Wut und Gefühle gehen Hand in Hand – diese einfache Rechnung gießen die Wiener Modecenter derzeit so gut wie keine zweite Band in krachige Post-Punk-Songs. Frontmann David Bauer und Drummer Hannes Gruber sprachen mit uns über das neue Album „Altes Glück“, über die Zahnlosigkeit britischer Post-Punk-Legenden und warum sie reifer geworden, aber authentisch geblieben sind.
Wut war schon immer ein guter Katalysator für Musik. Das wissen die Briten besser als die meisten anderen. Die neue Generation an Post-Punk-Bands von Idles über Fontaines D.C. bis hin zu den Sprints haben alle so ihre privaten Probleme, Ängste und Sorgen, die so ungefiltert aus den Boxen dröhnen, dass ihnen Interessierte in Scharen zulaufen, weil sie von algorithmisierten Schema-F-Hits und Plastikproduktionen die Schnauze voll haben. Auf ihrem neuen Album „Tangk“ haben die Idles dafür die Liebe in den Mittelpunkt gerückt und sind von jahrelanger Aggressivität abgekehrt, um zu einer Art „Alternative-Beatles“ zu mutieren. David Bauer ist darüber nicht sonderlich glücklich. „Sie singen über Liebe, aber das heißt eigentlich nichts. Es ist sogar ziemlich feig, weil wichtige Themen dahinter versteckt werden. Bevor ich so etwas singe, dann singe ich lieber gar nicht.“ David Bauer ist Frontmann von Modecenter, Wiens derzeit kompromisslosester Post-Punk-Band.
Zeitintensiver Spaß
Mit seiner Ansage kratzt er nicht an seinen Säulenheiligen, die Hauptinspirationsquellen des Quartetts liegen weiter in der Vergangenheit verordnet. Die dreckige Raubeinigkeit von „Wild Dog“ Iggy Pop und den Stooges kann man ebenso als grobe Vorlage heranziehen, wie Nick Caves berstendes Projekt Grinderman. Dazu rinnt auch allerlei Metal und Hardcore in den Venen der Musiker. Bauer und Drummer Hannes Gruber sind nach einem durchgedrehten Besetzungskarussell als Originalmitglieder übriggeblieben. Die beiden agieren seit einigen Jahren auch als Eckpfeiler der atmosphärisch düsteren Sludge-Metalband Loather, die trotz Albums 2023 derzeit aber auf Eis liegt. Grund dafür: Modecenter. Obwohl man es nie so geplant hatte, ist im neuen Projekt einfach zu viel los. „Unser erster Live-Gig war 2019 zu Halloween in einem Skate-Park in St. Marx“, erinnert sich Gruber lachend zurück, „vielleicht, weil wir so locker an die Sache herangingen, entwickelte sich ein ganz anderer Drive. Wir haben mit Modecenter auch mehr Live-Angebote als früher mit Loather.“
Aus einer Jam-Session heraus entstand 2019 ein erstes Tape. Dann kam die Pandemie, aber auch erste Liveshows und die stille Post im Wiener Underground, dass da ein paar junge Wilde den Putz von den Gürtellokalwänden und Punk-Clubs kratzen, weil ihnen alles scheißegal zu sein scheint. Diese Art von offen zur Schau gestellten Nihilismus goss man 2021 in ein famoses Debütalbum, 2022 in das Minialbum „Peace“ und nun in das Zweitwerk „Altes Glück“. Dieses wurde mit neuer zweiter Gitarristin und neuem Bassisten und erstmals professioneller aufgenommen. „Die Studiosituation hat es nicht mehr ermöglicht, dass wir das Album live einspielten. Es wurde also ein bisschen professioneller, aber das Gute ist, dass man die Veränderung nicht hört. Wir haben die alte Zugangsweise schon vermisst.“ Mit regelmäßigen Proben ist es auch nicht mehr so leicht, seit Bandneuling Arthur Darnhofer-Demàr an Bord ist und regelmäßig aus Oberösterreich in die Hauptstadt pendelt.
Ausbruch aus Strukturen
Aber zurück zur Wut – während man sie in Teilen Großbritanniens eben schon vermisst, ist sie in Wien noch immer ungefiltert vorhanden. Bauer präzisiert seine Texte und das Grundkorsett: „Es geht um die Wut auf die Welt an sich, eine systemische Unzufriedenheit ist latent gegeben. Außerdem singe ich über Themen wie fragile Männlichkeit, gewisse Vorstellungen von außen und die Ansprüche an einen selbst.“ Modecenter machen Krach mit Hirn. Schon die Nummer „I Am Straight“ zeigte schonungslos auf, dass Heteronormativität keine Einzellösung in der Themenfrage ist. Sich aus bestehenden und verkrusteten Strukturen zu befreien, Emotionen zu zeigen und daraus zu reifen, das zieht sich auch durch neue Songs wie „Kalter Rauch“, „Dreck“ oder „Tremor“. „Auf Außenstehende mag unser Sound etwas zu negativ wirken“, so Bauer, „aber es geht ja darum hinauszulassen, was einen beschäftigt. Wenn ich kreativ bin, kommt selten Positives aus mir raus.“
Modecenter wollen keine Botschaften verbreiten oder andere von ihren Idealen überzeugen. Sie wollen einfach tun, was sie für sich zu tun haben. „Am Coolsten ist es, wenn Texte etwas in jemandem auslösen. Wenn sie ein bisschen unangenehm sind und im Hals steckenbleiben, aber nie bewusst provozieren wollten. Schlagwörter sind ja schön und gut, aber man muss sie auch mit Leben füllen können.“ Der Albumtitel spricht metaphorisch ein bisschen auf das ausgelutschte Gedankenspiel „früher war alles besser“ an, dem sich niemand, auch nicht die Modecenter-Musiker, entziehen können. „Man hat im Leben oft Angst vor der Veränderung und sehnt sich nach einem Zustand zurück, der diese Veränderung noch nicht herbeigeführt hat, obwohl sie vielleicht notwendig war.“ Diese Zustandsbeschreibungen zwischen fragiler Männlichkeit und Kritik am Neoliberalismus dauern nur acht Songs und keine 30 Minuten lang. „Meine Lieblingsalben wie ,Raw Power‘ von den Stooges oder ,Reign In Blood‘ von Slayer waren auch nicht länger und es hat nichts gefehlt.“
Bass statt Grätsche
Modecenter sorgen sich um das Konzept Europa, sie haben ein Problem mit der Wiener Kokain-Schickeria und hinterfragen, was es für das Umfeld eigentlich bedeutet, wenn man mit Leib und Seele Musiker ist und seinen kreativen Trieben folgen muss. Manchmal, wie etwa im unwiderstehlichen Track „Endurance Eurodance“, vermischt man fast all diese Themen in einem Song. Wichtig ist aber in erster Linie, dass es ballert. Als elementarste Prämisse gilt ein alles durchdringender, schwerer Basssound. Dafür lässt Bauer seinen Gesang auch gerne in den Hintergrund mischen und auch die Gitarren brauchen nicht die breite Grätsche, die im Rock-Kosmos ansonsten Usus ist. „Ansonsten geht es vor allem um das gemeinsame Spielen und Entwickeln. Die neuen Mitglieder haben den Prozess und die Band natürlich verändert. Dafür, dass ,Altes Glück‘ jetzt als Übergangsalbum dasteht, sind wir sehr glücklich damit.“ Manchmal braucht die Wut auch Momente der Ausgeglichenheit.
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