Er ist die deutsche Stimme der israelischen Armee: Arye Sharuz Shalicar, Pressesprecher der Streitkräfte Israels, ist als Sohn persischer Juden in Berlin aufgewachsen. Das bewegte Leben des erst 46-Jährigen war bereits Anlass für einen Film, die „Krone“ sprach mit ihm in Wien über den Krieg im Nahen Osten.
Kronen Zeitung: Herr Shalicar, wir wollten uns mit Ihnen über Ihr Leben und Ihre erstaunliche Biografie unterhalten, doch dann kam Bewegung in den Krieg im Gaza-Streifen. Im Süden hat sich die israelische Armee am Wochenende überraschend zurückgezogen, stattdessen werden jetzt im Norden an der Grenze zum Libanon Manöver abgehalten. Selbst das Weiße Haus kann sich keinen Reim darauf machen. Können Sie uns erklären, was da gerade passiert?
Arye Sharuz Shalicar: Es ist gut, dass viele irritiert sind. Denn das heißt, dass der Feind irritiert ist. Am Anfang haben wir zuviel öffentlich erklärt und Hamas und dem Islamischen Dschihad zuviel Informationen geliefert. Wir haben 17 Millionen SMS an Zivilisten im Gaza-Streifen versandt und Flyer abgeworfen, damit haben wir natürlich auch den Feind gewarnt. Diese Vorgehensweise ist jetzt nach sechs Monaten überholt, wir setzen wieder stärker auf Überraschungseffekte, um Ergebnisse zu erzielen.
Ist das ein Zeichen von wachsender Ungeduld in Israel? Die Operation ist jetzt schon einer der längsten kriegerischen Konflikte, in denen sich das Land jemals befand.
Es lastet Druck auf Israel, zum einen durch die 133 Geiseln, die immer noch von der Hamas gefangengehalten werden. Aber auch durch unsere internationalen Verbündeten. Diesen Druck vermisse ich übrigens auf der Gegenseite. Unser Gefühl ist, dass die Hamas von niemandem wirklich unter Druck gesetzt wird.
In Wien gab es am Wochenende einen Solidaritätsmarsch für die Geiseln, in Israel steigt indes der Frust darüber, dass diese noch nicht befreit wurden. Zuletzt entlud sich die Wut bei einem Trauermarsch für einen getöteten Israeli. Was kann Israel tun, um diesen Druck wieder auf die Hamas abzuladen?
Militärisch haben wir alles daran gesetzt, die Geiseln eigenhändig zu befreien. Wir haben leider nur zwei Mal Erfolg gehabt. Und das in sechs Monaten. Hätten Sie mich im Oktober gefragt, hätte ich gesagt: Wir werden mehr schaffen. Das zeigt, wie stark sich die Hamas in den vergangenen 20 Jahren im Gaza-Streifen eingegraben haben. Die USA haben in Mossul auch ein Jahr gebraucht, und das war nur eine einzige Stadt. In Gaza gibt es 20 solche Ballungszentren, in denen auch noch die zivile Verwaltung Hamas-unterwandert ist. Das zu brechen, dauert. Wissen Sie, Israelis sind von Grund auf ungeduldig. Die Leute sagen „bring them home NOW“, jetzt. Ich will auch jetzt, ich hätte gerne gestern. Aber dafür gibt es keine schnelle Lösung, und die langsame kostet einen hohen Preis. Aber den könnten wir uns alle ersparen, wenn die Hamas-Terrorregierung die Geiseln freilassen würden.
Wie würden die internationalen Verbündeten in so einem Fall reagieren?
Wenn die Geiseln freikämen, würde der Druck aus dem Ausland auf Israel enorm steigen, die Kampfhandlungen einzustellen. Und auch in Israel selbst würden viele sagen: genug, wir haben die Geiseln zurück. Aber sie lassen sie nicht frei. Und daher sollte der internationale Druck auf die Hamas ausgeübt werden, auf die Ursache. Nicht auf die Wirkung.
Sehen Sie nach sechs Monaten Krieg Anzeichen bei der Hamas, dass sich etwas bewegt?
Wir sehen derzeit nur den Weg, über militärischen Druck die Hamas dazu zu bewegen, Geiseln freizugeben. Wenn jemand eine andere Idee hat – wunderbar. Es gibt von Verbündeten immer wieder die Aussage, sie wollen jetzt einen Waffenstillstand, gekoppelt mit der Freilassung von Geisel. Wir sagen: Es muss andersherum sein. Wir erwarten die Freilassung der Geiseln, gekoppelt mit einem Waffenstillstand. Dieses Umdrehen ist der falsche Ansatz, ich verstehe auch die Logik dahinter nicht.
Hamas ist nicht nur der Feind, Hamas ist in Gaza auch die komplette Verwaltung, von Polizei über Schulen bis hin zu Krankenhäusern. Schwächt man die Hamas, entsteht auch im zivilen Leben, in der Administration ein Vakuum. Wer füllt es?
Israel will dort nicht verwalten. Wir haben uns 2005 komplett zurückgezogen. In Israel hast du 20 Prozent arabische Minderheit, im Gaza-Streifen keinen einzigen Juden. Wir haben ihn „judenfrei“ übergeben, mit viel Hoffnung, dass sich der Gaza-Streifen gut entwickelt. Dann kam die Hamas und hat alles auf den Kopf gestellt. Totalitär, antisemitisch, ohne Chance auf ein Seite-an-Seite.
Aber was passiert am ersten Tag nach diesem Krieg?
Wer dort das Sagen haben wird, ist ein großes Fragezeichen. Jedenfalls nicht mehr die Hamas. Die Hoffnung wäre, dass dort pragmatische, arabische Länder – ähnlich wie die Alliierten in Deutschland und Österreich nach 1945 -, mit Geld und Personal die Verwaltung unterstützen und für die Sicherheit sorgen.
Welche Länder kämen da in Frage?
Golfstaaten, Ägypter. Ich bin Militärsprecher, das ist nichts, was das Militär entscheidet. Aber ich hielte das für einen richtigen Ansatz.
Reden wir über den Luftschlag auf hohe iranische Militärs in Damaskus. Israel hat sich nicht dazu bekannt.
Ich weiß.
Es ist klar, dass der Kopf der Schlange all dieser Terrormilizen, wie Huthis, Hisbollah, der Islamische Dschihad und andere in der Region, im Iran sitzt. Es ist wie ein Spinnennetz, ausgehend von Teheran. Wir müssen bei unserem Verteidigungskampf nicht nur den Laufburschen etwas entgegensetzen, sondern auch denjenigen, die sie schicken.
In Europa flammt indes der Antisemitismus wieder auf, hauptsächlich in muslimischen Communitys. Sie sprechen aber auch häufig von „deutschem“ Antisemitismus. Wie sieht der aus?
Niemand sieht sich als Antisemit. Die Menschen mit muslimischem Background sagen: „Wir haben nur ein Problem mit Israel, nicht mit Juden. Die wahren Antisemiten sind die Deutschen oder Österreicher, die ihre Vergangenheit nicht aufgearbeitet haben.“ Die andere Seite spielt den Ball zurück, sagt, die Migranten sind die wahren Antisemiten. Der heutige Antisemitismus ist weniger die „Judensau“ aus dem Mittelalter. Sondern es geht immer nur um den jüdischen Staat. Man geht auch an diesen Konflikt Israels nicht ran, weil man sich wirklich um die Palästinenser schert, sondern weil man die Juden in die Pfanne hauen will.
Wie hat sich Ihr Leben in den vergangenen sechs Monaten geändert?
Ich bin am 7. Oktober zu Mittag angerufen worden und bin seitdem in Uniform. Die ersten 100 Tage habe ich nonstop gearbeitet, praktisch ohne Schlaf. Ich habe selber zwei kleine Kinder, und als ich gehört habe, dass da kleine Mädchen verschleppt wurden, dachte ich sofort: Das hätten meine Kinder gewesen sein können. Und ich würde von der ganzen Welt erwarten, dass sie mir in so einer Situation zur Seite steht. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass die ganze Welt die Geiseln schon abgeschrieben hat.
Wie geht es Ihnen persönlich dabei?
Ich weiß nicht, wie es mir geht. Geht's mir gut, geht's mir schlecht. Ich weiß es nicht. Ich lache immer wieder mal und habe seit ein, zwei Monaten einen halbwegs normalen Alltag. Aber viele Dinge haben mich enttäuscht. Wir werden aus alle Richtungen angegriffen, diese Angriffe können auch noch stärker werden. Viele Freunde und Verbündete halten dir nicht zu hundert Prozent den Rücken frei. Wir kämpfen nicht am Hindukusch, wir kämpfen direkt vor unserer Haustür. Wir haben Soldaten, die sind einen Kilometer von ihrem Familienhaus entfernt eingesetzt.
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