Auftakt in Krems

Donaufestival: Nostalgie-Routine im Schottenrock

Musik
20.04.2024 12:30

Wer sich nicht vor überteuerten Schnitzelsemmeln und spätherbstlichem Wetter fürchtet, ist beim Donaufestival in Krems goldrichtig. Am Eröffnungstag des kultigen Musik- und Performancefestivals enttäuschten The Jesus And Mary Chain und überzeugte Deena Abdelwahed. Heute geht es u.a. mit Jenny Hval und Clipping. weiter.

(Bild: kmm)

Zwei Wochenenden lang wird das pittoreske Krems wieder zur Kulturhauptstadt Österreichs. Das hat man seit geraumer Zeit dem längst schon international renommierten Donaufestival zu verdanken, das Musik, Kunst, Performance und Sozialpolitisches vereint, und mit jährlich wechselnder Hauptthematisierung größere und kleinere Problemfelder der Welt in den Fokus rückt. Das Motto für die 2024er-Version heißt „Community Of Aliens“. Es geht „um die Suche nach planetarischen Allianzen von Lebensformen, die der imperialen Gewalt und den neuen politischen Unversöhnlichkeiten trotzen“, wie es Festivaldirektor und -kurator Thomas Edlinger im Vorfeld zusammenfasste. Man will einen „Möglichkeitsraum des Sozialen“ aufspannen, der aber gleichzeitig Konflikte und den politischen Dissens nicht ignoriere.

Elektronik gegen den Regen
Der Wettergott war am Freitag zur Eröffnung nicht gerade milde gestimmt. Immer wiederkehrende Regenfälle, spätherbstliche acht Grad Celsius – ein Glück, dass das Donaufestival traditionell indoor stattfindet. Zu den themenbildenden „Aliens“ zählten zum Auftakt Künstlerinnen und Künstler aus unterschiedlichsten Teilen der Welt. Ein erstes Highlight im musikalischen Segment bot die in Katar geborene und früh nach Tunesien emigrierte Musikerin und DJ Deena Abdelwahed. Ihre Mischung aus arabischer Folklore, technoiden Clubsounds und dringlicher Atmosphäre hat sie letzten Herbst auf ihrem Zweitwerk „Jbal Rsas“ perfektioniert und gemeinsam mit ihrem musikalischen Partner Khalil Hentati und paralysierenden Visuals passend in Krems inszeniert.

Die Gebrüder Reid (William an der Gitarre, Jim am Mikro) von The Jesus And Mary Chain zeigten sich routiniert, aber ohne Biss. (Bild: David Visnjic / donaufestival)
Die Gebrüder Reid (William an der Gitarre, Jim am Mikro) von The Jesus And Mary Chain zeigten sich routiniert, aber ohne Biss.

Vor ihrem insgesamt zweiten Auftritt beim Donaufestival erklärte sie im „Krone“-Interview, dass ihr die Ausrichtung von Festivals wichtig ist, wenn sie nicht als DJ, sondern als Musikerin performt. „Auf Partyfestivals würde ich die Feierwütigen nur langweilen und wäre falsch besetzt. Ich liebe es, wenn Festivals unter einer bestimmten Motivation stattfinden und sich eine eigene Bedeutung verschaffen. Als Künstlerin sehe ich es als meine Pflicht an, einen Teil dazu beizutragen und ich freue mich, wenn ein Festival-Publikum Sensibilität für solche Themen zeigt.“ Das Festival-thematische Außenseitertum kennt die 35-Jährige aus eigener Erfahrung. Seit acht Jahren lebt sie mittlerweile in Frankreich, erst vor drei Wochen zog sie nach Lyon um. In Europa kann sie ihre künstlerischen Träume auch endlich umsetzen.

Auf die Wurzeln aufbauen
„Wir haben in Tunesien unheimlich viele talentierte Künstlerinnen, die Großartiges leisten, aber der Kulturbetrieb ist stark institutionalisiert und sehr restriktiv. Die Menschen haben tolle Visionen, können sie aber nicht umsetzen, weil ihnen vom Staat ein Riegel vorgeschoben wird. Deshalb wandern sie aus, was weitere Probleme mit sich bringt. Europäer können sich gar nicht vorstellen, was für ein Luxus es ist, wenn jemand aus Tunesien seine Ideen auch wirklich praktizieren kann.“ Von Frankreich aus ist Abdelwahed innerhalb von gut zwei Flugstunden in der alten Heimat, die Wurzeln kappt sie bewusst nicht. Vor allem nicht in der Musik. „Afroamerikanische Musik hat im Hip-Hop, R&B, Jazz und Co. auch deshalb die Welt erobert, weil sie sich auf die Stärken ihrer Ahnen beruft. In Arabien und auch in Europa versucht eine neue Generation immer einen klaren Schnitt zu machen und nichts von den Vorgängern mitzunehmen. Mir ist der Einfluss der arabischen Musikkultur wichtig, ich will sie mit der Moderne verbinden. Auch wenn das mehr Arbeit ist und viel Geduld verlangt.“

Der eigentliche Headliner des Eröffnungstages: die aus Tunesien stammende DJ Deena Abdelwahed. (Bild: David Visnjic / donaufestival)
Der eigentliche Headliner des Eröffnungstages: die aus Tunesien stammende DJ Deena Abdelwahed.

Von der offen zur Schau gestellten Gleichberechtigung und dem strikten Antidiskriminierungskurs, der beim Donaufestival schon seit jeher üblich ist, zeigt sich Abdelwahed begeistert und fügt humorig hinzu: „Im Gegensatz zu etwa Saudi-Arabien gibt es bei uns in Tunesien zumindest Gleichberechtigung. Als Künstler bist du hier sowieso nichts wert. Völlig egal, ob du Mann oder Frau bist.“ Einen starken Frauenanteil wies etwas früher im Programm die einheimische Krachkapelle Eaeres mit u.a. Ursula Winterauer auf. Den lavastromartigen Klang darf man am ehesten Richtung Doom Metal verordnen, monotone Drone-Einflüsse, wabernde Synthie-Flächen und viel schräger Lärm, der sich mit mal gutturalem, mal kreischendem Gesang paarte, war der richtige Anheizer für den wichtigsten Headliner des gesamten Festivals – The Jesus And Mary Chain.

Eingängig und routiniert
Die schottische Kulttruppe aus den 80er-Jahren befindet sich seit geraumer Zeit wieder in guter Verfassung und hat nach jahrzehntelangen Querelen zwischen dem Brüderpaar Jim (Gesang) und William Reid (Gitarre) auch wieder die Lust am Livespielen gefunden. Nach einem ambivalent aufgenommenen Österreich-Comeback 2017 in der Wiener Ottakringer Brauerei wurden sie zur Ticketverkaufsankurbelung etwas semipassend ins Donaufestival gebucht. Dementsprechend war auch das Publikum zu gut zwei Drittel stark auf ihre Idole gepolt, was auch die abrupte Abwanderung direkt nach dem Konzert bestätigte. Die wiederum zeigten sich in ihrem etwas mehr als einstündigen Set nicht nur als eingängigster, sondern auch routiniertester Acts des Abends.

Österreichische Band mit der Liebe zum Abründigen und Lavastromartigen: Eaeres rund um Ursula Winterauer. (Bild: David Visnjic / donaufestival)
Österreichische Band mit der Liebe zum Abründigen und Lavastromartigen: Eaeres rund um Ursula Winterauer.

Arrivierte, langjährige Fans der Band berichteten mir vorab von vergangenen Konzerten mit überbordender Lautstärke, Shoegaze-Repetition und krachigen Noise-Versatzstücken – nach dementsprechenden Erwartungen kam die große Ernüchterung. Die Band agierte maximal pflichtbewusst und die Statik auf der Bühne erinnerte eher an 80er-Jahre-Helden am Donauinselfest und nicht am Donaufestival. Unsterbliche Hits wie „Happy When It Rains“ oder „Just Like Honey“ vermischten sich mit Songs des durchaus adäquaten neuen Albums „Glasgow Eyes“, das aber wenig Reaktionen im nostalgisch gepolten Auditorium hervorrief. Jim Reid hielt sein Mikrokabel den ganzen Abend über fest wie ein Dompteur – ein bisschen mehr Undiszipliniertheit hätte man sich von dieser Band in diesem Rahmen dann doch gewünscht.

Es geht munter weiter
Wer sich nicht von absurd-astronomischen Gastropreisen (die handflächengroße Schnitzelsemmel kostet mittlerweile 6,50 Euro) und dem nasskalten Wetter abschrecken lässt, hat noch fünf Möglichkeiten, sich in Krems vielseitigen zeitgenössischen Klängen und Künsten hinzugeben. Heute, Samstag, konzertieren u.a. Clipping., Jenny Hval und Föllakzoid. Am 21. April werden die Experimentallegenden The Necks vorstellig. Munter weiter geht es kommendes Wochenende. Am 26. April entführt der Wiener Klangkünstler Kenji Araki in andere Soundsphären, während sich Ben Frost Verstärkung von Metalgitarrist Greg Kubacki holt. Der in Berlin lebende Künstler Andrey Guryanov erzählt am 27. April die Geschichten sowjetischer und russischer Nationalhymnen, bevor die Briten von Autechre auf den Industrial-Dancefloor laden. Abgeschlossen wird das Festival am 28. Apil von Joe Rainey, Huuum und Dopplereffekt. Unter www.donaufestival.at gibt es alle Informationen, die genauen Zeiteinteilungen und unterschiedliche Festivaltickets.

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