Er mag zwar seit rund acht Jahren nicht mehr in Österreich aktiv sein, Wien und vor allem die Austria hat Alexander Gorgon über all seine Legionärsjahre nie vergessen! Es überrascht daher wenig, dass der inzwischen ins Land seiner Ahnen gezogene 35-Jährige auch von Polen aus mit Violett mitfiebert und mitleidet. Was er darüber hinaus zum anstehenden EM-Duell von Österreich mit Polen, die Unterschiede zwischen Bundesliga und Ekstraklasa sowie seine Zukunft zu sagen hat, erfahren sie in Teil 2 des großen Interviews mit unserem Pogoń-Szczecin-Legionär!
krone.at: Die Ekstraklasa ist in Österreich abseits der polnischen Community wohl eher eine große Unbekannte. Wie schätzt Du das Niveau der Liga hier im Vergleich mit jener in Österreich oder in Kroatien ein?
Alexander Gorgon: Jede Liga hat so ihre Besonderheiten. In Kroatien wird zum Beispiel extrem viel Wert auf technischen Fußball gelegt – wo die Intensität vielleicht nicht so groß ist, wo einmal abgekappt wird, wo vielleicht einmal quergespielt wird. Hier in Polen geht es schon ziemlich geradlinig zu, zielstrebig aufs Tor zu, wo man in jedem Zweikampf die Physis zu spüren bekommt. Sie ist bei vielen nicht wirklich auf dem Schirm, die polnische Ekstraklasa, aber ich glaube, dass es da noch sehr viele Reserven gibt punkto Marketing. Es gibt hier in jeder Runde schon einige Topspiele ...
krone.at: Von der Infrastruktur her ist der Unterschied vor allem von Kroatien nach Polen ein exorbitanter oder?
Gorgon: Je größer die Liga, umso attraktiver ist sie auch. Als ich noch in Österreich gespielt habe, hat es nur zehn Mannschaften gegeben – wo du gegen jede Mannschaft vier Mal spielst, wo du nach dem zweiten Spiel fast keine Videoanalyse mehr machen musst, weil du den Gegner auswendig kennst. In Kroatien war es dasselbe, da hat es auch zehn Mannschaften gegeben. Das ist dann relativ schnell ausgelutscht. Hier in Polen hast du in der 18er Liga gegen jede Mannschaft ein Hin- und Rückspiel. Man sieht auch, wie sehr sich alles mit den Stadien entwickelt hat. Natürlich auch wegen der damaligen EURO 2012 in Polen und in der Ukraine. Und Mannschaften, die ein ganz altes Stadion gehabt haben, haben sich auch weiterentwickelt. Irgendwie schaffen es alle Vereine, finanziell so dazustehen, dass es von der Infrastruktur passt und dass die Bilder von den TV-Kameras auch für den Zuschauer zu Hause attraktiv ist sind ...
krone.at: Was internationale Duelle anbelangt, ist die Bilanz zwischen österreichischen und polnischen Klubs mit 16 gegenüber 18 Siegen recht ausgeglichen. Auch wenn da natürlich auch Spiele von vor Jahrzehnten miteingerechnet sind, gilt dieses Kräftegleichgewicht aktuell noch? Was für eine Rolle würde Pogoń Szczecin in Österreich spielen?
Gorgon: Das ist immer eine sehr interessante Frage, wo eine Mannschaft aus einer Liga in einer anderen stehen würde. Ich denke, Pogoń Szczecin würde auf jeden Fall irgendwo auf den ersten vier Plätzen mitspielen ...
krone.at: Einen Vertreter von Polen haben wir ja heuer im Europacup als Gegner von Sturm Graz erlebt mit Raków Częstochowa …
Gorgon: Und Legia Warschau hat in der Quali gegen die Austria gespielt, wo sie drübergekommen sind – auch wenn’s eine sehr enge Kiste gewesen ist. Also in Polen hast du mit den ersten fünf, sechs Mannschaften in der Tabelle eigentlich schon Mannschaften, die auch in Österreich um einen Titel mitspielen könnten, auf jeden Fall. Aber generell glaube ich, dass Österreich vom Nationalteam her wahrscheinlich doch ein, zwei Schritte vor Polen ist.
krone.at: Wie es der Zufall so will, wird Österreich bei der Fußball-Europameisterschaft im kommenden Sommer auf Polen treffen – also das Land, in dem Du sowohl lebst als auch arbeitest und darüber hinaus das Land Deiner Ahnen. Ein für Dich auch persönlich spannendes Duell?
Gorgon: Auf jeden Fall! Jedes Mal, wenn Österreich auf Polen trifft, bekomme ich sehr viele Nachrichten und Anrufe – und ich werde gefragt, wem ich die Daumen drücke. Ich habe es vorhin eh schon gesagt, dass ich da immer ein bisschen zerrissen bin, weil ich beide Länder in meinem Herzen trage. Deswegen wird es für mich ein spannendes Duell ... (überlegt kurz) Ich sehe die Österreicher leicht im Vorteil, die Polen haben sich zuletzt sehr, sehr schwergetan, bis zum Ende für das EM-Ticket kämpfen müssen. Bei Österreich sieht man, dass es da eine unglaubliche Entwicklung gegeben hat, dass das Team, seit Ralf Rangnick übernommen hat, komplett verändert ist. Dass da ein Mannschaftsgeist entstanden ist, wo man an das ganze Projekt glaubt und auch daran, dass man auch die Großen schlagen kann. Zu dem Zeitpunkt, wenn Österreich auf Polen trifft, werde ich auf Trainingslager sein mit Pogoń Szczecin, aber da werden wir bestimmt das Training so timen, dass wir das Spiel schauen können … (grinst)
krone.at: Und Deine Einschätzung: Wer wird es gewinnen?
Gorgon: Schwer zu sagen, bis dahin kann noch viel passieren. Ich hoffe, dass alle Spieler fit bleiben, dass nichts Unerwartetes passiert. Generell wird es eine spannende Gruppe sein, aber ich denke, dass Österreich sehr, sehr gute Chancen hat, aus der Gruppe aufzusteigen. Deswegen glaube ich fast, dass sie die Polen doch knapp schlagen könnten. Aber wie schon gesagt, bei so einem Großereignis muss vieles stimmen, damit man gewinnen kann.
krone.at: Und wie schätzt Du die öffentliche Meinung hier in Polen ein?
Gorgon: Ich glaube, die Leute sind sich schon bewusst, dass Polen in der Gruppe eher der Underdog ist und dass ein kleines Wunder passieren müsste, damit sie den Aufstieg schaffen. Aber trotzdem: Es gibt schon auch einige Stars in der polnischen Nationalmannschaft: Allein wenn man an Robert Lewandowski denkt, der manchmal aus einer halben Chance ein Tor machen kann. Deswegen sind die Hoffnungen trotzdem da ...
krone.at: Auf dem Posten des Polen-Teamchefs ist es in jüngerer Zeit oft zu Veränderungen gekommen – nach Jerzy Brzęczek, der es rund zweieinhalb Jahre ausgehalten hat, sind gleich drei Nationaltrainer kaum ein Jahr lang im Amt gewesen. Nicht, dass wir Trainer-Diskussionen in Österreich nicht kennen würden, aber was ist da los bei den Polen?
Gorgon: (überlegt) Gute Frage. Ich glaube, dass nicht nur die Ergebnisse gefehlt haben, man ist auch unzufrieden gewesen mit der Art und Weise, wie das Nationalteam gespielt hat. Es hat einfach keinen Trainer gegeben, der es irgendwie geschafft hätte, aus diesen großen Stars eine Einheit zu formen. Man hat es natürlich versucht, zuerst mit einem Trainer, dann mit dem zweiten und dann hat man geglaubt, es muss ein Star-Trainer so wie der Santos (Europameister-Trainer mit Portugal 2016, Anm.) her. Mit dem hat es dann natürlich gar nicht funktioniert – aufgrund der Sprachbarriere und weil er für die alte Schule steht, die einfach nicht zum Nationalteam gepasst hat. Jetzt schaut dagegen alles viel besser aus und man hofft hier in Polen, dass durch dieses schwierige Spiel im Quali-Playoff, als sie gegen Wales drüber gekommen sind, eine Art Euphorie entsteht – auch wenn man von der Qualität her nicht so zufrieden war mit der Quali, wie die Spiele verlaufen sind.
krone.at: Jetzt hab’ ich Dich über Unterschiede des Niveaus des Fußballs Österreichs und Polens sinnieren lassen, dabei spielst Du seit bald acht Jahren gar nicht mehr in rot-weiß-roten Landen. Wie genau verfolgst Du eigentlich noch das Geschehen in der österreichischen Bundesliga – und vor allem jenes bei Deinem Ex-Klub Austria?
Gorgon: Ich bekomme es schon mit, wenn es die Zeit erlaubt und ich nicht gerade selbst aktiv bin am Platz – dann schaue ich mir schon die österreichische Bundesliga an. Wahrscheinlich bin ich jetzt nicht mehr so vertieft wie zu der Zeit, als ich bei der Austria gespielt habe, aber ich bekomme schon einiges mit. In den vergangenen Jahren ist es natürlich eine sehr schwierige Zeit für die Austria gewesen …
krone.at: Schmerzt da das violette Herz?
Gorgon: Ja, natürlich! Man ist ja trotzdem noch mit seinem Jugendklub verbunden. Deswegen war ich jetzt umso glücklicher, als der Lizenzantrag gleich in der ersten Instanz funktioniert hat. Das ist schon einmal ein gutes Zeichen ...
krone.at: Ein großer Aufreger in Österreich sind heuer auch im Frühjahr die Vorfälle nach dem von der Austria verlorenen Wiener Derby gewesen. Hat man davon in Polen auch etwas mitbekommen?
Gorgon: Ich muss zugeben, dass ich die polnischen Medien hier nicht viel lese. In der Kabine war es eigentlich kein Thema, die Jungs hätten mich schon darauf angesprochen. Ich habe es natürlich mitbekommen, habe nicht nur das Derby gesehen, sondern auch diese Szenen. Ich glaube ja, es ist schon alles dazu gesagt worden. Den Verantwortlichen tut es, glaube ich, selber leid, so etwas sollte natürlich nicht vorfallen.
krone.at: Die Rivalität zwischen der Austria und Rapid hat es immer gegeben. Hat die Rivalität inzwischen auch bei den Spielern und den Funktionären zugenommen oder schaut man in der heutigen Zeit einfach nur genauer hin?
Gorgon: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, die sportliche Rivalität wird immer aufrecht bleiben, das ist auch okay. Ich kann von meiner Vergangenheit als Austria-Kind sagen, dass uns schon im Nachwuchs eingetrichtert worden ist: „Alles was grün ist, ist schlecht.“ Sobald jemand mit grünen Fußball-Schuhen zum Training bei der Austria gekommen ist, hat der Trainer gesagt: „Nein, mit denen darfst du nicht spielen.“ (überlegt kurz) Man wurde schon von Anfang an darauf gedrillt: violett ist violett, grün ist grün. So lange alles sportlich und diese Rivalität im gesunden Rahmen bleibt, ist es ja okay. Es ist ja schön, wenn man sieht, dass die Fans den eigenen Verein so vertreten und dass man die ganze Woche so eine Spannung aufbauen kann für die Medien, für die Zuschauer, für die Spieler. Aber sobald es diesen ungesunden Rahmen annimmt, wo es zu Gewalt kommt oder wenn sich Familien überlegen müssen, ob sie überhaupt zum Spiel kommen, dann ist das einfach eine Themenverfehlung ...
krone.at: Du bist 35 Jahre alt und wirst – auch wenn Deine heurige Performance in der Ekstraklasa anderes vermuten lässt – auch nicht gerade jünger. Wie lange gedenkst Du noch, aktiv auf dem Rasen Deine Knochen für Ruhm, Ehre und Punkte hinzuhalten? Hast Du schon Pläne für die Zeit danach?
Gorgon: Ich würde schon gerne so lange spielen, wie es der Körper zulässt – so lange es sich noch gesund anfühlt, würde ich gerne den Körper auspressen wie eine Zitrone. Aber wenn ich einmal sehe, dass es keinen Sinn mehr macht, dass mir die Jungen um die Ohren laufen, dass ich nicht mehr mithalten kann, dann weiß ich: „Jetzt ist es genug!“ Dann trete ich ab. Aber so lange ich sehe, dass es noch geht, macht es mir unheimlich viel Spaß. Das kostet natürlich viel Kraft, viel Energie und ich brauche auch meine Ruhephasen, mehr Regeneration als früher. Aber es macht wirklich sehr viel Spaß ... (zögert) Wie lange es noch geht, ob es jetzt zwei Jahre sind oder drei Jahre, das weiß ich nicht ...
krone.at: Vertrag hast Du noch bis …
Gorgon: Nach der Saison habe ich noch ein Jahr Vertrag – aber ich sehe das Ende noch nicht kommen nach dem nächsten Jahr, schauen wir einmal. Jetzt bin dabei, die UEFA-B-Trainerlizenz zu machen. Das ist einmal ein Nebenprojekt von mir und vielleicht folgen noch andere. Schauen wir einmal …
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