30.04.2024 10:23

Ex-Austrianer Gorgon:

„Es hat Tage gegeben, wo ich aufgeben wollte!“

Er erlebt gerade seinen x-ten Frühling, hat selbst im für einen Fußballer hohen Alter von 35 Jahren noch nicht vergessen, wo das Tor steht und könnte schon bald Mitglied einer historischen Siegermannschaft sein. Und im Sommer ist er dann so oder so ein Sieger, wenn bei der Fußball-Europameisterschaft das Land, in dem er geboren worden ist, auf das Land seiner Ahnen trifft. krone.at war zu Besuch bei Alexander Gorgon, Ex-Austrianer und violetter Meisterheld von 2013, in Szczecin im Nordwesten Polens – hier finden Sie Teil 1 des großen Interviews, Teil 2 folgt morgen …

krone.at: Mit der Austria bist Du 2012/13 Meister in Österreich geworden, vier Jahre später mit HNK Rijeka auch Meister in Kroatien – wie groß schätzt Du die Chance ein, dass Du Dich heuer oder nächstes Jahr auch noch in Polen Meister wirst nennen dürfen?
Alexander Gorgon: Die Hoffnungen leben natürlich, die Hoffnungen leben. Kurz vor der Winterpause haben die Chancen noch ganz anders ausgeschaut, aber da haben wir gegen Widzew Lodz auswärts noch einen wichtigen Dreier einfahren können, wodurch wir im Spiel geblieben sind. Und jetzt hat’s hier zuletzt Spiele gegeben, die teilweise wirklich sehr verrückt waren, in denen Top-Mannschaften gegen Abstiegskandidaten Punkte verloren haben. Das ist etwas, wovon die Liga lebt. Die Einschaltquoten sind sensationell, weil alles offen ist: Jeder kann jeden schlagen.

krone.at: Kapitän Kamil Grosicki und Du, ihr seid mit 35 Jahren nicht nur die beiden ältesten Spieler im Kader von Pogoń Szczecin, ihr gehört auch zu den Top-Scorern eures Teams. Was wäre Pogoń ohne die „Golden Oldies“ Grosicki und Gorgon?
Gorgon: Auf jeden Fall um einige Tore ärmer! Aber ich glaube, die ganze Mannschaft ergänzt sich sehr gut – das Wichtigste ist, dass man auf Qualität setzt und dass dieser Jugendwahn, der in den vergangenen Jahren entstanden ist, nicht zu sehr Oberhand gewinnt, dass du nicht das eigentliche Ziel aus den Augen verlierst. Es geht nicht so sehr ums Alter, ob du jung oder alt bist, sondern es geht um die Qualität, die du auf den Platz bringen kannst. Wenn sie ein Junger mit 17 schon bringt, dann wird er spielen – aber wenn es jemand mit 35 oder 36 ist, der noch einen Schritt weiter ist, dann schaut‘s eben so aus wie bei uns ... (überlegt) Wir genießen es extrem, wir haben bis jetzt eine extrem erfolgreiche Saison. Uns freut es extrem, dass zum aktuellen Zeitpunkt eigentlich noch immer so vieles für uns möglich ist …

krone.at: Ebenfalls kein Jungspund ist unser Landsmann Benedikt Zech mit seinen 33 Jahren. Seit der Ex-Altacher hier unter Vertrag steht, ist er für die Stammelf gesetzt: Wie schätzt Du sein Standing im Team und den Fans ein?
Gorgon: Sein Standing ist sehr, sehr groß. Er ist nach Szczecin gekommen, als der Verein noch im Aufbau war. Das alles, was man jetzt im Hintergrund sieht, das Stadion, die Infrastruktur, das hat vor fünf, sechs Jahren noch komplett anders ausgeschaut. Dafür sind natürlich sehr viele Leute verantwortlich – und der Benedikt war von Anfang an dabei, er war Teil dieses Projekts. Auf ihn war in den vergangenen Jahren immer Verlass, er ist auf jeden Fall einer der spielstärksten Innenverteidiger in der polnischen Liga, war immer Leistungsträger. Zuletzt ist es ein bisschen unglücklich für ihn gelaufen mit einer Verletzung und dann mit einer Krankheit – daher muss er sich jetzt ein bisschen gedulden, bis er wieder drankommt, weil die Mannschaft trotzdem sehr gut funktioniert. Aber er ist auf jeden Fall ein Startelf-Spieler, der früher oder später wieder in die Mannschaft zurückkommen wird.

Alexander Gorgon (rechts) neben dem Weihnachtsmann und Benedikt Zech (ganz links) (Bild: Pogon Szczecin)
Alexander Gorgon (rechts) neben dem Weihnachtsmann und Benedikt Zech (ganz links)

krone.at: Pogoń hat im vorigen Jahr den 75. Geburtstag gefeiert – in all den Jahren seit der Gründung sind nur zwei Vizemeistertitel eingefahren und drei Cup-Finale erreicht, aber verloren worden. Was passiert in Szczecin, wenn ihr am 2. Mai in Warschau das heurige Pokal-Endspiel gegen Wisła Krakow gewinnen solltet?
Gorgon:  (lacht) Dann ist auf jeden Fall die ganze Stadt am Feiern! Das ist der Titel, der durch nur fünf, sechs Spiele am schnellsten geholt werden kann – und uns ist es dieses Jahr tatsächlich gelungen, ins Finale zu kommen. Es würde keine Entschuldigung geben, wenn wir es dieses Jahr nicht schaffen sollten. Wisła Krakow ist zwar ein Gegner aus der zweiten Liga, aber natürlich auch ein Gegner mit einer sehr großen Vereinsgeschichte, mit einer sehr großen Fan-Base – das wird kein Selbstläufer. Ich erinnere mich daran, wie ich 2013 mit der Austria gegen Pasching, also gegen einen Drittligisten, im Cup-Finale verloren habe – so etwas am 2. Mai hier würde ewig schade sein. Deswegen hoffe ich, dass wir von Anfang an keinen Zweifel daran lassen, dass wir diesen Titel unbedingt wollen. Es wäre für den Verein, für die Fans, für die Stadt wirklich etwas Riesengroßes – wir könnten uns für immer in die Geschichtsbücher eintragen. Ein erster richtiger Titel – Vizemeister hört sich zwar schön an, aber das ist ja kein Titel …

krone.at: Du bist im August 2020 aus Kroatien in die Heimat Deiner Eltern, nach Polen, gewechselt und hast Deine erste Saison gleich einmal als drittbester Scorer Deines Teams abgeschlossen. Doch was gefolgt ist, sind eineinhalb Jahre vermutlich sehr frustrierende Jahre gewesen …
Gorgon: Ich war zunächst einmal sehr froh über ein neues Abenteuer. Der Start ist für mich natürlich sehr leicht gewesen, weil ich in das Land gewechselt bin, aus dem meine Eltern kommen – ich war und bin der Sprache mächtig, was uns das Einleben hier natürlich erleichtert hat ... (überlegt) Es war eigentlich eine gute Saison, auch wenn ich schon Saisonen mit mehr Scorer-Punkten gehabt habe. Pogoń ist damals noch nicht so weit gewesen wie jetzt, wir haben immer wieder ein bisschen „gestruggelt“. Aber ja, die darauffolgende Saison war leider zum Vergessen. Ich war in der Vorbereitung sehr gut drauf und habe mich schon gefreut auf die Saison, auf die Quali-Spiele in der Conference League – aber dann hat mich eine Verletzung zurückgeworfen und ich habe lange kämpfen müssen, um zurückzukommen ...

krone.at-Reporter Hannes Maierhofer und Alexander Gorgon (Bild: Hannes Maierhofer)
krone.at-Reporter Hannes Maierhofer und Alexander Gorgon

krone.at: Um was ist es da genau gegangen? Gorgon: Eine sehr komplizierte Geschichte! Es schien eigentlich „nur“ eine Außenbandverletzung zu sein, aber danach hat sich herausgestellt, dass auch ein Nerv beleidigt gewesen ist. Bis das dann operiert worden ist, sind noch Wochen vergangen – und die erste Operation war leider nicht erfolgreich. Erst durch diese OP bin ich dann so lange ausgefallen ... (zögert) Ich wollte den Eingriff nicht hier machen lassen, sondern woanders – leider hat sich herausgestellt, dass das leider ein Fehler gewesen ist ... (atmet tief durch) Aber das gehört der Vergangenheit an, ich bin froh, dass ich wieder zurückgekommen bin, vor allem, dass ich SO zurückgekommen bin. Und dass ich jetzt noch immer den grünen Rasen genießen kann ... (blickt wehmütig auf den Stadionrasen)

krone.at: Hast Du jemals daran gedacht, die Hoffnung auf ein Comeback auf dem Rasen zu begraben?
Gorgon: Ja, natürlich! Ich habe viele Selbstzweifel gehabt, denn ich habe schon schwere Verletzungen überstanden und gewusst, was für eine lange Zeit der Rehabilitation auf mich zukommt. Es hat Tage gegeben, wo ich aufgeben wollte, wo ich mir nicht sicher war, ob das wirklich noch was wird. Ich wollte es aber mir noch einmal beweisen – und ich wollte es allen anderen beweisen, die kritischer auf mich geschaut und gesagt haben: „Das geht sich jetzt nicht mehr aus bei ihm!“ … (überlegt kurz) Ich wollte auch meinen Kindern zeigen, wie wichtig es ist zu kämpfen und was man mit harter Arbeit erreichen kann. Weil mein Sohn spielt ja auch Fußball und inzwischen bekommt er immer mehr mit, da wollte ich ein Vorbild sein für ihn … (atmet tief durch)

krone.at: Vor einigen Jahren haben wir uns noch an der kroatischen Adria-Küste getroffen – Meer haben wir zwar hier in Szczecin auch fußläufig in der Nähe, aber so ganz vergleichbar ist das Leben hier im Nordwesten Polens mit jenem in Rijeka nicht, oder?
Gorgon:   (lächelt) Nein, es ist ganz anders, ganz anders! Ich würde nicht sagen, dass es schlechter ist, aber man muss sich doch ein bisschen umgewöhnen. Die Leute hier kommen einem am Anfang, wenn man aus dem Süden kommt, etwas distanzierter vor. Wenn ich das jetzt mit der Küstenstadt Rijeka vergleiche, wo die Leute das ganze Jahr über genügend Sonne abbekommen, ist es für uns hier anfangs schon eine große Umstellung gewesen, dass die Leute ein bisschen griesgrämiger und direkt erschrocken sind, wenn wir gutgelaunt mit einem Lächeln etwa in ein Geschäft gekommen sind. Aber man adaptiert sich dann einfach daran. Von Oktober, November bis in den April ist es vom Wetter her ganz anders als in Kroatien – dieses Wetter von der Nordsee, viel Regen, viel Wind, dass es viel kühler ist, ein bisschen unangenehmer, das sind alles so Sachen, die es nicht so angenehm machen wie in Kroatien ... (überlegt kurz) Aber dadurch, dass es mir beim Verein extrem gut geht, meine Familie sich gut eingelebt hat und die Kinder glücklich sind in der Schule bin ich auch glücklich.

Alexander Gorgon im Jahr 2013 im Dress der Wiener Austria (Bild: GEPA)
Alexander Gorgon im Jahr 2013 im Dress der Wiener Austria

krone.at: Alexander, Du bist in Wien als Sohn polnischer Eltern geboren, als Fußballer bei der Wiener Austria groß geworden und jetzt spielst Du in der Heimat Deiner Eltern. Fühlst Du Dich selbst als Legionär hier bei Pogoń Szczecin?
Gorgon: Naja … (zögert) … nicht wirklich, weil ich ja eigentlich mit der polnischen Sprache von klein auf aufgewachsen bin ...

Alexander Gorgon (Bild: Krone KREATIV/krone.tv / Hannes Maierhofer Krone KREATIV)
Alexander Gorgon

krone.at: Es ist irgendwie ein Zwischending, oder?
Gorgon: Ja, irgendwie ein Zwischending ... Es fällt mir auch immer schwer zu antworten, wenn ich gefragt werde, für wen ich die Daumen drücke, wenn Österreich gegen Polen spielt. Da hoffe ich immer, dass es unentschieden ausgeht, damit ich nicht zerrissen bin. Aber ich denke, es ist auch ein Vorteil, dass man sich zu zwei Ländern hingezogen fühlt. Ich bin in Österreich groß geworden, wo ich den Großteil meiner Freunde habe, wo ich das ganze Land zu schätzen gelernt habe. Ich war lange nicht in Polen, aber als ich hierher gewechselt bin, habe ich gesehen, wie sich alles nach vorne entwickelt hat. Wer noch nicht in Polen war, dem kann ich das nur empfehlen, weil das ist jetzt etwas ganz anders als noch vor 10 oder 15 Jahren.

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