Ob bewusst oder unbewusst – so gut wie jeder Stromgitarrist hat seine Ursprünge im Blues. Das weiß auch Hard-Rock-Legende Slash, der in seinem übervollen Terminkalender endlich Zeit fand, um sich den Traum eines Blues-Coveralbums zu erfüllen. Selbstredlich holte er sich für „Orgy Of The Damned“ eine Heerschar an Superstars ins Boot.
Ein elementarer Vorteil an einem nüchterneren Lebensstil ist, dass man mit klaren Gedanken wesentlich mehr Raum für überbordende Kreativität entwickelt. Seit Guns N‘ Roses-Gitarrengott Slash den lasterhaften Alltag nach mehr als nur einer Warnung (Stichwort: Herzschrittmacher) endgültig auf biologisch-nachhaltig umgestellt hat, fließen aus ihm zwar keine memorablen Melodien wie zu „Sweet Child O‘ Mine“-Zeiten mehr heraus, dafür entwickelte er sich zu einem Vielarbeiter, der sich in verschiedenen Bereichen kundig austobt. Mit seinen Conspirators und Sänger Myles Kennedy ist er mittlerweile vier Studioalben und unzählige ausverkaufte Arenen schwer, die Reunion mit Axl Rose brachte ihn wieder zurück ins Stadion und auf das gemeinsame, mehrmals angeteaserte Studioalbum warten wir alle auch noch immer. Letztes Jahr, so es mit der großen Maschinerie nicht gerade wieder was zu tun gab, widmete sich Slash seiner alten Leidenschaft, dem Blues.
Wegweisende Erkenntnis
Früher oder später kommen alle gitarrenbasierten Künstler auf ihre Ursprünge zurück und der ist immer im Blues zu verorten. Frag nach bei den Rolling Stones, die Allergrößten unter den noch Lebenden, die sich vor knapp acht Jahren mit „Blue & Lonesome“ noch einmal auf ihre Wurzeln besannen und den Urvätern der heutigen Stromgitarre huldigten. Saul Hudson, wie sich Slash weniger glamourös im Reisepass ausweisen lässt, wuchs als Kind in Großbritannien auf, kam über seine Oma aber früh mit dem Werk von B.B. King in Berührung. Auch wenn seine eigenen Inspirationsquellen später eher in einer Mischung aus The Who, Joni Mitchell und Neil Young zu verorten waren, dämmerte dem Kultgitarristen mit den Jahren, dass sie alle ihre Ursprünge in den zeitlosen Klängen von King herausfilterten und schlussendlich zu ihrem eigenen Stil transformierten.
Die Beschäftigung mit dem Blues rückte für Slash nach dem Raketenstart mit Guns N‘ Roses vorschnell in den Hintergrund. Statt sich mit dem Œuvre der großen Alten zu befassen, musste er Stadien füllen und Whisky-Flaschen leeren. Erst Mitte der 90er-Jahre, als er und die Band den großen Exzessen Tribut zollen mussten, konzentrierte er sich vermehrt auf die Wurzeln, rief die Spaßcombo Slash’s Blues Ball ins Leben und spielte damit nicht nur in den USA, sondern 1996 auch am ungarischen Sziget Festival. „Wir waren eigentlich eine betrunkene Coverband“, erinnert er sich zurück, „wir haben gejammt und es hat Spaß gemacht.“ Der Kontakt mit den Burschen von damals blieb über die letzten knapp drei Dekaden bestehen und als sich zwischen zwei Guns N‘ Roses-Tourneen ein Zeitfenster auftat, hat Slash im letzten Jahr alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sich den langersehnten Wunsch eines Blues-Albums zu erfüllen.
Rückkehr in die Vergangenheit
Dabei erinnerte er sich nicht nur an seine Lieblingssongs zurück, sondern auch an sein gleichnamiges Solodebüt von 2010. Damals hatte er Kennedy noch nicht als etatmäßigen Sänger engagiert, sondern blätterte in seinem dicken Analogadressbuch, um eine ganze Heerschar an großen Namen für die einzelnen Gesangsparts zu engagieren. Ähnlich ging er nun auch für das hier vorliegende, passend „Orgy Of The Damned“ betitelte Blues-Album vor, dazu hat er sich als instrumentale Stütze tatsächlich noch zwei Weggefährten aus der humorigen Blues-Ball-Zeit zurückgeholt: Bassist Johnny Griparic und Keyboarder Teddy Andreadis. Aufgefettet mit Drummer Michael Jerome und Sänger/Gitarrist Tash Neal wurde in North Hollywood, Los Angeles, Hand an die Songs gelegt. So mancher Song war schon in den 90ern Teil der Blues Ball-Setlist. Etwa Steppenwolfs „The Pusher“, Charlie Segars „Key To The Highway“ oder „Born Under A Bad Sign“ von Albert King. Andere wiederum hat sich Slash exklusiv für dieses neue Album heraus gegraben.
„Wir haben nicht recherchiert oder versucht, die passenden Stücke zu finden – es sind einfach Songs, die ich mag. Bei einigen Stücken haben wir das Arrangement komplett geändert, weil wir es einfach in der Form gespielt hören wollten. Das Schöne am Improvisieren und nicht zu viel Nachdenken ist, dass dabei etwas Interessantes und Unerwartetes herauskommen kann.“ Besonders markant ins Gewicht fällt die Ursprünglichkeit der musikalischen Umsetzung. Das instrumentale Gespann hat sich bewusst darauf konzentriert, Ecken und Kanten hervorzuheben und das originale Blues-Feeling so gut wie möglich in die Gegenwart zu retten. Die Gästeliste lässt bei Slashs Kontakten natürlich nichts zu wünschen übrig. ZZ Tops Billy Gibbons gibt dem „Hoochie Coochie Man“ eine schroffe Rauheit, Iggy Pop erfüllte sich auf „Awful Dream“ den langgehegten Traum, endlich einen Blues-Song zu singen und Demi Lovato geht in „Papa Was A Rolling Stone“ in stimmliche Sphären, die man so von ihr noch nicht vernommen hat.
Üppige Personaldecke
Die meisten Songs haben sich den jeweiligen Interpreten quasi von selbst ausgesucht, bei anderen Beispielen wiederum hat sich alles flüssig und natürlich zusammengefügt. Manchmal gibt es auch Konstellationen, für die sich das Gros der Mitbewerber freiwillig ein Bein abschneiden würde. So hört man auf „Killing Floor“ nicht etwa nur AC/DC-Sänger Brian Johnson in seiner Profession, Aerosmith-Frontmann Steven Tyler kam extra für das Mundharmonika-Spiel im Studio vorbei. „Orgy Of The Damned“ lässt sich ausreichend Zeit und walzt die zwölf Kompositionen gemütlich auf 70 Minuten Spielzeit aus. Mit „Metal Chestnut“ hat Slash ans Ende dieser vertonten Ehrerbietung auch noch einen selbstgeschriebenen Song gereiht, der – wie man es üblicherweise von ihm gewohnt ist – beim Härtegrad noch ein bisschen zulegt. Ob sich beim dichten Terminkalender auch eine Blues-Tour ausgeht, bleibt fraglich, mit diesem Herzensprojekt erfreut Slash aber definitiv nicht nur seine eigenen Fans, sondern auch jene, die dem Blues an sich verfallen sind.
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