Stiegenhaus-Schubser

Prozess geriet zur Märchenstunde

Vorarlberg
02.05.2024 06:15

Beim Prozess um einen Eklat im Stiegenhaus eines Mehrparteienwohnhauses in Vorarlberg gab es vier Angeklagte, zwei Zeugen, sechs verschiedene Aussagen und am Ende nur Opfer. 

Der 61-jährige Erstangeklagte soll im Zuge eines Streits die 29-jährige Zweitangeklagte die Stiege in dem Mehrparteienhaus in Muntlix hinuntergeschubst haben. In die Keilerei involviert: deren 25-jähriger Bruder und eine Patschen werfende Mutter. Nach Polizeieinsatz, Rettung und Anzeige wegen versuchter beziehungsweise schwerer Körperverletzung gab es zwischen den Streithähnen ein Wiedersehen am Dienstag bei Gericht.

Weder die vier Angeklagten noch deren Anhang würdigen einander am Gerichtsgang auch nur eines Blickes. Zu tief sitzt der verletzte Stolz, weshalb sich jeder der Protagonisten vor dem Richter als zum Teil schwer verletztes Opfer darstellt. Wären da nicht zu viele Ungereimtheiten. „Ich bin unschuldig. Ich habe die Frau nicht geschlagen“, so der 61-jährige Schubser. Er sei derjenige gewesen, der sozusagen von der Meute mit Schlappen und einer Flasche attackiert und von der Zweitangeklagten geschlagen wurde. Seine Frau sei auch von einem fliegenden Pantoffel am Kopf getroffen und verletzt worden.

„Und warum lag die Zweitangeklagte dann unten auf der Stiege?“, will Richter Christoph Stadler wissen. „Ich weiß nicht. Als ihr Mann mit ihr ins Spital fuhr, dachte ich, die beiden hätten vielleicht eine Ehekrise.“ Völlig anders hingegen die Version der 29-jährigen Geschubsten, die sich ebenfalls für nicht schuldig bekennt. „Ich wollte den Erstangeklagten nur in Gedanken schlagen.“ Außerdem sei ihr baumlanger Ehegatte vor ihr gestanden, weshalb sie den 61-Jährigen eh nie hätte treffen können. Fakt sei, dass Letzterer sie an den Schultern gepackt und hinuntergeschubst habe.

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Dass ihre Tochter im ersten Stock lag, kann nicht sein. Außer, jemand hat sie fürs Foto vom Erdgeschoss wieder hinaufgetragen.

Staatsanwalt im Prozess

„Ich komm jetzt nicht mehr mit“
„Sie schildern die Sache aber heute anders als noch bei der Polizei. Da war nichts mit an den Schultern packen und so. Was stimmt jetzt?“, so der Herr Rat stutzig. Worauf die bereits vorbestrafte Zweitangeklagte lapidar erklärt, den Beamten nur die Kurzversion erzählt zu haben. Recht variantenreich schildert die Drittangeklagte und ihres Zeichens Mutter der Geschubsten das Geschehen. Einmal purzelte die Tochter vom oberen Stock durchs Stiegenhaus hinunter, dann wieder nur einen kurzen Absatz im Zwischenstock usw. Der Richter entgegnet dem: „Aber dann müsste sie ja an der Nachbarin vorbeigerollt sein. Also ich komm da jetzt nicht mit.“ Dem schließt sich der Türkisch-Dolmetscher an: „Ich auch nicht.“

Der Staatsanwalt greift ein: „Dass ihre Tochter im ersten Stock lag, kann nicht sein. Außer, jemand hat sie fürs Foto vom Erdgeschoss wieder hinaufgetragen.“ Etwas Licht ins Dunkel bringt dann der Viertangeklagte. Der behauptet zwar auch niemanden verletzt zu haben und schildert die Sache eher als Augenzeuge denn als Mittäter. „Es kann sein, dass der Erstangeklagte meine Schwester an den Schultern gepackt hat, aber als ich unten auf dem Podest stand, ist sie schon die Treppe runtergefallen. Es war der Bruchteil einer Sekunde.“ Er habe dann die Polizei gerufen.

Sieht man sich nochmals vor Gericht?
Weil auch die Zeugen keine erhellenden Lichtblicke ins Dunkel des Geschehens bringen, spricht der Herr Rat den Erstangeklagten vom Vorwurf der versuchten schweren Körperverletzung frei. Die Zweitangeklagte sowie ihr Bruder samt Patschen-Mutter kommen mit einer Diversion und insgesamt 700 Euro Geldbuße davon. Schlusswort des Richters: „Das Gericht glaubt ihnen allen nicht. Daher im Falle des Erstangeklagten ein Freispruch im Zweifel. Aber es könnte gut sein, dass sich der eine oder andere wegen Verleumdung beziehungsweise falscher Beweisaussage nochmals vor Gericht steht.“

Porträt von Chantal Dorn
Chantal Dorn
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