„Krone“-Interview

Meret Becker: „Die Bühne gibt mir Sicherheit“

Musik
13.05.2024 09:00

Meret Becker war das Rumpelstilzchen in „Werner – Beinhart!“, die Berliner „Tatort-Kommissarin Nina Rubin und kommt aus einer Künstlerfamilie mit Hang zum Zirkus. Im musikalischen Theaterprogramm „Le Grand Ordinaire“ frönt sie dieser Leidenschaft nun im Wiener Theater Akzent. Ein Gespräch über Frankreich, Fredo und Freiheit.

(Bild: kmm)

„Krone“: Meret, der Abend am 15. Mai im Theater Akzent mit dem Programm „Le Grand Ordinaire“ verspricht, eine große Mischung aus Musik, Zirkus, Drama und Theatralik zu sein. Steckt da alles drinnen, was dich als Person ausmacht?
Meret Becker:
 Das stimmt, deshalb mache ich solcherart von Programmen. Meine Musikalben unterliegen immer einem Konzept, in diesem Fall mache ich es falsch herum und führe es erst einmal live auf. Ich habe im Kabarett und Varieté begonnen und dort liegen familiär meine Wurzeln. Alles entstand in Fragmenten und die Show ist wie das Skelett von einem Zirkus. Manchmal kommt er deutlicher heraus, dann wieder weniger. Die kompletten Bilder habe nur ich im Kopf – wo sie herkommen und wo sie hingehen. Die Zuseher kriegen eine Collage davon. Manche Stücke sind total musikalisch, andere wie eine Chanson-Performance. Manchmal gibt es auch nur Instrumentales und Bilder dazu. Es ist ein bisschen wie ein kleiner Rausch, der an den Leuten und uns selbst vorbeizieht. Das Programm dauert zwei Stunden, kommt uns aber viel kürzer vor.

Du hast also das Konzept des Programms genau im Kopf, aber willst vor allem die Imagination der Zuseher damit erwecken?
Es ist sehr wenig Platz für Improvisation, weil die Musiker und ich uns absprechen müssen. Abweichungen sind aber möglich, denn es ist kein Bob-Wilson-Stück, wo man sich ganz exakt bewegt. Jedes Theater und jede Venue sind anders. Im Gegensatz zu Theater- oder Musikproduktionen haben wir auch nie geprobt. Alles wuchs im Laufe der Jahre ganz natürlich. Es wird immer ein bisschen nachjustiert, Dinge werden geändert und manchmal passieren Pannen. Der freieste Moment ist jener, wo ich mit dem Publikum rede und dann gibt es einen Teil, der wie eine Komik-Nummer ist – da kann ich machen, was ich will.

Ist es dir wichtig, dass du ein anarchistisches Element vermittelst?
Das trifft den Punkt, um dieses Element geht es mir immer. Ich wünsche mir, dass sich irgendwas vom Stück auf die Leute überträgt oder etwas aufwühlt, was in ihnen vergraben ist. Jeder meint, er hat eine Idee vom Zirkus. Diese Vorstellung geht zurück in die früheste Kindheit und man hat immer das Bild, dass man mit dem Zirkus weglaufen möchte. Wenn die Leute in diesem Stück herumdriften und ein paar anarchische Saatkörner abbekommen, dann hoffe ich, dass sie sich einen davon in die Tasche stecken und bei sich zu Hause pflanzen. Wenn das passiert, dann habe ich schon gewonnen.

Schürst du mit dem Programm ein bisschen das Fernweh?
Das ist auch ein Thema, das im Stück vorkommt. Ich habe immer die Sehnsucht, die große, weite Welt zu sehen, aber wenn die große, weite Welt zu uns kommt, dann gehen schnell die Türen zu. Der Zirkus ist so ein Ding, das herumreist, aber in seiner Welt und seinem inneren Kreis bleibt. Er ist ein ganz eigenes Universum. Wenn du mit der Welt verhandeln willst, musst du aufmachen, sonst gibt es Krach – das sehen wir gerade fast überall.

Wie subsumiert der Titel „Le Grand Ordinaire“ dein Programm?
Das war ein großer Spaß. Ich dachte mir, wenn ich schon einen Zirkus für ein Programm kreiere, dann einen, den es so eigentlich gar nicht gibt. Es geht immer um „höher, schneller, weiter“ und man protzt sehr gerne. In dieser Welt macht man oft auf dicke Hose, doch dabei geht dann wieder so viel schief. Ich mag diese Widersprüche aber. Aus meiner Vergangenheit weiß ich, wie komisch und auch brutal der Zirkus sein kann – bei aller Sentimentalität ihm gegenüber. Zum Titel: Ich war gerade in Frankreich, eine Flasche Rotwein kam auf den Tisch und der hieß „Le Grand Ordinaire“ – also „Der große Gewöhnliche“. Auf Deutsch übersetzt hat „Ordinaire“ noch einen schmutzigen Beigeschmack und das gefällt mir sehr gut.

Du hast sehr lange in Berlin gelebt, bist mittlerweile aber seit geraumer Zeit in Frankreich wohnhaft.
Ich bin jetzt auf meine alten Tage in eine Berliner WG gezogen, um nach Kreuzberg zu kommen. Ich habe in Berlin nur ein Zimmer, in Frankreich aber ein Haus. Meine Instrumente stelle ich in Berlin aber überall in der Wohnung ab und baue mir dort meine kleinen Nester. (lacht) Es war immer mein Traum, nach Frankreich zu ziehen. Ich liebe die Sprache und mag die Menschen. Sie sind manchmal zugeknöpfter als die Deutschen, aber auf der anderen Seite sind sie auch offen wie Spanier. Völlig losgelöst und dem Genuss verfallen. Ich habe mir den Traum von einem Haus in Frankreich erfüllt, außerdem wohne ich am Meer. Ich wollte immer, dass Berlin am Meer liegt, aber man hat nicht auf mich gehört. (lacht)

In „Le Grand Ordinaire“ singst du deine Chansons auf drei Sprachen. Das Weite und Multikulturelle steckt also auch da schon tief drinnen.
Ich habe schon immer in allen möglichen Sprachen gesungen. Anfangs war es meist Deutsch, das wurde dann weniger. Früher hatte ich auch mal ein finnisches Programm und sang auf Japanisch – diese Sprache erlernte ich phonetisch. Im Zirkus spricht man alle Sprachen, und zwar gleichzeitig. Deshalb gibt es auch hier die große Vermischung aus allen Bereichen. In richtigen Zirkusfamilien reden alle mit Akzent. Man kann in Deutschland geboren sein und heißt dann im Zirkus Fredo oder Toni. Man kann nicht sagen, welcher Akzent gerade verwendet wird.

Fußt dieses Programm tief in deinen Wurzeln als Zirkuskind? Ist es sehr persönlich und nostalgisch?
Ich kenne so viele Anekdoten von meiner Mutter, die ein richtiges Zirkuskind war. Auch meine Großeltern und mein Onkel kommen von dort und ich habe sehr viele Geschichten persönlich miterlebt. Das erkennt man im Programm natürlich nicht direkt, aber für mich steckt da sehr viel drinnen. Ich habe zudem einen Sammeltick und mache deshalb Konzeptalben. Wie ein kleiner Autist sammle ich alles zusammen und verforme es dann passend. Zwei Grundthemen des Programms sind die Vergänglichkeit und die Sehnsucht. Es ist für mich ein wichtiger Antrieb, die Sehnsucht aus einem Programm herauszukitzeln. Sie ist ein Lebensantrieb. Im Programm gibt es Trauriges, was meinem Naturell entspricht, und gleichzeitig steckt darin auch sehr große Kraft.

Gibt dir ein musikalisches Programm mehr Freiheit als andere Kunstformen wie Theater oder Film, wo man schon viel stringenter Anweisungen oder Vorbauten folgen muss?
Auf jeden Fall. Es ist mein Spielplatz und nicht der jemandes anderen. Ich habe überhaupt keine Vorgaben und alles bleibt bei mir. Das muss nicht per se gut sein, aber die Musik öffnet alle Menschen und sie eint uns. Nur im Iran ist es verboten, dass wir singen. Mit Musik geht die Angst weg und die Sorgen verfliegen – alles beginnt zu fließen. In diesem Fall kreiere ich Bilder, in anderen Programmen habe ich mehr geredet und erzählt und sprang assoziativ durch die Gegend. Ich hoffe einfach, dass das alles Spaß macht und das anarchische Element durchdringt.

In deiner gesamten Familie geht es prinzipiell um das Ausbrechen, das Umherziehen und das „Nomadentum“. All die Dinge, die der Zirkus in sich vereint.
Es hat etwas mit dem niemals Ankommen zu tun. In bestimmten Momenten im Leben geht es dahingehend allen Menschen gleich. Man schwebt relativ wurzellos durch die Gegend. Was passiert denn, wenn man ankommt? Ich glaube, dann ist man tot.

Für Wurzellosigkeit bedarf es auch einer Portion Mut. Gerade im schauspielerischen Bereich sind viele Darstellerinnen froh, wenn sie eine gewisse Sicherheit haben. Du hast deine Rolle als „Tatort“-Kommissarin vor etwa zwei Jahren aufgegeben.
Das war mein einziges Engagement, das fortlaufend und sicher war. (lacht) Ich kann total nachvollziehen, dass man eine gewisse Sehnsucht zur Sicherheit hat, aber bei mir würde das nicht klappen. Gleichermaßen meine Gabe und mein Problem sind, dass ich so viele Bilder im Kopf habe. Du könntest mir irgendwas vorlegen und ich würde daraus ein Chanson oder eine Bühnenaufführung machen. Ich werde nie einen Job haben, der um 9 Uhr beginnt und um 17 Uhr aufhört, wo ich dann in eine Bar gehe oder zu Hause den Fernseher anmache und total abschalten kann. Der Kopf arbeitet immer weiter. Eine Rolle wie etwa beim „Bergdoktor“ würde sich für mich dann zu sehr zu einem 9-to-5-Job entwickeln. Das ist einfach nicht meins.

Ich habe mich schon beim „Tatort“ damit schwergetan, auch wenn das irrsinnig spannend war. Es ist ein gutes Langzeitformat, das ich probieren wollte, aber irgendwann war es genug. Ich stellte mir ähnliche Fragen wie Leute in langen Beziehungen: Lohnt es sich jetzt, mit diesem Menschen weiterzugehen, oder lasse ich es bleiben und fange wieder von vorne an? Ich bin eher jemand, der sich immer wieder neu finden möchte. Beim „Tatort“ habe ich mal länger durchgehalten. Ansonsten muss ich für Dinge brennen – auch wenn sie nicht meine eigenen Ideen sind. Ich bereite gerade ein neues Cover-Programm vor – da schießen alle Lampen sofort los.

Brauchst du in den Momenten, wo du für ein Projekt oder eine Sache brennst, auch mal Sicherheiten, oder kannst du gut ohne sie leben?
In Deutschland gibt es nicht so ein gutes Fördersystem wie in Frankreich. Ich muss also dauernd arbeiten, um mir diese Gedanken erlauben zu können. Ich wünschte mir natürlich, es wäre ruhiger und ich könnte in aller Ruhe mal etwas fertig schreiben. Dank des „Tatorts“ habe ich jetzt aber ein Haus in Frankreich und kann dort auch mal in Ruhe sitzen, ohne ständig wieder weggehen zu müssen.

Kann man sich als ein so rastloser Mensch wie du überhaupt einmal hinsetzen und das Leben auf sich einwirken lassen?
Ich werde darin immer besser. (lacht) Es hat ein bisschen gedauert, sich zu disziplinieren. Bei einem Haus ist man ständig dabei irgendwas zu tun, aber ich habe mittlerweile einen Weg gefunden, mich auch mal hinzusetzen, um etwas zu schreiben oder Musik zu machen, ohne dass ich schon wieder aufspringe und was anderes mache. Das Haus soll ein kreativer Ort sein, aber nicht nur für mich, sondern auch für andere Leute, die gerne mit mir arbeiten.

Gibt es bei all den verschiedenen Kunst- und Kulturformen, in denen du dich bewegst, eine, in der du dich besonders authentisch zu Hause fühlst?
Ich bin immer unruhig, bis ich etwas fertig habe. Es ist furchtbar, wenn man permanent Bilder im Kopf hat. Ich habe ADHS, bin eine Chaotin und überhaupt nicht gut darin, Dinge koordiniert zu erledigen. Ich bin mit mir sehr ungeduldig und muss etwa für das kommende Programm französische Texte lernen, die meine Sprachkenntnis überfordern. Das ist eine große Herausforderung und sie bedarf viel Fleiß. Wenn ich das aber mal geschafft und gemacht habe, dann bin ich darin zu Hause.

Ich bin einfach kein guter „Autoritäts-Dingsbums“, aber auf der Bühne habe ich immer das Gefühl, dass mich dort niemand wegholen kann. Selbst wenn jemand anders Regie führt, stehe ich oben und mache den Monolog so, wie ich es für richtig halte. Natürlich halte ich mich an das grobe Skript, aber niemand zerrt mich runter, wenn ich es anders mache. Für mich ist die Bühne ein „Safe Space“, ein Ort der absoluten Sicherheit. Das ist eigentlich völlig absurd, aber wahr. Und mit dem Publikum zusammen entsteht eine ganz besondere Energiefläche.

Live im Theater Akzent
Mit ihrer Band The Tiny Teeth kommt Meret Becker am 15. Mai für einen Auftritt ins Wiener Theater Akzent. Performt wird eine Collage aus musikalischen Bildern und surrealen Liedern namens „Le Grand Ordinaire“. Unter www.theaterakzent.at gibt es noch Karten für dieses ganz besondere Event zwischen Chanson, Zirkus und Dramatik. 

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