Noch bevor die Bürger am Wort waren, werden in Brüssel schon (Skandal-)Pläne für die Zeit danach geschmiedet. Man will offenbar das seit Langem blockierte und umstrittene Mercosur-Handelsabkommen rasch abschließen. Das sagt ein Brüsseler Verhandlungsführer. Aus Österreich ist mit Widerstand zu rechnen.
Rupert Schlegelmilch, Brüssels oberster Verhandlungsführer, hat in der Vorwoche die vier Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay bereist, um die technischen Details des Abkommens zu klären. Sollte es unterzeichnet werden, wäre es das bisher größte Abkommen der EU, das zehn Prozent der Weltbevölkerung und 20 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts umfassen würde.
„Das Abkommen ist am Leben“
In einem Interview mit einer brasilianischen Zeitung kündigt Schlegelmilch an, dass das Abkommen bereits im Juni besiegelt werden soll. Das schreibt das Onlineportal euractiv.de. Die Wahl zum Europäischen Parlament findet vom 6. bis 9. Juni statt. „Das Abkommen ist am Leben. Tatsache ist, dass die Kommission noch immer verhandelt“, so Schlegelmilch. „Wir haben ein Mandat von allen Mitgliedsstaaten, einschließlich Frankreich, dies zu tun“, betonte der Brüssel-Vertreter.
Das Abkommen wurde 2019 abgeschlossen. Die Ratifizierung wurde jedoch aufgrund von Umweltbedenken und Befürchtungen hinsichtlich der Auswirkungen auf den EU-Agrarsektor verzögert. Letztgenannte wurden vor allem von Frankreich und einigen anderen EU-Staaten vorgebracht. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat das Handelsabkommen im Jänner für tot erklärt.
Brüssel will vom Plan nicht abgehen
In Brüssel schert man sich offenbar wenig darum, was die Bevölkerung will, und verhandelt munter weiter. „Ich will ganz ehrlich sein: Im Moment, mit den Wahlen und den Landwirten, die vielerorts in Europa auf die Straße gehen, ist es einfach kein guter Zeitpunkt. Wir müssen also das Ende der Wahlen abwarten“, erklärte Schlegelmilch.
Bauern fürchten um ihre Existenz
Widerstand gegen Mercosur gibt es nicht nur in Frankreich. Österreichs Bauern sehen das Abkommen als existenzgefährdend an und wollen es um jeden Preis verhindern. „Wollen wir unsere Landwirtschaft wirklich für ein veraltetes Handelsabkommen opfern?“, fragt Bauernbund-Präsident Georg Strasser in der „Krone“ in Richtung EU-Kommission.
Der EU-Mercosur-Pakt sieht unter anderem eine Erhöhung der Einfuhrquote von billigem Rindfleisch von derzeit 200.000 Tonnen auf 300.000 Tonnen pro Jahr vor. Die Importquote für Zucker soll um 10.000 Tonnen erhöht werden, während die Importquote für Bio-Ethanol – das ebenfalls aus Zuckerrohr gewonnen wird – gar um 650.000 Tonnen steigen soll.
Der Pakt würde so die Brandrodungen im Amazonasgebiet zusätzlich anfachen, während Zuckerrübenbauern und Rinderzüchter in Österreich unter enormen ökonomischen Druck geraten würden, warnen Klimaschützer. Schon jetzt importiert die EU Agrargüter, die jährlich direkt für die Zerstörung von 120.000 Hektar Wald alleine in den vier Mercosur-Ländern verantwortlich sind. Das ist ein Fußballfeld Waldfläche alle drei Minuten.
Bereits 2019 hat sich der österreichische Nationalrat verbindlich auf ein Nein zu EU-Mercosur festgelegt. Diese Entscheidung wird nach wie vor von der Bevölkerung mitgetragen: Laut einer 2023 veröffentlichten Umfrage von der Handelskette SPAR und Greenpeace lehnt eine große Mehrheit von 87 Prozent der Österreicher das Handelsabkommen ab.
Abkommen durch die Hintertür
„Die Kommission plant scheinbar weiter ein Abkommen durch die Hintertür. Wir Bauern lassen uns aber nicht für dumm verkaufen. Wir haben es geschafft, dass sich die aktuelle Bundesregierung dazu verpflichtet hat, das Mercosur-Handelsabkommen in der jetzigen Form abzulehnen“, gibt sich Strasser kämpferisch.
Umweltschützer warnen vor Katastrophe
Umweltschutzorganisationen lehnen den Pakt ebenfalls strikt ab. „Der Handelspakt EU-Mercosur bedeutet vor allem eines: Konzern-Profite auf Kosten der Natur, der ländlichen Bevölkerung in Südamerika und der Bauern in Österreich“, warnt Greenpeace-Europa-Chef Alexander Egit im Gespräch mit der „Krone“. „Jeder Vorstoß, den schädlichen Pakt nun doch noch abzuschließen, ist strikt abzulehnen. Die österreichische Bundesregierung um Kanzler Nehammer und Vizekanzler Kogler muss diesen Plan in Brüssel vehement bekämpfen”, fordert er.
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