Mit der Vergabe der Goldenen Ehrenpalme an die US-Schauspielerin Meryl Streep sind am Dienstagabend die 77. Filmfestspiele von Cannes eröffnet worden.
„Vor 35 Jahren, als ich zum ersten Mal hier war, war ich bereits Mutter von drei Kindern“, sagte Streep auf der Bühne. „Ich war kurz davor, 40 zu werden, und dachte, dass meine Karriere vorbei sei. Das war keine unrealistische Erwartung für Schauspielerinnen zu dieser Zeit.“
Die 74-Jährige fuhr fort: „Der einzige Grund, warum ich heute hier bin und dass es weiterging, liegt an den sehr begabten Künstlern, mit denen ich zusammengearbeitet habe (...). Und an Ihnen, jedem einzelnen von Ihnen im Publikum, denn ich bin so dankbar, dass Sie mein Gesicht noch nicht satthaben.“
Emotionale Rede von Binoche
Eine emotionale Rede über Streep hielt Schauspielerin Juliette Binoche auf der Bühne. Unter Tränen und mit stockenden Worten sagte sie: „Du veränderst die Art und Weise, wie wir Frauen in der Welt des Kinos betrachten und hilfst uns auch, uns selbst anders zu betrachten.“
Durch die Eröffnungszeremonie führte die Schauspielerin Camille Cottin. Neben Streep begrüßte sie auch die diesjährige Jury auf der Bühne – diese wird von der Regisseurin Greta Gerwig angeführt. Ein Thema vor dem Start des Festivals war eine zweite MeToo-Welle, die die französische Filmbranche aktuell beschäftigt. Gerwig zeigte sich solidarisch. „Ich denke, dass es nur gut ist, wenn Menschen in der Filmgemeinschaft ihre Geschichten erzählen und versuchen, die Dinge zum Besseren zu wenden“, sagte die 40-Jährige in Cannes.
Klum in Rot am roten Teppich
Die französische Musikerin Zaho de Sagazan sang für die sichtlich gerührte „Barbie“-Regisseurin ein Cover des David-Bowie-Songs „Modern Love“ auf der Bühne – eine Hommage an den Film „Frances Ha“, in dem Gerwig mitspielt und für den sie auch das Drehbuch mit verfasste. Darin kommt das Lied an prominenter Stelle vor.
Über den roten Teppich waren zuvor neben Filmstars wie Jane Fonda, Juliette Binoche oder Matthias Schweighöfer auch Model Heidi Klum gegangen – und ein besonderer tierischer Gast: Messi, der Hund aus „Anatomie eines Falls“. Das Drama von Justine Triet gewann vergangenes Jahr die Goldene Palme. Der Border Collie spielt darin eine wichtige Rolle.
Im Anschluss an die Gala wurde der Eröffnungsfilm „Le deuxième acte“ von Quentin Dupieux gezeigt. Der 50-Jährige ist unter dem Pseudonym Mr. Oizo auch als Musiker bekannt. Seine skurrilen Filme zeichnen sich oft durch absurden Humor aus. „Le deuxième acte“ ist mit den französischen Schauspiel-Stars Léa Seydoux, Vincent Lindon und Louis Garrel besetzt.
Künstliche Intelligenz als Thema
Der Film ist eine Art Meta-Erzählung über den Zustand der Kunst und des Kinofilms in aktuellen Zeiten. Zunächst scheint es um eine Liebesgeschichte zu gehen. Florence (Seydoux) möchte David (Garrell), dem Mann, in den sie verliebt ist, ihrem Vater Guillaume (Lindon) vorstellen. Doch David fühlt sich nicht zu Florence hingezogen. Er versucht einen Freund zu überreden, mit ihr anzubandeln. Doch die Figuren treten schnell aus ihren Rollen heraus und diskutieren über das Filmprojekt.
Regisseur des Films ist kein Mensch, sondern eine Künstliche Intelligenz, die ihre Befehle abgehackt über einen Laptop gibt. „Le deuxième acte“ spielt auf humorvolle, wenn auch nicht gerade subtile Weise mit aktuellen Debatten der Kunstwelt. Ein passender Start für das Filmfestival Cannes, auf dem diese Debatten wohl an der ein oder anderen Stelle noch eine Rolle spielen werden.
Die Eröffnung der Filmfestspiele wurde von einer Streik-Aufforderung überschattet. Ein Kollektiv hatte vergangene Woche an „alle Mitarbeiter der Filmfestspiele von Cannes und paralleler Sektionen“ appelliert, die Vorführungen zu stören. Die Beteiligten der Initiative, darunter etwa Filmvorführerinnen oder Kartenverkäufer, wollen damit auf aus ihrer Sicht prekäre Arbeitsbedingungen aufmerksam machen.
Kino als Mittel der Veränderung
Auch auf den Gaza-Krieg wurden die neun Mitglieder der Wettbewerbs-Jury am Dienstag angesprochen. Der italienische Schauspieler Pierfrancesco Favino erinnerte an die Macht des Kinos, um dem Grauen etwas Positives entgegenzusetzen. „Ich denke immer noch, dass eines der friedlichsten Dinge, die wir tun können, darin besteht, nach Schönheit zu suchen“, sagte er.
Die libanesische Schauspielerin und Regisseurin Nadine Labaki sagte: „Ich glaube wirklich, dass eines der Mittel, um etwas an der Situation zu ändern, in der wir alle jetzt leben – und die meiner Meinung nach nicht so toll ist -, die Kunst und das Kino ist. Filme zu machen, die über das, was passiert, auf die richtige Art und Weise und aus der richtigen Perspektive sprechen und vielleicht eine tolerantere Art und Weise vorschlagen, die Dinge wahrzunehmen und sich gegenseitig als menschliche Wesen zu sehen.
22 Filme im Wettbewerb
Die Filmfestspiele Cannes finden vom 14. bis 25. Mai statt. 22 Filme konkurrieren dieses Jahr um die Goldene Palme. Das Festival selbst legt Wert darauf, den Fokus ganz auf die präsentierten Werke zu lenken. Auf befürchtete politische Aktionen angesprochen, hatte Festivaldirektor Thierry Frémaux in einem Pressegespräch abgewunken. „Wir haben beschlossen, ein Festival ohne Kontroversen zu machen“, sagte er. Frémaux ergänzte, dass Filme das Medium seien, über das politische Inhalte transportiert werden sollten. „Die Politik ist in Cannes auf der Leinwand zu sehen“, sagte er.
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