Niemand konnte ihn damals stoppen. Wie auch? Wenn 50 Tonnen Stahl, gelenkt von einem 22-jährigen Liebeskranken, der sich mit einer Flasche Whisky Mut angetrunken hat, Richtung Wien donnern, hilft nur eines: aus der Bahn!
Dutzende Passanten und Polizisten retteten sich mit einem Hechtsprung. "Achtung, Autofahrer! In Simmering kommt Ihnen ein Kampfpanzer entgegen", so die aufgeregte Ö3-Verkehrswarnung.
Koloss katapultierte sogar Autobus zur Seite
Nach zehn Kilometern Anfahrt aus der Zwölfaxinger Kaserne nach Wien hatte der Stahlkoloss eine Spur der Zerstörung hinterlassen: mehr als ein Dutzend Autos zermalmt, Lichtmasten geknickt, die Oberleitung herabgerissen und ein Autobus zur Seite katapultiert. Chaos pur. Ein Polizeikonvoi eskortierte zwar den Amokpanzer – war aber hilflos, planlos.
2.070 Projektile prallten von Stahlpanzerung ab
Schließlich sollte ein Polizei-Pandur die Rettung bringen. Doch der Aluminium-Panzer wurde vom Stahlmonster wie eine Konservendose zur Seite geschoben. Dann der Schießbefehl. Dutzende der inzwischen mehr als 225 Uniformierten eröffneten das Feuer. Exakt 2.070 Schuss wurden abgegeben.
Resultat: null. Korporal Gerhard Mikes rollte weiter, um mit dem gekaperten Panzer bei seiner Freundin aufzukreuzen. Erst an einem Pfeiler der Ostbahnbrücke endete die einstündige "Panzer-Tour d'amour". Mikes öffnete die Luke, wurde überwältigt und abgeführt.
Schlagzeilen von Thomas Gottschalk bis zu CNN
18 Jahre später: Der einstige Panzer-Romeo im Interview. Er zündet sich eine Marlboro an, trägt den Ehering mit allem Stolz. Lächelnd legt der 40-Jährige den Arm um seine Frau: "Sie war meine Rettung." Anita hat den Austro-Rambo gezähmt.
Denn was 1994 als "b'soffene G'schicht" begann, in den Schlagzeilen von Gottschalk bis CNN um die Welt ging, bedeutete für den Sohn eines dekorierten Soldaten das Ende aller Träume.
Truppenübungsplatz war liebster Kinderspielplatz
"Schon als Bub war es eine Riesenhetz, auf dem Truppenübungsplatz Allentsteig beim Schießen dabei zu sein", so die verklärte Sicht der einstigen Geborgenheit in der Kaserne.
Nach der Mechanikerlehre mit 19 der große Jubel: UNO-Soldat in Syrien. Dort, in Damaskus, wo heute Assads Schergen täglich morden, spazierte der blauäugige Blauhelm aus Allentsteig durch den Suk, trank Tee mit Waffenhändlern und schmuggelte selbst ein wenig zwischen den Grenzen hin und her.
Hoher UNO-Sold machte Waldviertler Buam blind
Das schnell verdiente Geld machte den Waldviertler Buam (wieder zu Hause) blind für den Soldatenalltag in Zwölfaxing. Augen hatte der Korporal nur für seine damalige Freundin Ina. Allein für sie startete er zur Amokfahrt.
"Ich wollte ihr eben imponieren. Heldentat war es keine, eher Schwachsinn. Nicht einmal den Panzerführerschein besaß ich, und an Konsequenzen hab' ich gar nicht gedacht", sein Resümee, "ich war froh, dass niemand verletzt wurde. Im Volltempo spürst du ja gar nicht, wennst mit einem Panzer über Autos rollst."
Rückblick auf ein "patschertes Leben"
Aber auch der Polizeieinsatz war höchst gefährlich: Zuerst der "Don-Quichote-Angriff" mittels Schild, dann 2.070 Bleigeschosse gegen den Stahlmantel samt Hunderten Querschlägern – und schließlich die Sinnlosattacke mit dem Aluminium-Panzer.
Nach einem halben Jahr Gefängnis irrte Mikes fast so wie Odysseus jahrelang durch die Welt. – "Ich hab' mir den Frust von der Seele geschrieben", zeigt er heute sein Buch "Endstation Simmering, Mit dem Panzer durch Wien": Sein Rückblick auf Heeres- & Häfnzeit liest sich wie die Biografie vom patscherten Leben.
"Security-Job", um Schulden abzustottern
Das Wiener Panzerdesaster hatte die Zukunftspläne ebenso zermalmt wie das Kettenfahrzeug 22 Autos. So versuchte Mikes nach der Haft mithilfe seines Vaters mühevoll Schulden abzustottern: Jobs am Würstelstand, als Kellner, Tankwart und als Security-Mann in Krisenregionen.
Endlich schuldenfrei und Job als Chauffeur
"Ein Neustart-Versuch in Thailand samt großer Liebe endete für mich nach einer Schlägerei mit Polizisten im Gefängnis", so der hartgesottene Ex-Soldat. Das Jahr Häfn-Horror ist ihm heute noch anzusehen.
Zurück in Wien findet er dann "endlich einen guten Job als Chauffeur und vor allem den Lebensmenschen und die Ruhe des Lebens in Anita". – Fast so wie Odysseus an Penelopes Seite.
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