Am Tag nach der Rücktrittsankündigung von Dominic Thiem herrscht in der Tennis-Szene Verständnis, aber auch großes Bedauern. Von der „Unvollendeten“ war da zu lesen, von einem „zu früh“ oder „unfinished business“. Doch auch der Respekt vor den Leistungen des Tennis-Stars und der Ästhetik seines Spiels war in vielen Fan- und Fach-Kommentaren in den sozialen Netzwerken herauszulesen. Ex-Coach Günter Bresnik hält gar ein späteres Comeback Thiems für nicht ausgeschlossen.
Nach Thiems einzigem Grand-Slam-Sieg 2020 in Flushing Meadows hatte der nach fünf Sätzen unterlegene Alexander Zverev zu seinem guten Tour-Freund unter Tränen gemeint, „der erste von vielen Grand-Slam-Titeln“. Eine Prophezeiung, die sich nicht bewahrheiten sollte.
„Finde ich schrecklich“
Und dieser Nachgeschmack bleibt hinter Thiems Karriere. „Er hat eine super Karriere gehabt, die besser hätte sein können oder sollen“, meinte jener Mann, der Thiem einst zum Star geformt hatte. Günter Bresnik, ohnehin kein Freund der sozialen Netzwerke, hatte auch in diese Richtung etwas zu sagen. „Wie Dominic in den letzten ein, zwei Jahren in diesen asozialen Medien besudelt worden ist, finde ich schrecklich.“
Darum hat ihm auch nicht gefallen, dass der Abschied Thiems am Freitag gerade über diese Netzwerke erfolgt ist. „Ich bin entsetzt wie das gestern mitgeteilt worden ist.“ Und doch überrascht Bresnik damit, dass er ein Comeback des erst 30-jährigen Thiem in späterer Folge nicht für unmöglich halten würde.
In einem Jahr zurück auf der Tour?
„Dominic ist ein so außergewöhnlich guter Tennisspieler, dass ich es nicht für ganz ausgeschlossen halte, dass man ihn in einem halben Jahr oder Jahr noch einmal bei einem Comeback sehen könnte“, sagte der 63-jährige Coach und begründet dies auch. „Er ist für mich körperlich und auf jeden Fall technisch-spielerisch so unverbraucht. Er hat sicher das Zeug, nach einem mehrmonatigen Training wieder das Niveau zu spielen, dass er erste 50, erste 30 stehen kann.“
Ein weiterer Ex-Manager Thiems, Herwig Straka, äußerte sich am Samstag ebenfalls etwas zwiegespalten über das bevorstehende Aus. „Ich verstehe die Entscheidung bis zu einem gewissen Grad, weil er natürlich offensichtlich mehrere Jahre schon versucht hat, wieder dorthin zurückzukommen, wo er war. Was ich gehört habe, hat er auch sehr gut trainiert, aber wenn sich die Erfolge nicht einstellen, ist es frustrierend, das verstehe ich. Gleichzeitig finde ich es halt traurig und bitter für ihn vor allem und auch für das österreichische Tennis.“
Der Wiener Turnierboss, der in der ATP ein wichtiges Wort mitzureden hat, verglich Thiem nach dessen Verletzung 2021 mit einem bei einem Sprung gestürzten Skifahrer. „Es gibt welche, die einen Tag später drüberfahren und alles ist vorbei und es gibt welche, die ein Leben lang den Sprung nicht mehr drüberfahren. Ich glaub, das ihn das (die Verletzung, Anm.) einfach blockiert hat.“
„Versucht, mit ihm zu sprechen“
Beurteilungen von außen könne man schon machen, aber es fehle die Berechtigung dazu. „Ich glaube, das ist seine eigene Entscheidung. Für ihn selbst tut es mir am meisten leid. Es gab immer wieder Versuche, ihm zu helfen. Ich habe auch versucht, ein paar Mal mit ihm zu sprechen“, erzählte Straka, der im Zusammenhang mit dem mentalen Loch nach dem US-Open-Titel von einer „Erfolgsdepression“ sprach. „Jeder Superstar fällt nach einem erfolgreichen Konzert in ein Loch. Dann kam die Verletzung, da ist er nicht mehr ganz rausgekommen.“
Die große Comeback-Story à la Niki Lauda, Thomas Muster oder Hermann Maier vermochte Thiem nicht mehr zu schreiben. Und die Argumentationen von der „unvollendeten“ Symphonie sind schon auch für Straka nachvollziehbar. „Ich weigere mich, es ganz zu glauben, aber ich verstehe es jetzt. Aber wenn man so frühzeitig schon sagt, wann man aufhören möchte, da können noch viele Dinge passieren.“
Straka will damit keine Hoffnungen schüren, aber: „Ich glaube es dann, wenn es so weit ist. Ich verstehe, dass er es für sich abgeschlossen hat, das ist auch wichtig.“ Straka verwies aber etwa auf die US-Spielerin Danielle Collins, die nach ihrer Rücktrittsankündigung 2024 zwei Turniere gewonnen hat. „So etwas löst oft noch etwas aus. Ich habe schon viel erlebt. Wer weiß, was kommt.“
„Kann man nicht vergleichen“
Vergleiche mit Thomas Muster hält Straka aber nicht für angebracht. „Das kann man nicht vergleichen“, meinte Straka, der als Manager von Muster immer noch viel Kontakt mit seinem engeren Landsmann hat. „Wenn die Beläge damals so ähnlich gewesen wären wie heute, glaube ich, dass Thomas Muster viel mehr gewonnen hätte.“
Ich glaube es dann, wenn es so weit ist. Ich verstehe, dass er es für sich abgeschlossen hat, das ist auch wichtig.
Sebastian Ofner
Bild: AFP or licensors
Straka begnügt sich damit, dass Muster und Thiem „in ihrer Zeit herausragend waren“. Muster selbst übrigens hat er auch für die Medien um ein Statement zum Rücktritt angefragt, doch dieser möchte sich vorerst nicht äußern.
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