte, hat Sinkane nicht zuletzt die globale Unsicherheit der Pandemie dazu geführt, mit „We Belong“ auf Gemeinschaft zu setzen. Gemeinschaft auch hinsichtlich des eingesetzten Personals. Sinkane und Amanda Khiri, die bei den meisten Liedern als Co-Textautorin fungiert, haben Noten über die digitale Kluft hinweg weitergegeben. Audre Lorde, Toni Morrison, Ismael Reed, Fetzen von Gedichten. Die beiden verwandelten diese nächtlichen Ideen in vollständig realisierte Kompositionen. Casey Benjamin, ein Multiinstrumentalist, der bereits mit dem Jazzpianisten Robert Glasper zusammengearbeitet hat, hat mehreren Stücken seinen Stempel aufgedrückt. Der Jazztrompeter Kenyatta Beasley ist bei drei Liedern zu hören. Der Soulsänger Bilal lieh seine Stimme. Aufstrebende Künstler wie die Sänger Ifedayo Gatling von den Harlem Gospel Travelers, Tru Osbourne, Hollie Cook und STOUT gehören ebenfalls zu dieser Gemeinschaft.

„Mithilfe von Musik fühle ich mich anderen Menschen verbunden. Wenn mir meine Bandkollegen nach einem schönen Konzert zulächeln oder Fans sich für einen Auftritt bedanken, ist das das schönste Gefühl der Welt. Ich wohne aktuell in New York, kann mich aber sehr schnell anpassen. Manchmal reicht es schon, wenn man irgendwo auf der Welt, wo man vielleicht nie zuvor war, fünf Stunden verbringt. Es kann sich trotzdem so anfühlen, als wäre man schon immer dagewesen.“ Schon vor Jahren hat Sinkane es zugelassen, dass sich die politische und gesellschaftliche Seite bei ihm Bahn bricht. Der Dunkelheit will er nicht mehr allzu viel Platz einräumen. „Die Welt ist ein so harter Platz geworden. Es fühlt sich so an, als würde einen jemand dauernd ohrfeigen. Ich will die Zeit mit meiner Familie und Freunden aber auch genießen können, brauche Eskapismus. Die Erkenntnis, dass ich das auch in Songs verpacken kann, hat mein Leben wesentlich besser gemacht.“

Partiell leicht verzettelt
Sinkanes ewige Lieblingsmusiker wie Bob Marley, Sly Stone, Miles Davis und vor allem Marvin Gaye finden auf „We Belong“ mehr Platz als je zuvor. In seinem „Black-Music-Eklektizismus“ mäandert der Künstler behände und geschickt, will manchmal aber zu viel des Guten und verzettelt sich dabei partiell in ramschigen Keyboard-Elektronikklängen oder verlangt den Songs so viele Substile ab, dass man zeitweise die Orientierung verliert. Der intrinsische Wunsch des Künstlers, die politische Strahlkraft von Musik aus den 60er-Jahren in die Jetztzeit zu transferieren und sich zu eigen zu machen, ist stellenweise etwas zu verwegen ausgefallen. „We Belong“ kommt aber auch tief aus dem Herzen eines Menschen, für den bloßes Weiterwursteln in einer brüchigen Gesellschaft zu wenig ist. Das macht dieses Werk trotz der anstrengenden Momente besonders wertvoll und herzhaft. Hoffen wir auf eine Europa-Tour im Herbst.

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