Diagonale-Filmkritik

Eine Pflegerin und die Lücke, die sie zurücklässt

Steiermark
06.04.2024 16:00

Weltpremiere für „Mâine Mă Duc – Tomorrow I Leave“ beim Filmfestival Diagonale in Graz: Junges Filmemacher-Duo begleitet eine rumänische Pflegerin in ihr Heimatdorf. Eine intime Analyse der Lücke, die Frauen wie Maria dort hinterlassen.

Neun Stunden, 29 Minuten zeigt das Navi an. Die Sonne geht unter, als Maria sich in den Grenzstau einreiht. Als sie die Grenze passiert, geht sie wieder auf. Zwei Tage im Monat verbringt die Rumänin im Auto zwischen ihrer Heimat und Österreich. Dort pflegt sie eine Seniorin – wie so viele ihrer Landsfrauen. 

„Mâine Mă Duc – Tomorrow I Leave“ heißt die intime Dokumentation der gebürtigen Judenburgerin Maria Lisa Pichler und des Wieners Lukas Schöffel, die die Pflegerin begleitet. Im Fokus steht dabei nicht ihre Arbeit, sondern die Gemeinschaft, die sie zurücklässt. Denn in Rumänien sind viele weg: Väter, Söhne, Mütter, Töchter. Sie fahren Lastwägen durch Europa, ernten Spargel und pflegen Alte. Zurück bleiben Kinder und Großeltern. 

Still aus „24 Stunden“ von Harald Friedl (Bild: ©Mischief Films)
Still aus „24 Stunden“ von Harald Friedl

Maria ist nicht bitter. Sie geht nicht gerne, und doch ist die Anfang 40-Jährige stolz, ihre Familie ernähren zu können. Pflege bedeutet auch Hoffnung. Pichler und Schöffel zeigen das Spannungsfeld zwischen dem Geld, von dem die ganze Familie lebt, und den unterschwelligen Vorwürfen, die die Großeltern und Teenager der Frau machen: „Mâine Mă Duc“, sagt sie immer wieder. „Morgen fahre ich.“ 

Einfühlsames Porträt einer Gemeinschaft
Was ist die Alternative? 150 Euro im Supermarkt zu verdienen? Was wollt ihr werden, fragen sich Jugendliche einmal gegenseitig. Sie sitzen im Gras und denken an ihre Zukunft als Zahnärzte, Psychologen, Veterinäre. „Wo wollt ihr arbeiten?“ – „In Rumänien.“ – „Was würde euch dazu bringen, wegzugehen?“ – „Geld.“

„Mâine Mă Duc“ ist ein faszinierendes, einfühlsames Porträt einer Community. Die Dokumentation sucht keine Schuldigen und richtet doch den Blick auf ein System, in dem es (zu) viele Missstände gibt. Noch am Sonntag um 15 Uhr im KIZ Royal 2 zu sehen.

Die Diagonale widmet sich heuer auch mit anderen Filmen dem großen Thema „Care-Arbeit“, etwa Harald Friedls „24 Stunden“, das von der Eintönigkeit der Pflegearbeit einer Rumänin in Bad Vöslau erzählt, oder „Die guten Jahre“ von Reiner Riedler, in dem ein 53-Jähriger zurück in sein Kinderzimmer zieht, um seine demenzkranke Mutter zu umsorgen. Am Sonntag um 17 Uhr findet im Kultum „24 Stunden und mehr? Diagonale-Diskussion zu ,Pflege‘ im Dokumentarfilm“ statt.

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