Premier angeschossen
Ein Handlanger Putins? Die Reizfigur Robert Fico
Der slowakische Premierminister Robert Fico kämpft nach einem Attentat um sein Leben. Kein anderer Politiker hat die Slowakei in den vergangenen Jahren so in seinen Bann gezogen wie er. Ficos politische Entscheidungen sind höchst umstritten – und riefen stets Wut und Entsetzen hervor.
Mehrere Schüsse, großes Chaos und ein Bild, das sich einbrennt: Mitten in Europa wird ein angeschossenes Staatsoberhaupt von hektischen Personenschützern in eine Limousine geschleift. Sein Schicksal? Ungewiss!
Der slowakische Premierminister Robert Fico ist am Mittwoch nach einer Regierungssitzung in der Stadt Handlová angeschossen worden und kämpft aktuell um sein Leben. Mittlerweile sei er wieder bei Bewusstsein und stabil, berichten slowakische Medien. Ein Verdächtiger wurde festgenommen, die Hintergründe sind schwammig. Eine Nation befindet sich in Schockstarre.
Die Slowakei ist tief gespalten
Der 59-jährige Linksnationalist hatte erst vor wenigen Tagen der liberalen Opposition vorgeworfen, ein feindliches Klima gegen die Regierung zu schaffen. Es sei nicht auszuschließen, dass es dadurch einmal zu einer Gewalttat komme, warnte Fico. Slowakische Politologen verglichen die gesellschaftliche Spaltung im Land zuletzt mit jener in den USA.
Auch in der Europäischen Union schrillen seit Ficos Übernahme der Regierungsgeschäfte die Alarmglocken. Der Grund hierfür ist aber nicht das Brüllen der Opposition. Viel mehr ist in Brüssel der eingeschlagene Kurs der Marke Fico, der in der Slowakei wie ein Brandbeschleuniger wirkt, Anlass zur Sorge.
Der erfahrene Politiker – bestreitet seine dritte Amtszeit als Premierminister – gilt als absolute Reizfigur. Die umstrittenen Reformpläne der vergangenen Monate sind autoritären Blaupausen nachempfunden: Kontrolle über Medien, eine Aufweichung der Anti-Korruptionsgesetze und weniger Hilfe für die Ukraine. Eine Politik, die auf Widerstände in der Slowakei trifft.
Riesige Proteste gegen Fico-Regierung
Der öffentlich-rechtliche Fernseh- und Rundfunksender RTVS soll beispielsweise aufgelöst und in eine vom Staat kontrollierte Anstalt namens STVR umgewandelt werden. Die Koalitionsparteien werfen der RTVS-Führung vor, „nicht objektiv“ zu berichten und der liberalen Opposition nahezustehen.
Ficos Vorhaben führten Anfang Mai zu riesigen Protestkundgebungen in Bratislava. Der Startpunkt der Umzüge ist dabei von hoher symbolischer Kraft. Wer in der Hauptstadt zum Platz des Slowakischen Nationalaufstands spaziert, findet dort ein Mahnmal für den 2018 ermordeten Journalisten Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová. An diesem Punkt marschieren die Fico-Gegner meist los.
Ruinierter Ruf und ein unwahrscheinliches Comeback
Kuciak recherchierte vor allem zu den Hinterzimmer-Machenschaften von Ficos Partei Smer. Sein Hauptthema: systemische Korruption und mafiöse Verbindungen zur Halbwelt. Sein Tod führte zu den landesweit größten Protesten seit 1989. Fico selbst wohnte Tür an Tür mit einem der Hauptverdächtigen – und wurde zum Gesicht einer korrupten Slowakei. Eines Systems, das schließlich Menschenleben kostete. Der Linksnationale, dem persönliche Schuld in diesem Fall nicht nachgewiesen werden konnte, musste mit seinem gesamten Kabinett unter dem Druck der Öffentlichkeit zurücktreten.
Der russische Angriffskrieg und politisches Chaos in der Slowakei bereiteten den Boden für Ficos großes Polit-Comeback. Im Wahlkampf trat der begabte Redner deutlich schärfer auf und griff die finanziellen Sorgen der Slowaken, getrieben durch zeitweise zweistellige Inflationsraten, auf. Getragen wurde seine Kampagne auch von russischer Desinformation, die besonders in der Slowakei verfängt. Ein Schuldiger für die wirtschaftliche Misere war schnell gefunden: Kiew. Die Ukraine sei „eines der korruptesten Länder der Welt“. Niemand wisse, wie viele der Hilfen für die Ukraine „irgendwo verschwinden“.
Fico entfremdet seine Freunde
Sein wichtigstes Wahlversprechen, militärische Hilfen an Kiew einzustellen, hat Fico bereits umgesetzt. Viele Slowaken sehen in ihm einen Garanten für Stabilität. Denn unter seiner Führung boomte für lange Zeit die Wirtschaft und die Slowakei galt als Musterschüler innerhalb der EU. Heute tritt das Land auf europäischer Ebene immer häufiger als Blockierer neben Ungarn in Erscheinung. Der Premierminister stellte zudem die Souveränität der Ukraine infrage, das sich „unter der Kontrolle der USA“ befinde.
Die neue Linie in Bratislava veranlasste die tschechische Regierung kürzlich zu einem außergewöhnlichen Schritt. Premier Petr Fiala verkündete aus Protest gegen die aktuelle Rhetorik der ehemaligen Schwesterrepublik eine vorläufige Funkstille. Es gebe bei außenpolitischen Themen „erhebliche Meinungsverschiedenheiten“.
Ein freundschaftlicher Händedruck
Ficos Chefdiplomat Juraj Blanár brachte das Fass wohl zum Überlaufen. Der ließ sich jüngst mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in der Türkei ablichten – freundschaftlicher Händedruck inklusive.
Doch auch auf nationaler Ebene ist viel Putin drin, wo Fico draufsteht. Der 59-Jährige macht seit seiner Wiederwahl da weiter, wo er vor seinem erzwungenem Rücktritt aufgehört hatte. Gegen Dutzende Personen aus seinem Dunstkreis wird wegen des offen gelegten Korruptionssumpfes noch immer ermittelt.
Eine umstrittene Justizreform
Fico ist nun damit beschäftigt, Schlüsselstellen in der Justiz, in der Polizei und im öffentlichen Dienst mit Vertrauensleuten zu besetzen. Die auf Korruptionsdelikte spezialisierte Sonderstaatsanwaltschaft ÚŠP wurde im Zuge einer Justizreform komplett eingestampft. Also jene Abteilung, die sich unter anderem mit Fällen befasst, in die ranghohe Staatsdiener und Mitglieder von Ficos Smer-Partei verwickelt sind.
Seine Regierung verweigert kritischen Medien den Zugang zu Informationen. Redakteure der betroffenen Häuser dürfen zwar – nach zwischenzeitlichem Verbot – das slowakische Regierungsgebäude wieder betreten, ihre Fragen werden aber nicht beantwortet.
Weiteres Chaos zu erwarten
Und nun wurde Fico in aller Öffentlichkeit niedergeschossen, just als er mit Bürgern in Dialog treten wollte. Er sei auf dem Weg gewesen, um Hände zu schütteln, hieß es. Bei seinem Angreifer handelt es sich offenbar um einen 71-jährigen Schriftsteller. Fünfmal soll er Augenzeugenberichten zufolge den Abzug gedrückt haben.
Die Regierung legt nahe, dass er aus ideologischen Motiven gehandelt hat. Es wäre der vorläufige Höhepunkt des politischen Hasses. Genaue Details liegen noch im Dunkeln. Deutlich sichtbar wird jedoch, dass der Angriff vor allem die slowakische Seele trifft. Ficos nationalistischer Koalitionspartner SNS spricht schon von einem „politischen Krieg“ und verunglimpft Journalisten als „Drecksschweine“. Regierung und Opposition gaben einander bereits die Schuld für das Attentat, da war noch nicht einmal klar, ob ihr Premierminister noch atmet.
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