Moderner Pop, Jazz und Klassik müssen kein Widerspruch sein und auch nicht immer mit David Garrett gleichgesetzt werden. Laufey, hochtalentierte Isländerin mit chinesischen Wurzeln, erobert mit ihrem Zweitwerk „Bewitched“ nicht nur einen Grammy und die Spotify-Charts, sondern auch die Herzen der Generation Z, die mit Hochkulturanklängen normal nicht viel zu tun hat.
Beim alles überbordenden Wahn über das neue Album von Taylor Swift geht beinahe unter, dass es in einem anderen musikalischen Segment eine Art Zweit-Taylor zu globaler Prominenz schafft. Laufey Lín Jónsdóttir, Sängerin, Cellistin und Pianistin aus dem isländischen Reykjavik mit chinesischen Wurzeln, erobert mit ihrem zweiten Album „Bewitched“ gerade den Planeten und gilt als Heilsbringerin für eine kommerziell seit längerem dahinsiechende Musikrichtung. Laufey, übrigens kein Künstlername, pflegt ihre engelsgleiche Stimme nämlich dem mondänen Korsett des Jazz zu leihen und entfacht damit einen Flächenbrand, der sich über alle Geschlechter und Altersgruppen hinwegsetzt. Rund vier Millionen TikTok-Follower und zwei Millionen Fans auf Instagram beweisen, dass Jazz beileibe kein verstaubtes Relikt für Sakkoträger mit dickem Geldbörserl ist, sondern in der richtigen Aufbereitung auch niederschwellig funktioniert.
Lebenslinien laufen zusammen
„Bewitched“ hat Laufey vor zwei Monaten nicht nur einen Grammy in der Kategorie „Best Traditional Pop Vocal Album“ eingebracht, es ist auch das am häufigsten gestreamte Jazz-Debütalbum in der Geschichte von Spotify. Sie sehen also – bei der Isländerin laufen alle Lebenslinien zusammen. „Mein Ziel ist es, meiner Generation Jazz und klassische Musik auf eine zugänglichere Art und Weise näherzubringen“, wurde sie im Zuge der „Bewitched“-Aufnahmesessions zitiert. Dass es gar so gut klappen würde, konnte die schüchtern wirkende Nordländerin anfangs nicht erahnen. Laufeys Eltern kommen aus der Klassik, spielen professionell Geige und brachten ihren beiden Zwillingstöchtern (Laufeys Schwester unterstützt sie wie ein Schatten aus dem Hintergrund) früh die Liebe zur älteren Musik bei. So kam es früh dazu, dass Laufey zwar Gen-Z-mäßig locker im Social-Media-Game mitspielt, gleichzeitig aber Ella Fitzgerald, Billie Holiday oder Frédéric Chopin zu ihren wichtigsten Einflüssen zählt.
Angetrieben von der Leidenschaft zur Kreativität und zur Musik war ihr musikalischer Weg früh vorgezeichnet. Schon mit 15 kooperierte sie als Cellistin mit dem isländischen Symphonieorchester, in den isländischen Versionen von „Got Talent“ und „The Voice“ reüssierte sie als jüngste Teilnehmerin, die es zu erklecklichen Erfolgen schaffte. Später graduierte sie am renommierten Berklee College Of Music und seit einem knappen Jahr versucht sie ihre mit Raketenantrieb befeuerte Karriere von der westlichen Musikmetropole Los Angeles aus zu lenken. Noch während sie in Berklee studierte, startete sie ihre Karriere mit der Single „Street By Street“ und der darauffolgenden EP „Typical Of Me“, die bereits ihren Sanctus vom „Rolling Stone“ bekam. Willow Smith und Billie Eilish zeigten sich begeistert – eine bessere Werbung kann man freilich nicht kriegen.
Jugendfreie Liebesgeschichten
Sie kam in Kontakt mit den Londoner Symphonikern, vernetzte sich mit Musikerinnen aus unterschiedlichen Genres und krönte ihre junge Karriere 2022 mit dem Debüt „Everything I Know About Love“, das im Stile einer zerberstenden Granate in der Szene einschlug und mehr als nur Staub aufwirbelte. Spätestens dort ergab sich auch Laufeys textliche Richtung, die durchaus an Taylor Swift erinnert. Die Isländerin besang damals und besingt heute die Liebe in all ihren Facetten und Perspektiven und bleibt damit immer so jugendfrei, dass man „Parental Advisory“-Sticker noch nicht einmal im Ansatz auf die frisch gedruckten CDs kleben muss. Das Songmaterial reicht dabei von Verbeugungen vor der Größe des Jazz über orchestrierte, epische Lieder bis hin zu sanften Balladen, deren Zärtlichkeit schon beim kleinsten Ton wie ein Messer durch die Stille schneidet.
Die romantischen Inhalte werden von den sogenannten „Lauvers“, ja, auch Laufey hat schon ihren ganz persönlichen Stamm an „Swifties“, bis in kleinste Details seziert, um das Puzzle zu einem großen Faberge-Ei des Lebens der Künstlerin zu rekonstruieren. Zwischen Klavier-Interludes und Bossa-Nova-Ansätzen wandelt „Bewitched“, aber bei all seiner Schönheit und dichten Produktion manchmal gar zu arg am Kitsch. Der Grat zwischen einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Klassik und einem untrüglichen Disney-Mief ist ein schmaler und Laufey gelingt es nicht immer, sich mühelos für die richtige Seite zu entscheiden. Gerade im Album-Mittelteil bei „California“ und „Promise“ spachtelt sie gar viel klebrigen Kitt über den Klangkorpus und verliert dabei den Anschluss in die Welt zu ihren eigenen Idolen.
Suche nach dem musikalischen Selbst
Um neues Material für die – zumeist bereits restlos ausverkauften - Tourstationen von Chicago über Taipeh bis hin zu Barcelona (nur Österreich ist nirgends dabei) anbieten zu können, veröffentlicht Laufey nun die „Bewitched: Goddess“-Version, die um eine Handvoll neuer Songs angereichert ist und die Künstlerin in einem etwas anderen Licht darstellen sollte. Der Song „Goddess“ selbst spielt inhaltlich mit den Veränderungen in ihrem eigenen Leben. „Es geht um einen Typen, der sich in mein Bühnen-Ich verliebt, dann mit mir nach Hause geht und dort draufkommt, dass ich ja ein ganz normaler Mensch bin. Dass sich das Bild, das er von mir gemacht hat, nicht zwingend mit der Realität deckt.“ Gerade der Post-Grammy-Stress der letzten Monate ließ Laufey über sich und ihre Identität reflektieren. Zwischen hoffnungsloser Spät-Teenager-Romantik, pompösen Kitschmomenten und ernsthaften Jazz-Reminiszenzen sucht Laufey gerade ihr wahres musikalisches Selbst. Die Richtung stimmt, aber es bedarf schon noch einer gewissen Feinjustierung.
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