„Krone“-Interview

Jazz-Pianist Gerald Clayton wird 40 Jahre jung

Musik
11.05.2024 09:00

Er kommt aus einer musikalischen Familie, wurde schon früh ans Klavier gesetzt und lernte von Billy Childs und Kenny Barron. Heute ist Gerald Clayton ein Fixstern am Blue-Note-Himmel und gehört zu den profiliertesten Jazz-Pianisten der Szene, der in jeder Note einen ehrlichen Ausdruck sucht. Zum 40. Geburtstag haben wir mit Clayton über die Magie der Musik, kompositorische Ängste und das Sammeln von Nebel gesprochen.

(Bild: kmm)

„Krone“: Gerald, dein immer noch aktuelles Album „Bells On Sand“ hat jetzt etwas mehr als zwei Jahre am Buckel. Wie fühlt es sich rückblickend an?
Gerald Clayton:
 Ich verschwende nicht viel Zeit darauf, zurückzublicken, bin aber sehr glücklich und stolz auf das Album, weil es eine besondere Ehrlichkeit in meinem Leben einfängt. Ich habe mit großartigen Musikern arbeiten dürfen und im Kontext mit der Musik davor von mir, hat dieses Album einen speziellen Platz in meinem Herzen.

Das war dein zweites Album auf dem legendären Jazz-Label Blue Note. Ist es für dich etwas Besonderes, ein Teil der Historie dieses Kultlabels zu sein?
Das ist eine Ehre. Ich bin mit Blue-Note-Alben aufgewachsen und habe die Musiker idealisiert, die darauf veröffentlichten. Jetzt bin ich selbst ein Teil davon und das ist großartig. Wir haben sehr viel Freiheit, auf diesem Label unsere musikalischen Visionen so umzusetzen, wie wir es für richtig halten. Normalerweise ist das Mikromanagement von Plattenfirmen und deren Entscheidungsfindung für uns Künstler eher schwieriger Natur und man hat selten das Glück, sich wirklich entfalten zu können. Blue Note gibt uns aber diese Chance und das schätze ich sehr.

Könntest du deine Musik ohne die nötige Dosis Freiheit und Unabhängigkeit gar nicht machen?
Dem würde ich zustimmen, ja. Die Musik ist für mich immer ein Dialog, in dem es viel Raum für Ideen von Produzenten oder Mitmusikern gibt. Ich bin absolut okay damit, wenn ich Visionen und Ideen teilen kann, denn das macht das Ergebnis meist besser. Es ist aber schön, wenn wir im inneren Kern unsere Ruhe haben. (lacht)

Dich kann man getrost zur jungen Szene amerikanischer und britischer Jazzmusiker zählen, die das Genre einer neuen Generation zugänglich machen. Wie siehst du persönlich die Zukunft des Jazz?
Es ist ein bisschen gefährlich, den Jazz zu sehr zu generalisieren. Man muss immer von Fall zu Fall denken und dort findest du auch viele ältere Jazzmusiker, die die Tradition des Entdeckens, Herausforderns und Erweiterns forcieren. Ich bin unglaublich froh, dass ich seit 2013 mit Charles Lloyd arbeiten darf, denn er inspiriert mich an jedem einzelnen Tag. Die Definition von Jazz bedeutet frei zu sein und immer weiterzudenken. Im Jazz sind wir ein Resultat unserer Einflüsse von innen und von außen. Mir geht es darum, an jedem einzelnen Tag von null weg nach etwas Neuem, noch nicht Dagewesenem zu suchen. Das bedeutet auch, dass man sich auf neue Technologien wie Elektronik einlässt. Ich ermutige die Menschen dazu, Musik so neu und unverbraucht wie möglich zu denken. Es dient niemandem, wenn wir den Jazz oder die Musik im Allgemeinen generalisieren und über einen Kamm scheren. Daraus entsteht nichts Neues. Sieh dir Mark Turner, Brad Mehldau oder andere an – ihr Mindset ist immer nach vorne gerichtet. Es geht um die Zukunft, nie um die Vergangenheit.

Ist es dir persönlich wichtig, dass du dich im Kreativprozess möglichst vom Einfluss deiner Kollegen distanzierst und dich für das Songwriting zurückziehst?
Das ist schwer zu sagen. Musik zu schreiben ist für mich ein sehr mysteriöser Prozess, bei dem ich kaum Kontrolle über etwas habe. Es gibt Zeiten, wo ich den ganzen Vormittag Barry Harris höre und mich dann hinsetze, um einen Song zu schreiben. Natürlich ist der Sound dann von seinem Spiel beeinflusst. An anderen Tagen klimpere ich einfach herum und daraus entsteht etwas, das später zu einem Song wird. Manchmal bin ich wie auf Autopilot-Modus und distanziere mich total von der Außenwelt. Wir alle dienen der Musik hoffentlich so, dass wir eine Art Kanal für ihre Bedeutung sind. Wenn wir dann wie unsere Einflüsse klingen, ist das gut. Wenn nicht, ist das auch okay. Ich kontrolliere diesen Prozess aber nicht. Es ist ein bisschen so, als würde ich Nebel sammeln. (lacht)

Fällt es dir manchmal schwer, all die vielen und bunten Ideen so zu komprimieren, dass sie schlussendlich ein kongruentes Klangerlebnis ergeben?
Ich habe kein bestimmtes Rezept, nach dem ich Musik fertige. Komponieren ist ein reines Mysterium, das wie von magischer Hand passiert. Ich versuche nett zu mir selbst zu sein und die Unsicherheit und das Ungewisse in der Musik zu genießen. Das hilft sehr dabei, sich in der Musik fallen zu lassen. Die Musik ist ein Handwerk. Man kann sozusagen sein Auto starten, aber um es richtig zum Laufen zu bringen, muss man Harmonien, Melodien und Dissonanzen nach einer gewissen Methode vereinen. Ich starte zum Beispiel einen Song mit einer Bassline oder einem bestimmten Rhythmus und arbeite mich dann vor. Selbst da hast du nie die Garantie, dass etwas daraus entsteht. Die Neugierde und die Illusion können dich auch ganz woanders hintreiben. Am besten ist, wenn du den Prozess so gut wie möglich genießt und dir selbst vertraust.

Hast du eigentlich auch einen wissenschaftlichen, logisch nachvollziehbaren Zugang zur Musik oder bist du eher jemand, der sich der Magie des Entstehens hingibt?
Es trifft beides zu. Manchmal entstehen Dinge aus dem bloßen Handwerk heraus, manchmal passiert es plötzlich und du kannst dir nicht erklären, wie es dazu kam. Das ist aber auch der Grund, warum wir die Musik so lieben und immer auf der Jagd sind, diese Energie zu spüren. Ich gehe nicht zu wissenschaftlich an die Musik ran, aber ich sehe mich auch nicht als übertriebenen Romantiker. Ich kann mich genauso gut hinsetzen und eine halbe Stunde nach einem vorgegebenen Plan üben, um mein Handwerk zu verbessern.

Ist das Klavierspiel für dich pure Passion oder gibt es Momente, wo du dich zu deinem Instrument zwingen musst?
An diesem Punkt in meinem Leben finde ich die Leidenschaft für das Spielen sehr leicht. Als ich ein Kind war und Piano-Stunden nahm, wollte ich lieber Radfahren, Skaten oder mit meinen Freunden spielen. Ich habe die Uhren vorgestellt, um die Übungszeit zu verkürzen, aber die Musik habe ich trotzdem geliebt. Ich bin allgemein ein sehr passionierter Mensch, der sich in viele Dinge hineinversetzen kann. Manchmal bin ich etwas zerstreut und gehe lieber Surfen, als Klavier zu spielen, aber es ist gut, wenn man andere Hobbys hat. Im Endeffekt hat der Tag für mich immer zu wenig Stunden. (lacht)

Dein Vater ist der Bassist John Clayton, dein Onkel war Altsaxofonist und Flötist Jeff Clayton, du hast bei Kenny Barron und Billy Childs studiert und gelernt. Mit all diesen Größen in Familie und dem Umfeld war es sicher nicht leicht, sich eine eigene musikalische Identität zu erarbeiten …
Das stimmt zum Teil, aber andererseits hatte ich durch meine Familie unglaublich tolle Möglichkeiten, die sich einem sonst nicht so leicht eröffnen. Ich bin aufgewachsen mit viel Lachen, vielen Umarmungen und einer lockeren Atmosphäre. Die Musik war immer wichtig und niemand hat mir eingeredet, ich sollte etwas „Vernünftiges“ lernen. Die Liebe in der gesamten Szene war überbordend, das hat mich schon in jungen Jahren sehr stark geprägt. Meine Eltern waren außerdem sicher darin, dass aus mir etwas werden würde und haben mich dementsprechend unterstützt. Das ist alles andere als selbstverständlich und war sehr hilfreich. Natürlich trägt der Name große Schatten, weil es schon Erfolge gab, aber wir können das sehr gut separieren. Mein Vater hat mir früh eingebläut, dass es darum geht der Musik zu dienen und alles andere nicht wichtig ist. Insofern kann ich Nebengeräusche sehr gut ausblenden.

Spürst du es instinktiv, wenn eine Idee von dir weiterverfolgt werden sollte und aus ihr mehr entstehen könnte?
Wenn du etwas hörst, dass dir gefällt, dann fühlst du dich gut. Das ist wie beim Essen – es schmeckt dir oder es schmeckt dir nicht. Das ist im Prinzip die einzige Qualitätskontrolle, die bei mir existiert. Manchmal ist das, was du schreibst, ein Teil einer größeren Vision oder eine Geschichte – etwa, wenn du an einem Filmsoundtrack arbeitest. Aber selbst in so einem größeren Rahmen geht es in erster Linie darum, dass es dir gefällt, sonst wirst du nicht daran weiterarbeiten. Es klingt sehr simpel, aber viel mehr ist es auch nicht. (lacht)

Ist es eigentlich ein schönes Gefühl, wenn man ein Album zu Ende gebracht hat und auf die Veröffentlichung wartet, oder überwiegt die Unsicherheit, dass man direkt in dem Moment wieder komplett bei null beginnt und ins Ungewisse schreitet?
Ich lasse diese Gedanken gar nicht zu. Alles existiert nur im temporären Moment. Jedes Album dokumentiert eine bestimmte Phase und sobald du damit durch bist, musst du mit Offenheit den nächsten Schritt setzen. Ich habe keine Angst vor dem nächsten Projekt, sondern bin vielmehr aufgeregt, was als Nächstes kommt. Ich habe meine persönlichen Ziele oder Träume, die mir ein bisschen Angst machen und mich verfolgen, aber das gehört dazu. Der große Wayne Shorter hat immer gesagt: „Wenn dir deine Träume keine Angst machen, dann träumst du nicht richtig“. Da ist schon was dran. (lacht) Diese Angst kann auch gesund und aufregend sein, sie darf nur nicht überwiegen. In der Musik gewöhnst du dich daran, dass alles unsicher und wackelig ist. Ansonsten wäre es keine Kunst.

Während Künstler aber immer nach vorne schauen, sind Fans meist anders gepolt und lieben die Nostalgie und die Momente, in denen sie Anhänger ihres Helden wurden. Ist es manchmal schwierig, damit umzugehen?
Nein, diese Verbindung zur Musik haben wir Musiker als Fans von anderen Musikern genauso. Wenn ich Musik in der High School oder im College das erste Mal gehört habe, dann bleibt sie besonders intensiv haften. Man kehrt immer dorthin zurück, weil man sich gerne in die eigene Vergangenheit zurückversetzt. Das ist ein Teil des Menschen und für mich total nachvollziehbar. Ich bin mir in meiner Beziehung zur Musik und zum Erschaffen sicher und habe keine Ängste. Ich werde immer wieder mal torkeln und fallen, aber das gehört zu einer langen Karriere dazu. Unsere Musik ist im Endeffekt mehr, als wir Musiker sind. Die Musik überlebt uns und deshalb sollten wir uns auch wohlfühlen, wenn wir Musik erschaffen. Nur so entsteht etwas, das uns überdauert. Musik sorgt dafür, dass du dich als Mensch verbesserst und entwickelst. Lass es einfach fließen.

Denkst du beim Erschaffen von Musik bewusst daran, dass sie dich überlebt und für weitere Generationen bleiben und wichtig sein wird?
Der Terminus „wichtig“ ist ambivalent zu betrachten. Wer entscheidet, ob etwas wichtig ist und was ist wichtig? In 200 Jahren interessiert es vielleicht keine Seele mehr, was ich gemacht habe. Ich versuche einfach dem Moment zu dienen und vertraue darauf, dass das, was ich ehrlich und authentisch als Kunst erschaffe, auch einen Mehrwert über mich selbst hinaus haben könnte. Niemand weiß, wie lange etwas relevant bleibt, aber der Gedanke an das Überdauern ist faszinierend. Es gibt so viele Autoren, Musiker und Philosophen, die ein Leben lang ignoriert oder für ihre Gedanken sogar getötet wurden und Hunderte Jahre später sieht man sie als genial an. Wer weiß schon, was alles auf uns und unsere Kunst zukommt?

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