Neue Autobiografie
Salman Rushdie – ein Leben als Irans “Staatsfeind Nr. 1”
Am Valentinstag des Jahres 1989 teilte sich das Leben von Salman Rushdie in ein Zuvor und ein Danach. "Hinterher" - mit diesem Wort beginnt der hochgelobte und tief verteufelte Autor seine Autobiografie "Joseph Anton", benannt nach dem Decknamen, den der heute 65-jährige Rushdie viele Jahre benutzte.
Sein 1988 erschienener Roman "Die satanischen Verse" mit satirischen Textstellen über den Propheten Mohammed hatte in der muslimischen Welt einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Er markiert den Wendepunkt seines Lebens, den Moment, in dem Rushdie erfährt, dass der iranische Ayatollah Ruhollah Khomeini gegen ihn eine Fatwa verhängt hat, dazu aufruft, ihn und seine Helfer zu ermorden. Sein erster Gedanke: "Ich bin ein toter Mann." Seine erste Reaktion: Er schloss "absurderweise" die Fenster.
Ewiger Religionskritiker
Rushdie hat seine Autobiografie aus der Perspektive eines Außenstehenden verfasst. Statt "ich" schreibt er "er". Und doch ist es kein literarisches Werk, es ist ein Protokoll - und eine Verteidigungsrede. Chronologisch wie ein Tagebuch erzählt er sein Leben im Untergrund nach, seine privaten Krisen und seine Suche nach öffentlichen Unterstützern. Die Kindheit als Sohn einer muslimischen Familie in Bombay, die Schulzeit in England, selbst die Romane, die er in diesen Jahren verfasst, werden zu Randnotizen angesichts des "Todesurteils" aus Teheran.
Seine Argumente formuliert er zum Teil in fiktiven Briefen: "Liebe Religion, kann ich die Frage nach den Grundprinzipien stellen?" Dem Islam, die Religion, mit der er aufwuchs, reicht Rushdie aber dennoch nicht die Hand. Die "Satanischen Verse" hielt er nie für ein besonders kritisches Buch, "doch eine Religion, deren Führer sich auf derartige Weise verhielten, hätten ein wenig Kritik wohl durchaus nötig". Der "theokratische Faschismus" bleibt sein Feind.
Aus Salman Rushdie wurde "Joseph Anton"
1989 wurde Rushdie zu "Joseph Anton" - sein Deckname im Versteck, eine Kombination aus den Vornamen seiner Lieblingsschriftsteller Joseph Conrad und Anton Tschechow. Der Benützer dieses Namens wird in gepanzerten Wagen durch London gefahren, muss ständig die Wohnung wechseln, ist rund um die Uhr von bewaffneten Personenschützern umgeben, die Fluggesellschaften weigern sich, ihn zu transportieren. Als er ins Krankenhaus muss, steht ein Leichenwagen bereit, um ihn aus der Klinik zu schmuggeln, und wenn Handwerker in seine Interims-Bleibe kommen, kauert er sich hinter den Küchentresen: "Wer sich auf solche Weise verstecken muss, verliert jeden Selbstrespekt."
Die Fatwa wurde 1998 vorübergehend für beendet erklärt, als Irans damaliger Präsident Mohammed Khatami den Fall Rushdie für "völlig abgeschlossen" erklärt. "Wie es aussieht, ist es vorbei", sagten ihm an diesem Tag die Sicherheitsleute. Nach dem Umzug in die USA kann sich Rushdie wieder frei bewegen, "er fühlte sich 50 Kilo leichter". Nach 13 Jahren wird auch in England aus Joseph Anton wieder Salman Rushdie. "Ja, es war ein Sieg, es war um Bedeutendes gegangen, nicht nur um sein Leben", schreibt Rushdie über sich.
Offiziell wartet für ihn im Iran aber immer noch die Todesstrafe. 2005 bekräftigte das Mullah-Regime die Aufrechterhaltung der Fatwa. Es gab des Öfteren in letzter Minute abgesagte Auftritte, ein tatsächlicher Anschlag auf sein Leben wurde allerdings nie bekannt.
Nächtliche Rugby-Spiele mit den Bodyguards
Rushdie bedankt sich im Buch - mit großen Anfangsbuchstaben - bei den vielen Freunden, "Ohne Die Das Leben Unmöglich Gewesen Wäre", und spricht voller Respekt von seinen Beschützern, die nachts mit ihm auf einem Polizeisportplatz Rugby spielten und mit einem Polizeiboot über die Londoner Themse bretterten. Der Autor übt aber auch Selbstkritik: Ein aus Kalkül unterzeichnetes falsches Bekenntnis zum Islam löst bis heute heftigen Selbstekel aus.
Obwohl er ständig den Tod im Nacken hat, verlor Rushdie trotzdem nicht seinen Humor, was zahlreiche Anekdoten belegen: Der Verfolgte wird von der gesamten britischen Presse gejagt, und im Hotelzimmer nebenan wohnt ein Journalist, der wegen seiner Geliebten das Zimmer nicht verlässt und damit die Story seines Lebens verschenkt. Die verschiedenen "Kulturen des Personenschutzes" in den Ländern, die er inkognito bereist: Plärrende Hupen und hohes Tempo in Italien, eine waffenstarrende Eskorte wie in einem Trailer für den Dritten Weltkrieg in den USA und neben ihm im Auto ein vor Begeisterung kreischender Literaturagent. Auch in Österreich war der Autor mehrmals: Unter großen Sicherheitsvorkehrungen erhielt Rushdie 1994 den "Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur", der ihm bereits 1992 von einer Jury zuerkannt worden war. Zuletzt war Rushdie 2006 zu Gast bei "Literatur im Nebel" im niederösterreichischen Heidenreichstein.
Rushdie würde "Satanische Verse" heute wieder schreiben
Rushdie berichtete in der Vergangenheit, er erhalte nach wie vor jeden Februar postalische "Grüße" aus dem Iran. Dieses Jahr kamen sie allerdings ein paar Monate vorher: Am vergangenen Wochenende, als die Proteste gegen den amerikanischen Anti-Islam-Streifen "Innocence of Muslims" gerade wieder im Abflauen begriffen waren, gab eine staatsnahe Stiftung im Iran die Erhöhung des nach wie vor auf Rushdie ausgesetzten Kopfgeldes bekannt. Mehr als 2,5 Millionen Euro erhalte jetzt, wer den Autor tötet.
Der Leiter der Stiftung, Ayatollah Hassan Sanei, erklärte, solange die historische Anordnung Khomeinis nicht ausgeführt werde, würden sich islamfeindliche Attacken wie in dem gegen den Propheten gerichteten Film fortsetzen. Rushdie sei mit seinen "satanischen Versen" die Wurzel einer "anti-islamischen Verschwörung" und gehöre ausgelöscht. Im aktuellen "Spiegel" sagt Rushdie hingegen, er würde das Buch genau so wieder schreiben. "Ich bestehe auf dem Recht der freien Meinungsäußerung - auch gegenüber Religionen."
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