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Anekdotische Evidenz: „Hörensagen“ als Argument

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21.04.2024 10:10

Unter der anekdotischen Evidenz – oder auch dem anekdotischen Fehlschluss, was das Ganze besser beschreibt – versteht man im Grunde eine Einzelerzählung, die als Argument hergenommen wird, von dem auf die Allgemeingültigkeit der Aussage geschlossen wird. Dabei sollte auf der Hand liegen, dass eine einzelne persönliche Erfahrung oder eine rein subjektive Beobachtung dafür denkbar ungeeignet ist.

Der Trugschluss vom Einzelfall auf den Allgemeinfall
Gerade in Alltagsgesprächen ist uns das wahrscheinlich schon allen das eine oder andere Mal untergekommen: Man verstrickt sich beispielsweise mit der Nachbarin in ein Gespräch über das Thema Rauchen und bekommt folgende Aussage zu hören: „Rauchen kann doch gar nicht so schädlich sein, wie immer behauptet wird. Mein Uropa hat täglich eine Schachtel Zigaretten geraucht und ist trotzdem über neunzig Jahre alt geworden!“ Dem aufmerksamen und logisch denkenden Gegenüber wird bei so einer Aussage auffallen, dass diese Schlussfolgerung ziemlicher Unsinn ist. Ganz ohne der Nachbarin absprechen zu wollen, dass ihr Verwandter trotz seines Zigarettenkonsums ein stolzes Alter erreicht hat, ist es trotzdem nicht haltbar, dass man nun wegen dieser familiären Erfahrung zum Thema Rauchen sämtliche wissenschaftliche Beweise für die Schädlichkeit davon komplett in den Wind schießt. Doch während solche argumentativen Fehlschlüsse bei Stammtischgesprächen oder in Werbespots noch weniger Einfluss haben mögen, sind sie vor allem dann problematisch, wenn sie in der Politik dazu verwendet werden, stichhaltige Argumente der Gegenseite vermeintlich zu widerlegen. 

Wenn wir unser Beispiel nun weiterdenken, könnte es fatale Auswirkungen auf die Gesundheit unserer Gesellschaft haben, würde man auf Einzelerzählungen basierend Entscheidungen treffen, anstatt medizinische Daten und erhobene Statistiken zu dem Thema dafür heranzuziehen. Gerade in Bezug auf Corona und Impfungen wurde auch seitens der Politik von bestimmten Parteien mit anekdotischen Erzählungen gearbeitet, um die Bevölkerung zu verunsichern, wenn etwa Einzelfälle von gefährlichen Erkrankungen oder Todesfällen nach einer Impfung als behaupteter Beweis für deren Gefährlichkeit hergenommen wurden. Wie auch bei der emotionalen Beweisführung oder beim Wahrheitseffekt wird in so einem Fall die tatsächliche Faktenlage in den Hintergrund gerückt und man befindet sich im Bereich der „gefühlten Wahrheit“. Und dort hat die anekdotische Evidenz trotz ihrer schwachen Aussagekraft eine enorme Wirkung. 

(Bild: zwefo)

Fallstricke der anekdotischen Evidenz

  • Selektive Wahrnehmung: Der wohl offensichtlichste Problempunkt in Bezug auf den anekdotischen Fehlschluss ist die Tatsache, dass es sich um etwas rein Subjektives handelt. Betrachtet man in einem Gespräch solch eine Erzählung als genau das und isoliert, ist das kein Problem. Möchte man allerdings von ihm ausgehend auf das große Ganze verweisen, zeigt das eine verzerrte Wahrnehmung auf. 
  • Fehlende wissenschaftliche Gültigkeit: Es mangelt anekdotischen Erzählungen oft an Wissenschaftlichkeit. Häufig widersprechen Positionen, die mit diesem Argument untermauert werden sollen, sogar wissenschaftlichen Daten. So haben sie etwa keine statistische Aussagekraft. Auch deshalb wird die anekdotische Evidenz meist der empirischen Evidenz gegenübergestellt. Bei Letzterem handelt es sich um Beweise aufgrund von systematischen Untersuchungen und objektiven Methoden der Wissenschaft. Diese sind demgemäß aussagekräftiger.
  • Keine Repräsentativität: Einzelne Geschichten und Erfahrungen sind nicht immer repräsentativ für die gesamte Bevölkerung oder allgemeingültig für jede Situation dieser Art.
  • Bestätigungsfehler: Wir neigen dazu, nach Informationen zu suchen, die unsere bereits bestehenden Überzeugungen bestätigen. Scheinbare Beweise, die auf Anekdoten basieren, können diesen Bestätigungsfehler verstärken, da sie uns häufig auch auf einer emotionalen Ebene ansprechen. 
  • Kontextualisierung: Anekdoten lassen oft den nötigen Kontext vermissen, um eine fundierte Schlussfolgerung zu ziehen. Es fehlen dann meist wichtige Informationen über andere Faktoren, welche die Situation beeinflussen könnten.
(Bild: ©Drobot Dean - stock.adobe.com)

Wie man mit anekdotischer Evidenz umgehen sollte
Aus diesem Wissen ergibt sich Folgendes: Anekdotische Evidenz kann überzeugend wirken, sollte jedoch mit Vorsicht interpretiert werden. 

  • Kritisches Denken: Überprüfen Sie wie immer die Quelle der Information und stellen Sie weiterführende Fragen. Befassen Sie sich dabei auch mit der jeweiligen Person, ihrer Glaubwürdigkeit und ihren möglichen Motiven. 
  • Suche nach wissenschaftlichen Beweisen: Anekdotische Evidenz sollte niemals allein für eine wichtige Entscheidungsfindung herangezogen werden. Im Idealfall ergänzt oder untermauert sie wissenschaftliche Daten. Ziehen Sie daher entsprechende wissenschaftliche Quellen und Studien zurate, um die Behauptung auch objektiv zu überprüfen.

  • Miteinbeziehen des Kontextes: In einigen Kontexten können Anekdoten nützlich sein; allerdings auch hier wieder nur als Ergänzung zu faktenbasiertem Wissen. Beachten Sie daher nicht nur die Einzelbehauptung als solche, sondern auch weitere Faktoren, die eine Rolle spielen könnten. 

  • Verstehen der Grenzen: Anekdotische Evidenz kann hilfreich sein, um ein Problem zu verstehen, einen Einblick in eine andere Sichtweise zu bekommen oder eine Hypothese zu generieren. Sie ist aber nicht ausreichend, um kausale Beziehungen zu beweisen und ersetzt auch niemals quantitative Daten zu einem Sachverhalt. 

Für eine fundierte Meinungsbildung braucht es also mehr als einen informellen Bericht über Evidenz, der meist komplexe Themen auf das Einfachste herunterbricht. Es braucht einen ausgewogenen Ansatz unter Berücksichtigung der Faktenlage. Denn eines darf man nicht vergessen: Eine Anekdote ist genau das: eine Erzählung. Nicht weniger - aber auch nicht mehr. 

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