Regisseur Martin Gruber feiert am Donnerstag mit seinem aktionstheater ensemble in Bregenz Premiere des neuen Stücks „All about me. Kein Leben nach mir“. Er stellt die Frage nach unserem Umgang mit „dem Anderen“ und meint, dass derzeit nichts weniger als die Demokratie am Spiel stehen würde.
Kronenzeitung: Was ist der Kern des neuen Stücks „ALL ABOUT ME. Kein Leben nach mir“?
Martin Gruber: Es geht im Grunde um das Aushalten von Konflikten. Konflikte, die im Miteinander ganz automatisch auftauchen. Durch welche Konflikte muss ich wirklich hindurchgehen und wie halte ich das aus? Der performative Charakter unserer Arbeit erlaubt uns, die Konflikte als Ensemble durchzuleben – stellvertretend für das Publikum. Dann gibt es natürlich noch jene Konflikte, die wir nicht lösen können. Hier bleibt die Frage, wie man dann den anderen in seinem Sein stehenlassen kann?
Und welche Konflikte werden da ver- oder behandelt?
Der Titel des Stücks weist schon in die Richtung jener Konflikte, die wir wirklich lösen sollten. Also: Wo müssen wir wirklich durch? Auf politischer Ebene wird ja einiges an Konflikten geboten, da werden Skandale generiert, das Aufplustern wird geübt, und die Kunst, sich selbst in ein besseres Licht zu rücken. Die Motivation dahinter ist nicht selten Stimmengewinn. Sind das jene Konflikte, die auf eine Lösung warten?
Konflikte im Zusammenleben gab es immer schon. Was macht das Konfliktpotenzial heute so besonders?
Derzeit wird wieder die Frage danach gestellt, auf welcher Seite man sich befindet. „Bist Du für Israel oder für Palästina?“ Wenn man diese Frage stellt, weiß man schon, dass es die falsche war. Was heißt es denn, auf der Seite eines ganzen Volkes zu stehen? Haben wir wirklich nichts gelernt? Das populistische Hochschrauben von Aufregung erzeugt einen Sog, in den sich dann wirklich jede und jeder involvieren zu müssen glaubt. Dabei verstellt diese Hysterie die echten Tragödien und die Bedürfnisse des Einzelnen – und zwar auf beiden Seiten. Das Kreieren von Gegensätzen ist momentan ein weit beliebteres politisches Instrument als früher. Statt der Frage nach dem Verbindendem wird jene nach den Unterschieden gestellt.
Etwas, das vor Jahrzehnten schon zur Katastrophe geführt hat in Österreich und Deutschland.
Dass die Kacke am Dampfen ist, sieht man schon allein daran, dass sowohl das deutsche, das italienische als auch das österreichische Staatsoberhaupt einen Aufruf zur Verteidigung unserer Demokratie veröffentlicht haben. Es geht tatsächlich um ein Miteinander. Schwierig wird es, wenn manche politischen Fraktionen explizit vom Gegeneinander leben. Hinzu kommt, dass das Trennende viel einfacher zu formulieren ist. Natürlich darf man die Unfähigkeit des Miteinanders auch nicht jedem unterstellen, das wäre dumm. Aber auf mancher Ebene nimmt die Lust am Gegeneinander immer stärker zu.
Wie hat sich die Probenarbeit beim Thema Konflikte gestaltet? Wohl nicht die einfachste Vorgabe für das Ensemble?
Mit einem Blick auf 35 Jahre aktionstheater ensemble kann ich schon mit ein wenig Stolz sagen, dass wir auch eine solche Probenarbeit aushalten und dass ein Benefit dabei herauskommt. Natürlich ist Person A anders als Person B, das ist aber noch lange kein Grund, sich den Kopf abzureißen. Manchmal reicht es auch, einfach etwas stehenzulassen. Interessant ist auch: Wird das Trennende transparent gemacht, steigt die Sehnsucht nach dem Verbindendem. Das zeigte sich auch im Ensemble deutlich.
16., 19., 21., 23., 24., 25. Mai, 19.30 Uhr, Theater am Kornmarkt in Bregenz
8., 9., 11., 12., 13., 14. und 15. Juni, 19.30 Uhr, Theater am Werk, Kabelwerk, Wien
Die Konfliktgenerierung im hysterischen Nonstop, die Tendenz, mehr Feinde als Freunde zu sehen: Was steht dann am Schluss dieser Entwicklung? Was können wir verlieren?
Momentan ist nichts weniger als die Demokratie in Gefahr. In einer Demokratie geht es eben darum, Konflikte auszuhalten, das ist das Wesen der Demokratie. Dort haben die Meinungen und Bedürfnisse der unterschiedlichsten Menschen Platz. Faschistische Strömungen befördern das Gegenteil: vermeintlich schnelle Lösungen, ohne den Mut zu haben, sich die Dinge genauer anzusehen. Die Chance des Theaters ist dabei auch, eine gewisse Komplexität darzustellen, die vielleicht gar nicht in jedem einzelnen Teil greifbar wird.
Der Stück-Titel stellt auch die Sinnfrage, was bleibt denn nach uns? Muss was bleiben?
Die Erkenntnis aus der Arbeit rund um die Visionen des einzelnen, der unterschiedlichen Schicksale ist: Es nicht so einfach, diese Frage zu beantworten. Ich denke, ein starkes Element ist jedenfalls der Moment. Gelingt es uns, im Moment eine gewisse Wachsamkeit zu gewinnen, kommen wir am ehesten an eine Form von Sinn heran – wenn es dabei nicht nur um mich selbst geht.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.