Am Gepäckband des Pekinger Flughafens empfängt Besucher eine Audi-Werbung: Der A8 „Horch“ wird angepriesen. Den historischen Namen trägt die Luxuslimousine der höchsten Ausstattung nur in China: Zweifarblackierung, große Kühlermaske, mächtige Aluräder, viel Chrom, ein gekröntes „H“ auf der C-Säule - so stellen sich deutsche Automanager Luxusautos für Chinesen vor. Doch die meist junge Kundschaft im Reich der Mitte machen solche Bling-Bling-Autos – wie auch den ähnlich überladenen Mercedes-Maybach – nicht mehr an. Sie wollen ein anderes Design, frischer, schlichter, nicht so überladen.
Ironischerweise haben vor allem deutsche Designer den Chinesen eine neue Formensprache gezeigt: Stars der Branche wie Stefan Sielaff (ehemals Bentley, heute Geely), Klaus Zyciora (ehemals VW, heute Chongqing Changan) und Wolfgang Egger (ehemals Alfa Romeo und Audi, heute BYD Group). Es wird erwartet, dass auch der kürzlich abgesetzte Audi-Designer Marc Lichte bald in China arbeitet.
Wolfgang Egger verantwortet bereits seit sieben Jahren als Chefdesigner des chinesischen Autobauers BYD die Formensprache des mittlerweile größten Elektroautobauers der Welt. Er entwerfe dort keine Autos für China, sagt Egger, sondern für den Weltmarkt: „Schönheit ist global.“
Auf der Automesse in Peking konnte man sehen, wie sich das Design in China verändert hat. Viele neue Modelle sehen aus, als hätte Charles Eames, Dieter Rams (Braun) oder Jonathan Ive (Apple) die Feder geführt. Während bei den etablierten Herstellern in Stuttgart, München und Ingolstadt die Frontgrills beängstigende Ausmaße annehmen, obwohl Elektroautos kaum Kühlluft brauchen, folgt bei vielen chinesischen Autobauern die Form der Funktion - getreu dem berühmten Bauhaus-Motto.
Für BYD-Chefdesigner Wolfgang Egger ist Bauhaus, die Formenschule der 20er-Jahre, eine seiner Inspirationsquellen: „Bauhaus hat Funktion und Design zusammengebracht. Sie reduzierten Formen auf ein Minimum und integrierten die Technik in das Design. Das ist ein wichtiger Punkt: Die technologische Plattform ist die Basis des Designs bei BYD.“ Elektroautos geben Designern neue Freiheiten. Die kompakten Elektromotoren ermöglichen eine flachere Motorhaube, kleinere Kühler und damit eine geschlossene Front.
Kleidung der Kaiserzeit als Inspiration
Eine weitere Inspirationsquelle für Wolfgang Egger ist die chinesische Geschichte: „Für Denza fanden wir unsere Inspiration in der Kleidung eleganter Chinesinnen der letzten Periode des Kaiserreiches. Der Stil war vor mehr als 100 Jahren schon extrem elegant. Sogar Coco Chanel hat sich davon inspirieren lassen. Das ist zeitlose Schönheit.“
Denza ist die Premiummarke der BYD-Gruppe. Noch in diesem Jahr soll die Entscheidung fallen, ob und mit welchem Produkt die Marke nach Europa kommt. Auch im Innenraum wirkt der neue, schlichte Stil. Digitale Instrumente und Touchscreens lassen das Armaturenbrett aufgeräumt aussehen. Westliche Autobauer dachten lange, die chinesische Kundschaft verlange barocken Chromschmuck, Wurzelholz und beiges Leder im Überfluss – englisches Landhaus statt Dessauer Bauhaus. Ein Fehler, wie Wolfgang Egger heute sieht: „Ich habe erst hier in China gelernt, dass Schönheit global ist. Es stimmt nicht, dass die Chinesen alles mit Gold und Silber dekorieren wollen. Sie lieben die reine Form. Wir haben deshalb zunächst mal alle Dekorationselemente entfernt.“
BMW wird schlichter
Auch BMW wendet sich mir der Neuen Klasse einer neuen Designsprache zu. In München hat man offenbar erkannt, was Kunden nicht nur in China wirklich wollen. BMW-Chefdesigner Adrian van Hooydonk präsentierte auf der Automesse in Peking die jüngste Entwicklungsstufe der neuen Baureihe. Kommendes Jahr soll sie in Serie gehen. Große Fensterflächen, Lichtelemente statt Chrom, ein großer Bildschirm statt vieler Anzeigen und Knöpfe. Die jüngste Ausbaustufe der Neuen Klasse hat vorn ausgestellte Kotflügel, wirkt sportlicher und erwachsener als das erste Modell: „90 Prozent davon werden wir in Serie übernehmen“, verspricht van Hoydoonk.
Auch Volkswagen zeigt mit der Studie ID Code in Peking eine Formensprache, die dem neuen China-Trend folgt. Während diese Modelle noch Zukunftsmusik sind, haben chinesische Hersteller wie Nio, Xpeng, Zeekr, Great Wall Motor oder BYD ihre Autos längst auf dem Markt – und es werden ständig mehr. In Peking hat BYD den Sealion 7 vorgestellt. Mit flacher Front und Coupé-Heck sieht das Auto so gar nicht aus wie ein dicker Seelöwe. Noch aufgeräumter wirkt der BYD Ocean-M, ein Kompaktwagen mit ungewöhnlich dynamischen Formen.
Meer statt Straße
„Unsere Marken haben keine hundertjährige Geschichte, die wir weiterschreiben müssen“, sagt Wolfgang Egger. Also können seine Designer mit einem leeren Blatt Papier starten. Der Oberbegriff bei BYD ist Ocean. Die Autos sollen aussehen, als bevölkerten sie die Meere, nicht die Straßen.
Wie ein schwarzer Kubus thront das Designstudio von BYD neben der Firmenzentrale in Shenzen. Die meisten der 1030 Konzerndesigner aus über 30 Nationen arbeiten dort. Ein weiteres Designstudio betreibt das Unternehmen in Kalifornien, auch ein Studio in Europa ist geplant. Möglicher Standort: Stuttgart.
Genug zu tun gibt es, denn BYD betreibt neben der Kernmarke noch die Marken Yangwang, Denza und Fangchiengbao, die als Offroad-, Premium- und Luxusmarke antreten. Unter anderem plant Denza mit dem Z9 GT einen atemberaubend flachen Sportwagen und einen Plug-in-Hybrid.
Mit mehreren Marken anzutreten, diese Strategie verfolgen alle chinesischen Autobauer. Das beschert nicht nur den Marketing-Abteilungen Arbeit, sondern auch den Designern: „Wir achten sehr darauf, dass die verschiedenen Marken von BYD ihre eigene Designsprache, ihre eigene Story haben“, sagt Wolfgang Egger.
Ingenieure und Designer arbeiten dabei eng zusammen. „Das ist schon deshalb wichtig, weil das Entwicklungstempo hier viel höher ist“, sagt der Chefdesigner. „Hier wird ein Auto in weniger als drei Jahren entwickelt.“ Europäische Hersteller brauchen dafür vier bis fünf Jahre. Wollen sie den Geschmack der chinesischen Kundschaft treffen, müssen sie also schneller werden – nicht nur beim Design. (cen)
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